Parlament: Fünf Jung-Abgeordnete berichten
Asdin El Habbassi, ÖVP
"Hemmschuh für Demokratie“
Die Parlamentsglocke schrillt und schrillt und macht selbst alerte Jungfunktionäre wie Asdin El Habbassi nervös: "Muss ich in den Plenarsaal und abstimmen?“ Der Blick auf die Liste der Redner am Handy beruhigt: Er hat noch Zeit. Wachsamkeit ist angebracht, gerade an den langen Parlamentstagen der vergangenen Woche mit ihren 70 Tagesordnungspunkten, an denen immer wieder Klubsekretäre die Abgeordneten aus der Cafeteria zu Abstimmungen scheuchen. Das Ergebnis steht in keiner Relation zur Aufgeregtheit - und das stört El Habbassi am meisten: "Es ist definitiv ein Hemmschuh für eine lebhafte Demokratie, dass die Regierungsparteien einander nicht überstimmen dürfen. Ich habe überhaupt nicht mit der Regierungsklausel gerechnet. Das war meine größte Überraschung, als ich Ende Oktober 2013 angelobt wurde.“ Kurz danach musste er im Unterrichtsausschuss gegen seine Überzeugung und gegen eine Fortführung der PISA-Tests stimmen, weil die SPÖ das so wollte: "Dabei ging es mir gar nicht gut. Seither zettle ich ständig Diskussionen darüber an.“ Über den Klubzwang wird viel diskutiert, El Habbassi hält die Regierungsklausel für das gravierendere Problem, weil der taktische Selbsterhalt der Herrschaftsverhältnisse beiden Parteien schadet: "Es würde das Profil von SPÖ und ÖVP schärfen, wenn beide gezwungen wären, für Positionen argumentativ zu werben.“ Nachsatz: "Um die Regierungsklausel abzuschaffen, wäre wohl ein Ende der Großen Koalition nötig.“
El Habbassi ist für seine 28 Jahre erstaunlich selbstbewusst und eloquent, genau wie sein Mentor und Junge-ÖVP-Kumpel Sebastian Kurz, der ihn gegen Widerstände in den Nationalrat hievte. Der gelernte Betriebswirt lässt sich von wenig schrecken ("Meinen ersten Fernsehauftritt hatte ich schon vor meiner Kameraschulung“), hat schon einmal, beim Fortpflanzungsgesetz, gegen die Parteilinie gestimmt ("Ich bin nicht in der Politik, um ein Ja-Sager zu sein“) - und redet nur über ein Thema nicht gerne: seine Rolle als erster praktizierender Muslim im Nationalrat. Er sagt lieber: "Ich bin ein Salzburger, der halt einen marokkanischen Namen hat.“
Sigrid Maurer, Grüne
"Minister im Genick“
Sigrid Maurer liegt mit ihren 30 Jahren weit unter dem statistischen Durchschnittsalter aller Abgeordneten (50,2 Jahre), hatte sich in ihrem Vorleben als Vorsitzende der Hochschülerschaft ein 18-monatiges Parlamentsverbot eingehandelt, weil sie von der Besuchergalerie gegen Kürzungen im Uni-Budget anwetterte, und in ihren eindreiviertel Jahren als Abgeordnete mehrmals die Präsidiale beschäftigt wegen der Frage: Dürfen Abgeordnete aus den Ausschüssen twittern? Die offizielle Entscheidung steht noch aus - und Maurer nimmt den Schlingelbonus für sich in Anspruch, ist kaum ohne Handy oder Computer in der Hand anzutreffen, allerdings selten mit dem Parlamentslaptop: "Das ist ein typisches Parlamentsgerät, es hat eine verschlüsselte Festplatte und ist unpraktisch. Das ist doch lächerlich, dass Twittern der Würde des Hauses schaden soll. Ich will meine Arbeit transparent machen.