Patientenanwalt über Wiens Spitäler: „Sehr ernsthafte Personalprobleme“
Wenn Patienten über ein Jahr auf einen Behandlungstermin warten müssen, dann können sie sich bei der Wiener Pflege- und Patientenanwaltschaft (WPPA) beschweren. Der Tätigkeitsbericht für das Jahr 2022 liegt profil vor und ist eine 76-seitige Mängelliste des öffentlichen Gesundheitssystems. Der Report sorgte bereits vor seiner offiziellen Veröffentlichung für Debatten: Denn darin wurden auch Einzelfälle von gravierenden Behandlungsfehlern geschildert, die den Tod von Patienten zur Folge hatten.
Personalproblem
Der Bericht bestätigt die Hilferufe, die Personalvertreter immer wieder aus den Kliniken absetzten. Die Patientenanwaltschaft widmet sich vor allem dem Mangel an Ärzt:innen und Pflegekräften, aus dem laut WPPA zahlreiche Beschwerden über Terminverschiebungen, Qualitätsmängel, Bettensperren und „unzumutbare Wartezeiten“ eingegangen sind. Die Patientenanwaltschaft spricht gar von einem „sehr ernsthaften Personalproblem“ und nicht mehr nur von Personalmangel.
Die häufigen Beschwerden über OP-Absagen oder Terminverschiebungen verteilten sich auf mehrere Kliniken und Fachbereiche, laut der WPPA betrafen sie besonders häufig orthopädische Eingriffe. Argumentieren kann man das mit der durch die Corona-Pandemie bedingten Mehrbelastung für die Spitäler allerdings nicht: Laut WPPA besteht hier nur „teilweise“ ein Zusammenhang.
In Extremfällen wurden Operationen und Eingriffe bis zu drei Mal verschoben, die Wartezeiten beliefen sich mitunter auf über ein Jahr. Als Grund für die häufigen Terminverschiebungen werden meistens Personalprobleme genannt - allerdings nicht nur bei den Ärztinnen und Ärzten, sondern auch beim übrigen Krankenhauspersonal. Außerdem gibt es zu wenige Fachärzt:innen: Ein alarmierendes Beispiel ist die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Klinik Floridsdorf, die geschlossen bleiben musste, weil es zu wenig Personal gibt.
Spitalsführung soll bei Gefährdungsanzeigen interveniert haben
Im Herbst 2022 häuften sich aufgrund dieses eklatanten Personalmangels die Gefährdungsanzeigen von Abteilungsleitern in Wiener Spitälern. Eine Gefährdungsanzeige soll erfolgen, um möglichst vorbeugend über drohende Personalengpässe zu informieren. Der Direktion des Wiener Gesundheitsverbundes (WiGeV) scheint das allerdings nicht gefallen zu haben: Aus dem Tätigkeitsbericht geht hervor, dass im Oktober 2022 eine Dienstanweisung erlassen wurde, in der „missbräuchliche Anzeigen“ als mögliche Dienstpflichtverletzungen und „übertriebene Aktionen“ angesehen werden - dies kann laut WPPA durchaus einschüchternd wirken und zu weniger Gefährdungsanzeigen führen.
Mehrklassenmedizin in Österreich?
Die WPPA prangert außerdem die mangelnde Objektivität bei Terminvergaben an: Häufig seien Klagen darüber eingegangen, dass Privatpatient:innen schneller OP-Termine bekommen würden. Auch liegt der Patientenanwaltschaft ein Fall vor, bei dem eine Patientin, anstatt in der Klinik nachbehandelt zu werden, in die Privatordination des Primars geschickt wurde - ohne davor über die Kosten ihrer Nachbehandlung informiert zu werden.
Der WiGeV will erst nach Veröffentlichung des Berichts Stellung beziehen. Insgesamt ist die Zahl der Beschwerden bei der Patientenanwaltschaft noch unter dem Vor-Corona-Niveau. Die beanstandeten Mängel werden allerdings immer gravierender.