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Parteigründung: Warum die ÖVP sich zu Recht vor den Neos fürchtet

Parteigründung. Warum die ÖVP sich zu Recht vor den Neos fürchtet

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An der Garderobe des Salzburger Kongresszentrums hängen vereinzelt Pelzmäntel und viele Winterjacken, drei Fahrradhelme und zwei Hüte. Drinnen in einem der neonerleuchteten Veranstaltungssäle lautet der inoffizielle Dresscode Hemd und Pullover (für Männer) oder schwarzes Strickkleid (für Frauen); ein paar Kapuzenpullover und trachtig angehauchte Sakkos mischen sich dazwischen. Rund 70 Studenten und Pensionisten, Unternehmer und Beamte haben sich vergangenen Donnerstagabend hier versammelt. Sie eint nicht viel – außer anschwellender Enttäuschung über die Politik, die eine Ärztin, unter dem Nicken vieler, so formuliert: „Ich habe immer das kleinere Übel gewählt. Jetzt weiß ich gar nicht mehr, wen ich wählen soll.“

Wenn es nach den Gastgebern dieses Abends geht, steht die Antwort darauf fest: Gewählt werden soll die neue Partei der Neos, die ins Kongresszentrum geladen hat. Weil die Neos aber eine „Bürgerbewegung“ sein wollen, sollen zuerst die 70 Interessierten reden. In Workshop-Atmosphäre wird an sechs runden Tischen diskutiert, was nervt, was schiefläuft und was dringend geändert gehört. „Dass Leistung nicht zählt“, klagt ein Zivildiener; „Korruption“, assistiert eine Beamtin. Neos-Aktivisten moderieren dieses dreistündige Sudern und versichern, dass alles Monierte, von Parteibuchwirtschaft bis Verwaltungsreform, einen wichtigen Platz in ihrem Programm hat. Im Gegenzug gibt es Blumen zurück: „Das ist geschmackvoll aufgezogen“, lobt eine Dame mit weißem Haar und Korallenkette die Parteifarbe Pink. Noch ist sie nicht überzeugt: „Mir fällt es schwer, meine Partei, die ÖVP, wiederzuwählen. Aber ich bin bei Splittergruppen skeptisch.“

Interessanter politischer Start-up
Der Weg vom Frust zur Partei kann zäh sein. Das erfahren die Neos gerade. So wie vergangenen Donnerstag in Salzburg tingeln sie derzeit quer durch Österreich und versuchen, in Diskussionsrunden und bei politischen Tupper-Partys mit einer Mischung aus autosuggestivem Enthusiasmus („Das ist ein einzigartiger, eigener Weg, den wir gerade erfinden“) und inhaltlicher Ernsthaftigkeit („Über das deutsche Modell der Zweitstimme müssen wir noch tiefer diskutieren“) Politikverdrossene für sich zu gewinnen. Die Neos sind unter den vielen Glücksrittern, Wutbürgern und Zauseln, die sich derzeit zum Politiker berufen fühlen (siehe Kasten hier), das wohl interessanteste Experiment eines politischen Start-ups. Sie vereinen klassische Elemente einer Partei, etwa ein detailliertes Programm, mit basisdemokratischen Strukturen des Internetzeitalters: Die (Spitzen-)Kandidaten werden seit einer Woche online gekürt, jeder kann sich im Netz bewerben oder mitvoten, auch offline wird Beteiligung großgeschrieben. Kann das funktionieren – eine neue Partei, die weder ein Abklatsch internationaler Erfolgsmodelle (wie die Piraten) ist noch über Zug- und Finanzkraft eines Millionärs (wie Frank Stronach) verfügt? Und zudem antipopulistisch wirtschaftsliberal geprägt ist?

Bisher funktioniert es, höflich formuliert, untermittelprächtig. Die erhofften Spenden tröpfeln überaus spärlich ein, die erwünschten Promis bleiben überhaupt aus. Trotzdem beginnen die etablierten Parteien, allen voran die ÖVP, die Neos zusehends zu fürchten. Das klingt nur auf den ersten Blick paradox.