“ Das hält sie für vordringlich, denn: "Das Parlament ist von Verschlossenheit dominiert. Das muss man aufbrechen.“ Maurer ist mit vielem nicht einverstanden: Ausschüsse sind nicht öffentlich, Anträge der Opposition werden von den Regierungsparteien automatisch vertagt, damit sie nicht ins Plenum kommen. Diese Usancen, aufgedoppelt durch Konsensdemokratie und Sozialpartnerschaft, führen dazu, dass vergangene Woche 17 Regierungsvorlagen "durchgepeitscht“ wurden, von der Steuerreform bis zum Urheberrecht. "Österreich hat einen unterentwickelten Parlamentarisus, die Entscheidungen fallen nicht hier im Haus“, urteilt Maurer und liefert ein Sinnbild: "Die Regierungsbank im Nationalratssitzungssaal steht höher als das Rednerpult für die Abgeordneten. Das sagt doch alles über die Wertigkeit. Wenn ich rede, habe ich immer die Minister im Genick.“
Sepp Schellhorn, NEOS
"Man muss eine Rampensau sein“
Die Reaktion seiner Freunde und Gastronomiekollegen war niederschmetternd: "Warum tust du dir den Blödsinn an?“ Sepp Schellhorn war aber wild entschlossen: "Man kann nicht immer nur schimpfen, man muss versuchen, etwas zu verändern.“ Er hat sich auf seine Arbeit im Hohen Haus vorbereitet, am Hometrainer Fernsehübertragungen von Parlamentsdebatten verfolgt - und fühlte sich dennoch, als er vor einem Jahr ins Parlament einzog, überrumpelt: "Mit den ständigen Zwischenrufen, mit dem Hineinbrüllen hatte ich nicht gerechnet und bin damit überhaupt nicht zurechtgekommen.“ Historisch betrachtet waren Parlamente die erste Adresse für die freie Rede, heute sind sie oft "Profanbauten der nutzlosen Rede“, wie der deutsche Autor Roger Willemsen in seinem Buch "Das Hohe Haus“ ätzt. Schellhorn ist hochmotiviert, zur Debattenkultur im Nationalrat beizutragen: "Ich arbeite an meiner rhetorischen Kraft, studiere Reden, etwa von Gregor Gysi. Ich kann gut kontern, werde daher intern, Ausputzer’ genannt, tue mir aber schwer mit den fünf Minuten Redezeit. Mein größtes Manko ist, dass ich emotional bin und mich durch Zwischenrufe provozieren lasse.“ Das Resultat: Ausrutscher wie Schellhorns Pruhaha-Witzchen über die "Bikinifigur vor 30 Jahren“ von Maria Fekter, für das er sich kleinlaut entschuldigte: "Das soll keine Rechtfertigung sein - aber Leute wie Fekter keppeln permanent hinein. Deren Konzept ist, andere aus dem Konzept zu bringen.“ Seine Bilanz nach einem Jahr: "Im Parlament muss man eine Rampensau und darf nicht dünnhäutig sein.“
Spätestens seit Schellhorn in einem seiner Hotels in Bad Gastein Flüchtlinge aufnahm, hat er den Status als Hinterbänkler ab- und an Bekanntheit zugelegt. Er würde sich mehr Unternehmerkollegen im Nationalrat wünschen; derzeit ist er der größte Arbeitgeber, der im Parlament sitzt. Ökonomisch ist der Ausflug in die Politik eher kein Erfolg: "In meinen Betrieben in Salzburg fanden immer Empfänge zu den Festspielen statt. Manche davon bleiben jetzt aus. Das Wissenschaftsministerium etwa hat für heuer abgesagt.“
Petra Steger, FPÖ
"Abgeordnete grenzt an Vollzeitberuf“
