Pensionierungswelle, sinkende Geburtenraten, Ausbau des Bahnnetzes: Der Arbeitskräftemangel setzt den ÖBB enorm zu. Deswegen rekrutiert das Bahnunternehmen nun auch Mitarbeiter aus aller Welt. Wie profil exklusiv erfuhr, wurden über eine private Vermittlungsagentur die ersten 15 Tunesier angeworben. 14 sind als Mechaniker beim ÖBB-Postbus tätig, einer arbeitet als Lagertechniker bei der Bahn.
Im nächsten Schritt könnten auch Zugbegleiter, Lokführer, Verschieber oder Buslenker aus Drittstaaten wie Tunesien, Kolumbien, den Philippinen oder Indien geholt werden, um nur ein paar gängige Herkunftsländer für ausländische Fachkräfte zu nennen. „Wir bereiten eine EU-weite Ausschreibung vor, die sich an heimische, aber auch internationale Personaldienstleister richtet, die Personal aus Österreich, der EU, aber auch aus unterschiedlichen Drittstaaten bereitstellen können“, heißt es aus der ÖBB-Kommunikation.
Das richte sich besonders an „eisenbahnspezifische Berufe sowie Buslenker“. Alles Tätigkeiten auf der Mangelberufsliste, die per Rot-Weiß-Rot-Karte besetzt werden können.
Lehrlinge aus aller Welt
Die ÖBB zeigen sich auch offen dafür, Lehrlinge über 18 aus Drittstaaten aufzunehmen. Diese Möglichkeit will Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) der heimischen Wirtschaft durch eine weitere Lockerung der Rot-Weiß-Rot-Karte ermöglichen. „Insgesamt gelingt es uns sehr gut, Personal zu finden und die 650 Lehrstellen, die wir jedes Jahr anbieten, zu besetzen“, betonen die ÖBB. Zusatz: „Auch mit vielen Menschen, die in den letzten Jahren zugewandert sind, etwa Syrer oder Afghanen.“ In einzelnen Regionen könnten dennoch Stellen frei bleiben, die sich mit neuen Fachkräften aus Drittstaaten besetzen ließen. Denn kaum ein Unternehmen in Österreich spürt den Arbeitskräftemangel stärker als die ÖBB. Zwischen 2016 und 2029 geht die Hälfte der Belegschaft in Pension. Entsprechend verstärken wird sich der Personalbedarf aus dem Ausland.
ÖBB-Gewerkschaft bremst
Die Gewerkschaft hat intern Kritik an der Verstärkung aus Tunesien angemeldet. „Die Rot-Weiß-Rot-Karte war für hoch qualifizierte Bereiche gedacht, wo es in Österreich keine adäquate Ausbildung gibt, etwa spezialisierte Wissenschafter oder IT-Experten“, sagt Roman Hebenstreit, Chef der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida. „Die Ausbildung bei Bahnunternehmen bis hin zum Busführerschein kann im Inland erfolgen. Dafür braucht es keine internationale Anwerbung.“
Gegen die gezielte Personalsuche im Ausland, auch mithilfe von Vermittlungsagenturen, ist Hebenstreit nicht per se. Sie solle aber auf Österreich und Europa beschränkt sein. „Hier gibt es viele Arbeitsuchende, die sich eine Chance verdient haben.“
Die kommen aber offenbar nicht ausreichend bei den Arbeitgebern an. Auch beim Lkw-Hersteller MAN haben die ersten drei von zehn KfZ-Mechanikern aus Tunesien ihren Dienst unlängst begonnen.