Denn erstens liest sich das Programm der Newcomer wie das einer moderneren ÖVP. Mit Forderungen nach Steuersenkungen, Abschaffung von Ladenschlusszeiten und Kammern-Pflichtmitgliedschaft und Erleichterungen für Gründer liegt ein starker Fokus auf dem Unternehmertum. Umrahmt wird die Programmatik vom Prinzip Eigenverantwortung, besonders ausführlich ist der Bildungsteil. Angst vor Un­populärem hat man nicht: Die Kürzung ­hoher Pensionen findet sich genauso wie Arbeitserlaubnis für Asylwerber. Garniert wird das Ganze mit dosiertem Gesellschaftsliberalismus wie dem Recht für Homosexuelle, Kinder zu adoptieren – der aber offenbar keinen Konservativen verschrecken soll: Die Ehe bleibt Heteros vorbehalten.

Der zweite Grund für die Sorge der Konservativen vor der neuen Konkurrenz wurzelt in den tragenden Neos-Personen, die großteils aus der ÖVP stammen oder, genauso schlimm, aus ihr stammen könnten. Das Führungsteam besteht derzeit aus Unternehmern wie dem Ex-Groupon-Manager Veit Dengler, aus ÖVP-Dissidenten wie Beate Meinl-Reisinger, die einst für ÖVP-Staatssekretärin Christine Marek arbeitete, oder PR-Frau Daniela Schwarz, einer langjährigen Vertrauten von Maria Rauch-Kallat. Darum tummeln sich Überbleibsel des Liberalen Forums wie der jungliberale Student Nikolaus Scherak – und natürlich Parteigründer Matthias Strolz.

Ehemaliger Ziehsohn
Der 40-jährige Vorarlberger galt einst im Wirtschaftsbund als politischer Ziehsohn des heutigen ÖVP-Klubobmanns Karlheinz Kopf, machte sich dann mit einer Organisationsberatung selbstständig und ist nun Parteigründer. Das Murren seiner einstigen Partei über die Abspaltung kontert er leidenschaftlich: „Nicht wir haben die ÖVP verlassen, die ÖVP hat uns verlassen. Sie ist so verknöchert und unmodern, dass sie sich in gesellschaftspolitischen Fragen nur mehr dann bewegt, wenn die Schamgrenze der Peinlichkeit erreicht und der Anschluss an das Abendland verloren gegangen ist.“

Die Korruptionsskandale taten ihr Übriges, Strolz’ Abrechnung in Buchform unter dem Titel „Warum wir Politikern nicht trauen“ war vor zwei Jahren eine Art Markttest. Politische Altspatzen wie Ex-ÖVP-Chef Erhard Busek forderten ihn damals auf: „Hör auf zu schreiben, tu etwas.“ Monate später saß Strolz in Buseks Wohnzimmer und fragte: „Was sind stimmige Antworten auf die aktuellen Zustände?“ Bis heute treffen sie sich regelmäßig zum „Gedankenaustausch“, wie Strolz es nennt.

Die Rache war bitter. Vor der Zeit der Neos konnte Strolz’ Beratungsunternehmen auf Aufträge aus Ministerien und Wirtschaftskammer zählen – seit der Kandidatur sind „viele Kunden weggefallen. Das Unternehmen hat hier Hunderttausende Euro an Umsatz verloren“, weiß Strolz zu berichten. Mittlerweile ist er nicht mehr Geschäftsführer, sondern Vollzeitpolitiker.

Im Oktober wurde „Neos“ offiziell gegründet und will sich gar nicht ausschließlich als Alternative zur ÖVP verstanden wissen. Die derzeit 1500 Mitglieder und deklarierten Sympathisanten hätten bisher zu einem Drittel ÖVP, zu einem Drittel die Grünen und zu einem weiteren Drittel weiß oder nicht gewählt, sagen die Neos über ihre Klientel. Nicht zufällig ist das Neos-Quartier im hippen siebten Wiener Gemeindebezirk eingezogen, wo die Grünen ihre stärksten Wählerschichten haben und den Bezirksvorsteher stellen.