Ihr Vater Nobert Steger, in der rot-blauen Koalition der 1980er-Jahre Vizekanzler, hat ihr viel über Politik erzählt. Dennoch haben etliche Details Petra Steger verblüfft, als sie Ende 2013 in den Nationalrat kam. Manche ob ihrer Schrulligkeit: "Die Telefonzellen hinter dem Plenarsaal mit den Wählscheiben und uralten Telefonbüchern! Die Rohrpost!“ Manche ob ihrer Härte: "Ich hätte nicht gedacht, dass mir so viel Abneigung entgegenschlägt, weil ich bei der FPÖ bin.“ Steger ist 27, Basketballerin, Moderatorin und Vorzeigegesicht von FPÖ-TV und darüber in die Politik gerutscht. Viele Spuren hat sie noch nicht hinterlassen, die Zahl ihrer Reden ist einstellig. Sie macht, wie viele Abgeordnete, Arbeit, die öffentlich nicht beleuchtet wird: Sie sitzt in fünf parlamentarischen Ausschüssen, die miteinander wenig zu tun haben: Sport, Menschenrechte, Gleichbehandlung, Kultur, Wissenschaft. "Manchmal werden wagerlweise Unterlagen dafür herangekarrt. Studiert man die Materialien für die eigenen Ausschüsse gewissenhaft, bleibt wenig Zeit für Papiere aus anderen Ausschüssen“, sagt Steger. Und: "Wenn man den Job ernst nimmt, grenzt er an einen Vollzeitberuf.“ Das sieht eine Minderheit so: Nur 53 Mandatare leben ausschließlich vom Abgeordnetenjob. Alle anderen 130 haben Nebenberufe, die prozentuell wenigsten Nur-Mandatare finden sich mit fünf in der ÖVP, die meisten bei den Grünen (14 von 24). In der FPÖ haben 12 der 38 Abgeordneten keine Nebeneinkünfte gemeldet. Auch die meisten Topverdiener finden sich in der FPÖ-Riege.
Markus Vogl, SPÖ
"Man macht immer zu wenig“
Ist die Übergabe des neuen Löschfahrzeuges an die Feuerwehr im Bezirk wichtiger? Oder ist die Zeit besser in das Studium von ein paar Kilo Unterlagen für den Budgetausschuss investiert? Vor derartigen Entscheidungen steht Markus Vogl wie viele Regionalabgeordneten ständig: "Ich soll vor Ort in Oberösterreich, als SPÖ-Bezirksparteivorsitzender in Steyr präsent sein. Dann habe ich aber zu wenig Zeit in Wien, um Entscheidungen zu beeinflussen und im Ausschuss zu sein. Egal, was man tut, man macht immer zu wenig.“ Eine typische normale Woche - ohne Plenarsitzung, wohlgemerkt, - schaut für Vogl so aus: Montag Firma Man Truck & Bus in Steyr, wo der 44-Jährige Betriebsratsvorsitzender ist. Dienstag Wien, Finanzausschuss. Mittwoch Wien, Sozialausschuss. Donnerstag Firma. Freitag Steyr, Konzert Musikverein, Gewerkschaftssommerfest, Fastenbrechen Moschee. Samstag Eröffnung Marktfest. "Ich versuche, bei keiner Veranstaltung am Ehrentisch zu sitzen, sondern Kontakt mit den Leuten zu halten“, sagt Vogl. Dennoch bleibe das "Gefühl des ständigen Defizits. Ich könnte jede Stunde mehrfach verplanen.“ Denn Politiker sollen nach der gängigen Idealvorstellung einen Beruf haben, im Wahlkreis ständig anwesend und im Parlament fundiert vorbereitet sein: "Dem Erwartungsdruck, überall vor Ort zu sein, kann man nicht gerecht werden.“
Vogl will nicht jammern, er ist vor eineinhalb Jahren gerne ins Parlament gekommen. Er hätte aber schon ein paar Vorschläge: "Das Parlament ist nicht als Arbeitsparlament konzipiert, es gibt im Plenarsaal nicht einmal Steckdosen.“ Von den parlamentarischen Mitarbeitern, im Jargon "Pamis“ genannt, ganz zu schweigen: "Mit einem größeren Staff wäre mehr möglich.“