Pausenspiele: Der Machtkampf in der SPÖ Wien ist nur vertagt
So strahlend hat man ihn lange nicht gesehen. „Die Entscheidung der Wienerinnen und Wiener ist großartig“, kommentierte Bürgermeister Michael Häupl vergangenen Montag das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl. Knapp zwei Drittel der Hauptstädter hatten für Alexander Van der Bellen votiert. Er sei sehr stolz, verkündete Häupl und hörte sich dabei an, als hätte er selbst die Wahl gewonnen. Die Parteizentrale legte nach: Wien habe am Wahlsonntag „für Weltoffenheit“ gestimmt und den „Wiener Weg bestätigt“, den Weg der SPÖ-geführten Stadtregierung, wohlgemerkt.
Im Wahlkampf wurde nichts dem Zufall überlassen. Die mächtige rote Landespartei borgte Van der Bellens Team zahlreiche Plakatständer, half im Straßenwahlkampf und rief ihre 50.000 Mitglieder per Brief zur Wahl des Professors auf. Schließlich warf sich der Bürgermeister bei Van der Bellens Wahlkampfabschluss höchstpersönlich in die Schlacht – mit einem flammenden Appell gegen die FPÖ, die er als „rassistisches Gesicht Österreichs“ geißelte.
Selbstlos war die Schützenhilfe nicht. Nach Wochen der innerparteilichen Kritik kommt für Häupl der Wahlsieg Van der Bellens wie gerufen, bietet er doch eine kurze Verschnaufpause im Machtkampf innerhalb der Wiener SPÖ. Über alle Kanäle verbreiten die Parteilinken die Sprachregelung, wonach in Wien nur mit einem prononciert linken Kurs Mehrheiten zu erringen seien.
Erst die Detailanalyse der Sprengelresultate zeigt, wo der Riss durch die Wiener Bevölkerung verläuft.
Auf den ersten Blick wirkt Wien tatsächlich wie eine linksliberale Bastion, die Karte ist durch und durch grün gefärbt. In allen 23 Wiener Bezirken errang Van der Bellen eine Mehrheit, sogar in Simmering – beim aufgehobenen Stichwahlgang im Mai war dort noch FPÖ-Kandidat Norbert Hofer vorn gelegen. Am 4. Dezember steigerte Van der Bellen wienweit sein Ergebnis um 2,4 Prozentpunkte; in zwölf Bezirken konnte Hofer keinen einzigen Wahlsprengel für sich entscheiden.
Erst die Detailanalyse der Sprengelresultate zeigt, wo der Riss durch die Wiener Bevölkerung verläuft. In den südlichen und westlichen Bezirken – Liesing, Favoriten, Simmering, Donaustadt und Floridsdorf – konterkarieren auffällig viele blaue Sprengel das sonst eindeutige Bild. In Simmering ging der Bezirksvorsteher bei der Wien-Wahl 2015 bereits an die FPÖ verloren, in den übrigen Bezirken zittern die Sozialdemokraten schon vor dem Showdown im Jahr 2020.
„In die Bundespräsidentenwahl wird zu viel hineininterpretiert, insbesondere wenn man das als Bestätigung der eigenen Arbeit sieht“, sagt Christian Deutsch, SPÖ-Landtagsabgeordneter aus Liesing: „2020 will ich die Wienkarte weder blau noch grün eingefärbt sehen, sondern rot.“ Der ehemalige Landesparteisekretär und Intimus von Werner Faymann ist seit einigen Wochen der offiziöse Sprecher der rebellischen Randbezirke. Sie drängen seit Längerem vehement zu einer Kurskorrektur. Erst forderten sie eine Abkehr von der liberalen Flüchtlingspolitik. Weil das Problem derzeit nicht so virulent ist wie noch vor ein paar Monaten, haben die Häupl-Kritiker neue Flanken eröffnet: Handlungsbedarf sehen sie nun bei den städtischen Finanzen, der Gesundheitspolitik und den Kindergärten. Wohl nicht zufällig ressortieren diese Themen zu den Stadträtinnen Renate Brauner, Sonja Wehsely und Sandra Frauenberger, deren Ablöse der Flügel um Deutsch betreibt.
Das Kalkül: Der Parteichef könnte dort öffentlich beschädigt werden.
Nie zuvor wurde Häupl aus den eigenen Reihen derart offen angegriffen; Deutsch legte ihm gar nahe, seine Nachfolge zu regeln. Doch Häupl weiß nach wie vor eine Mehrheit in den Parteigremien hinter sich. Um Zeit zu gewinnen, setzte er für Jänner eine Vorstandsklausur an, bei der die Positionierung der Wiener SPÖ zur Diskussion stehen wird.
Das reicht den Kritikern aber nicht. Sie wollen, dass der Landesparteitag, den Häupl gerne in den Herbst verschoben hätte, bereits im Frühjahr 2017 stattfindet. Das Kalkül: Der Parteichef könnte dort öffentlich beschädigt werden, etwa durch ein schlechtes Ergebnis bei der Wahl zum Vorsitzenden.
Laut Parteisatzung reichen sechs Bezirke, um einen Parteitag einzufordern. Sollte Häupl nicht nachgeben, „werden sich diese Bezirke finden“, sagt Deutsch mit drohendem Unterton. Zur Fraktion um Deutsch zählt Michael Ludwig, Wohnbau-Stadtrat und roter Bezirkschef in Floridsdorf, dem immer wieder nachgesagt wird, für eine Koalition mit der FPÖ offen zu sein (siehe hier). Den ersten Warnschuss gab Ludwigs Bezirkspartei bereits ab: Am Tag nach der Bundespräsidentenwahl stimmte die SPÖ-Floridsdorf dem Vernehmen nach für einen Parteitagstermin im Frühjahr. Mit ihrem Dauerbeschuss wollen Deutsch und Ludwig die Erbfolge in der Wiener SPÖ bestimmen.
„Nicht einmal der Papst kann seine eigene Nachfolge regeln“, sagt der Simmeringer SPÖ-Chef Troch, der Ludwig als neuen Parteichef favorisiert. Hinter den Kulissen lädt Häupl die Bezirksgranden zu sich ins Rathaus, um auszuloten, wie ein Kompromiss aussehen könnte. Ein Drahtseilakt: Häupl muss auf die Kritiker zugehen, gleichzeitig will er tunlichst den Eindruck vermeiden, sich treiben zu lassen.
Insider schließen eine Umbildung der Stadtregierung vor Weihnachten nicht aus. Dafür kursieren unterschiedliche Szenarien: Finanzstadträtin Brauner könnte ins Landtagspräsidium wechseln und durch Andreas Schieder (SP-Klubobmann im Parlament) ersetzt werden. Um die Kritiker zu befrieden, könnte Kathrin Gaal aus Favoriten in die Stadtregierung aufsteigen. Peter Hacker, Wiener Flüchtlingskoordinator, dem Chancen auf das Sozialressort nachgesagt wurden, schloss am Freitag einen Wechsel in die Politik aus. In den roten Schaukästen werden gerade die Wahlaufrufe für Van der Bellen abgenommen. Vor den Weihnachtsfeiertagen läuft die neue Kampagne an: „Zeit für mehr Gemeinsamkeit“, steht auf den Plakaten.