In dem modernen, hellen Dachgeschoßbüro, etwas großspurig „Parteizentrale“ genannt, stehen noch nicht viele Möbel. Aber selbst dieses halbleere Großraumzimmer wirkt für die ausladende Gestik von Strolz manchmal zu klein, wenn er rhetorisch in Fahrt kommt und über den unerträglichen Stillstand in Österreich zu sprudeln beginnt. Fraglos ist die Sehnsucht nach anderer Politik groß – aber warum sollen ausgerechnet die Neos sie erfüllen? Darauf antwortet Strolz nicht ohne Selbstzweifel: „Das alte politische System liegt im Sterben, ist aber noch nicht ganz tot, das neue System ist noch nicht da. Wir sind zumindest ein Teil des neuen Gefüges.“

Mitbestimmung, Transparenz, Misserfolge
Vor allem aber ist Neos ein Experiment, das vorexerziert, wie Prinzipien der Mitbestimmung und Transparenz zu Misserfolgen führen können. So scheiterte die Suche nach einem prominenten Aushängeschild, das die neue Partei bekannt gemacht hätte, kläglich – von Skisprunglegende und Autor Toni Innauer bis zum Bildungsak­tivisten Andreas Salcher holten sich die Neos bei Stars nur Körbe. Kein Wunder: Nicht einmal ein prominenter Name hätte einen sicheren Listenplatz garantiert, weil jeder in die offenen (Online-)Vorwahlen muss. Welcher Promi tut sich das an, per Mausklick von einfachen Parteimitgliedern aussortiert zu werden? Zumal dann, wenn der Einzug ins Parlament alles andere als fix ist, wie Andreas Salcher glaubt: „Ich gebe ihnen wenig Chancen, jede liberale Partei muss mit der 4-Prozent-Marke raufen.“ Für seine Absage sei das aber nicht entscheidend gewesen, sagt der ehemalige ÖVP-Gemeinderat: „Meine Zeit als Abgeordneter ist vorbei. Ich kann als Autor mehr bewegen.“

Auch Geld strömt den Neos nicht zu, im Gegenteil. Strolz hatte Großspenden aus Industrie und Wirtschaft fix einkalkuliert, sind doch Teile des Steuerprogramms mit jenem der Industriellenvereinigung ident. Ein desaströser Rechenfehler: Die Großspenden gibt es bis heute nicht, statt der erhofften zwei Millionen Euro verfügt die Partei über dürftige 150.000 Euro von ­Kleinspendern. „Das war eine Enttäuschung“, gibt Strolz offen zu.
Klamme finanzielle Ressourcen zwingen zu neuen Strategien. Ausgerechnet die Neos, die sich als moderne Partei verstehen, setzen auf Methoden, die eher den altmodischen Hautgout von Lockenwicklern verströmen: Tupper-Abende. So werden die Abende in privaten Wohnzimmern genannt, bei denen Neos drei Dutzend Freunde einladen und für sich werben. 40 derartige Tupper-Abende haben bereits stattgefunden, erzählt Parteigründer Strolz stolz.

Ein kurzes Rechenbeispiel: Für den Einzug in den Nationalrat sind rund 200.000 Stimmen notwendig. Wenn man von der überoptimistischen Annahme ausgeht, dass bei jedem Tupper-Abend 30 Menschen kommen und die Hälfte davon die Neos wählt – dann bräuchte es bis zur Nationalratswahl noch 13.293 Tupper-Abende, jeden Abend 60. Das wäre selbst für eine Großpartei mit unzähligen Bezirksorganisationen wie die SPÖ eine unüberwindbare Hürde. Von derart schnödem Realismus lässt sich Strolz aber nicht bremsen: „Wir sind eine Welle, die nicht aufzuhalten ist.“

Schnell fließt sie zumindest nicht. Bei den kommenden Landtagswahlen in Kärnten, Niederösterreich und Tirol treten die Neos mangels Personal und Geld gar nicht erst an. Die Konsequenz ist ein veritables Aufmerksamkeitsdefizit – wer nicht kandidiert, kommt in den Medien kaum vor.

Auch deshalb könnte Salzburg die Ausnahme sein, der Abend vergangenen Donnerstag sollte als Testlauf dafür dienen, ob die Neos Anfang Mai bei den vorgezogenen Finanzskandal-Wahlen in den Ring steigen sollen. „Wer ist dafür?“, fragt Strolz in den Saal – und fast alle stehen auf.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin