PROPAGANDA IM NETZ: Große Redaktionen braucht man dafür nicht. Um journalistische Qualität geht es ja nicht in erster Linie.

Die totgesagten Parteizeitungen feiern ein Comeback - im Internet

Das Konzept Parteizeitung galt als mausetot. Doch im Netz kehren ganz ähnliche Angebote zurück und feiern erstaunliche Reichweitenerfolge.

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Der 31. Oktober 1991 war ein trauriger Tag für alle, denen die Medienvielfalt in Österreich grundsätzlich am Herzen liegt. Die "Arbeiter-Zeitung", 102 Jahre altes Schlachtschiff auf dem österreichischen Medienmarkt, war mit nur einem Wort in der Headline erschienen: "Adieu". Das Blatt wurde eingestellt, weil es einfach niemanden mehr gab, der die hohen Verluste abdecken wollte. Wenigstens an ihrem letzten Tag konnte die "AZ" noch so etwas wie einen ökonomischen Erfolg feiern: Statt der sonst üblichen 10.000 Exemplare wurden zum Abschied rund 90.000 verkauft.

Nur zwei Jahre ihres langen Lebens hatte die "AZ" in der Privatwirtschaft verbracht. Davor war sie im Besitz der SPÖ gestanden - eine klassische Parteizeitung, die entsprechend wohlwollend über die Politik der Genossen berichtete. Diese Vergangenheit galt allgemein als Hauptgrund für das Scheitern des traditionsreichen Blatts. Kurz vor der "AZ" hatte es bereits das ÖVP-Blatt "Süd-Ost-Tagespost" und die "Volksstimme", Zentralorgan der KPÖ, erwischt. Die Ära der Parteizeitungen sei ein für alle Mal vorbei, erklärten Experten damals.

Zahl der von den Lesern geteilten Facebookpostings. An dritter Stelle liegt bereits der "Wochenblick", auf Platz fünf "Kontrast".

Für die vom Zeitgeist dahingerafften Medien und deren Mitarbeiter war das natürlich tragisch. Gesellschaftspolitisch fiel der Befund etwas erfreulicher aus: Mündige Bürger wollten sich eben nicht mehr sagen lassen, was sie denken sollten. Das kritiklose Abfeiern einer Ideologie habe sich überholt. In einem aufgeklärten Land könne sich jeder selbst eine Meinung bilden.

Aber ganz so wunderbar lief es dann doch nicht - jedenfalls nicht auf Dauer.

Grandioses Comeback

Wenn stimmt, was die Wiener Agentur Spinnwerk jüngst publizierte, feiert das Konzept der Parteizeitung gerade ein grandioses Comeback. Inhalte der rechten Plattformen "Wochenblick", "unzensuriert" und "info-direkt" seien in den sozialen Medien zuletzt häufiger geteilt worden als jene der Tageszeitungen "Der Standard","Die Presse" und "Kurier", berichtet Spinnwerk. Auch die von der SPÖ betriebene Seite "Kontrast" erlebe aktuell einen Boom.

Vieles ist natürlich anders als vor 30 Jahren. Zum Beispiel werden heute keine üppigen Redaktionen mehr beschäftigt; um journalistische Standards geht es bei den Publikationen ja eher nachrangig. Außerdem muss man keine Druckkosten bezahlen, um Inhalte mit einem gewissen Spin unters Volk zu bringen. Ein Internetantschluss genügt.

Den aktuell so erfolgreichen Netzangeboten ist gemeinsam, dass sie aussehen wie ganz normale Nachrichtenseiten. Man muss sich ein wenig mit den Inhalten beschäftigen, um festzustellen, dass sie genau das nicht sind. Große Teile der Welt werden einfach ausgeblendet, gelegentlich kann es nötig sein, die Realität zu verbiegen, damit sie ins eigene Koordinatensystem passt. "Massen-Migration hinnehmen? Ex-Kanzler Kern gibt Österreich auf", titelte etwa der "Wochenblick" Anfang August. So steht das zwar nicht im SPÖ-Parteiprogramm, und der Parteichef hat das auch nie gesagt. Aber weil Kern in einem Interview mit der "Kronen-Zeitung" auf den Klimawandel als Fluchtgrund hingewiesen hatte, lässt sich mit etwas Kreativität leicht eine Bedrohung konstruieren. Der "Wochenblick" betreibt nebenbei eine wöchentliche Printausgabe in Oberösterreich und berichtet nicht nur über klassisch rechte Anliegen. Zuletzt war der Dauerstau auf den Linzer Straßen Titelthema. Damit wäre das Angebot aber wohl nicht innerhalb kürzester Zeit auf Platz drei der meistgeteilten Inhalte gelandet (siehe Grafik oben). Dem Publikum dürfte es mehr um Berichte von jener Sorte gehen, die der Presserat Ende Juli scharf verurteilte: Gegenstand des Verfahrens war eine Artikelserie über die Folgen der Migration in Schweden gewesen. Die Storys zielten "augenscheinlich darauf ab, Schweden so darzustellen, als wäre es auf dem Weg in den Untergang", urteilte der Senat.

Gruselige Leser-Postings

Zweifelhafte Pionierarbeit im Online-Spinning verrichtet die Website "unzensuriert" seit 2009. Eine große Nähe zur freiheitlichen Politik lässt sich unschwer erkennen. Personelle Überschneidungen gibt es ebenfalls: Aktueller Geschäftsführer der "1848 Medienvielfalt Verlags GmbH" ist Walter Asperl, früher Büroleiter des Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf. Wer sonst noch in die Tasten haut, gilt als Betriebsgeheimnis. Nach eigenen Angaben finanziert sich "unzensuriert" über Werbeeinnahmen. Die Linie sei "demokratisch, kritisch, polemisch und selbstverständlich parteilich". Etwas anders klingt eine Beurteilung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz aus dem Jahr 2016: Die Inhalte seien "zum Teil äußerst fremdenfeindlich und weisen antisemitische Tendenzen auf".

Das Gruseligste an "unzensuriert" sind die Postings der Leser. Falls diese anonymen Misanthropen wirklich existieren, möchte man keinem von ihnen im Dunkeln begegnen. Ob gelegentlich auch Postings gelöscht werden? Dies geschehe "entsprechend den rechtlichen Bestimmungen", erklärt Walter Asperl. Also offenbar nur, wenn es gar nicht anders geht.

Der rote Rivale "Kontrast" macht, das ist erfrischend, kein Geheimnis aus seinem politischen Hintergrund. Im Impressum deklariert man sich klar als "sozialdemokratisches Magazin". Projektleiter Gerald Demmel war früher für die Website der Partei zuständig; sämtliche Mitarbeiter - angeblich gibt es nur 3,5 Vollzeitkräfte - sind bei der SPÖ angestellt. Diese Offenheit sei beleibe nicht der einzige Unterschied zu den Rechten im Netz, betont Demmel. "Wir sind parteiisch, okay, gebe ich zu. Aber bei uns gibt es keine Hetze. Ich finde, man kann ,Kontrast' nicht mit den anderen im Netz vergleichen."

Unterschiede gibt es zuhauf, das stimmt. Allerdings weiß auch die Linke ganz genau, wie man einen Echoraum bewirtschaftet. Treue Leser von "Kontrast" müssen den Eindruck haben, Schwarz-Blau habe noch nie, nicht einmal aus purem Zufall, irgendetwas richtig gemacht. "Die Regierung nimmt Frauen-Einrichtungen das Geld weg", heißt es da etwa. Oder: "Große Unternehmen sind die einzigen Gewinner der AUVA-Reform." Sein Ziel sei es durchaus, den Blog irgendwann thematisch zu verbreitern, sagt Gerold Demmel: "Aber es gibt uns ja erst seit zwei Jahren. Das wird noch ein wenig dauern."

Internetkultur und die Bubble

Es ist wahrlich keine neue Erkenntnis, dass die Internetkultur zur Bildung von Meinungsblasen neigt. Jeder kann heute seine eigene Bubble basteln; ein paar gleichgesinnte Bekannte und etwas Tagesfreizeit genügen, um eine Welt fast ohne Widerspruch zu konstruieren. Aber wozu braucht es da noch die organisierte Agitation von bezahlten Parteifunktionären? Ist das nicht ein Schmäh von vorgestern?

Wahrscheinlich würden die meisten Leser gar nicht bemerken, dass sie auf der Seite einer Partei gelandet seien, meint Roland Trnik, Managing Partner der Agentur Spinnwerk. "Wer liest schon ein Impressum? Viele lesen ja nicht einmal mehr einen ganzen Artikel. Diskussionen in den sozialen Medien entzünden sich sehr oft nur an den Überschriften." Außerdem sei den Menschen auch nicht klar, was ein etabliertes Medium von einer Internetplattform unterscheidet. "Journalisten müssten besser erklären, was sie tun und was ihren Job ausmacht", glaubt Trnik. Eine gewisse Vorliebe für Echoräume habe es wohl schon immer gegeben. "Zu einem Stammtisch im Gasthaus kann man sich ja auch nicht einfach dazusetzen."

Matthias Karmasin, Professor für Medien-und Kommunikationswissenschaft an der Universität Klagenfurt, ist in diesem Punkt anderer Meinung. Die Möglichkeit zur "translokalen Vergemeinschaftung", wie der Experte es nennt, sei tatsächlich etwas spezifisch Neues. Auch das Vorurteil, dass es sich bei den Lesern solcher Homepages vorwiegend um Wutbürger handle, die ihre eigenen Vorurteile bestätigt sehen wollen, mag Karmasin nicht unterschreiben. "Die Logik dahinter ist eher die eines Fußballfans. Und der Fan brennt ja auch in erster Linie für seinen Verein, nicht gegen die anderen Vereine." Aus der Perspektive des Journalismus oder auch aus jener der aufgeklärten Gesellschaft sei der Boom solcher Netzangebote durchaus besorgniserregend, meint Karmasin. Als Mittel dagegen empfiehlt er schon lange, an den Schulen den Umgang mit Medien zu unterrichten. "Und natürlich müsste es in der Medienpolitik darum gehen, ein Höchstmaß an Pluralität und Qualität zu sichern."

Die ÖVP macht beim Online-Revival der Parteizeitungen bis dato übrigens nicht mit. Sebastian Kurz dürfte es im Moment schlicht nicht nötig haben.

Rosemarie Schwaiger