Die Deutungshoheit

Peter Filzmaier: Die Deutungshoheit

Porträt. Peter Fizmaier ist der Chefanalytiker des Politikerbetriebs - und ein guter Geschäftsmann

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Bill Clinton wird das Jahr 1998 nie vergessen, obwohl ihm eine kleine Amnesie bestimmt recht wäre. Das ganze Jahr über wurden peinliche und peinlichste Details seiner Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky in aller Öffentlichkeit abgehandelt. Der sonst stets gut gelaunte Clinton wirkte grau und ­zerfurcht. Es war nicht klar, ob er den Trubel um seine Triebe politisch überleben würde.

Der Anruf
Peter Filzmaier wird das Jahr 1998 ebenfalls nicht vergessen; er hätte auch wirklich keinen Grund dazu. Der Wiener ist zu diesem Zeitpunkt 31 Jahre alt und ein weithin unbekannter Universitätslektor für Politikwissenschaft. Gerade hat er mit dem berühmten Kollegen Fritz Plasser das Buch „Die amerikanische Demokratie“ herausgebracht. Doch wenn sein Name in der Zeitung steht, geht es häufig nicht um Politik, sondern um Sport. Filzmaier ist ein guter Mittelstreckenläufer. Im Frühling gewinnt er etwa den 10.000-Meter-Bewerb beim Volksbanken-Lauf in Hollabrunn. Die „Niederösterreichischen Nachrichten“ würdigen diesen Erfolg mit einer halben Zeile. Irgendwann im Spätherbst bekommt Filzmaier den vielleicht wichtigsten Anruf seiner Karriere. Am anderen Ende der Leitung ist ein Mitarbeiter der „ZiB 3“, der ihn zur Studiodiskussion einlädt. Das Thema liegt auf der Hand: Bill Clinton und Lewinsky-Gate.

Ein TV-Auftritt um Mitternacht reicht natürlich nicht, um berühmt zu werden. Aber er taugt als Startschuss. Die Expertenbranche in Österreich ist überschaubar, und Journalisten wenden sich bevorzugt an Fachpersonal, das ihren Kollegen auch schon zu Diensten war. Filzmaier nützte seine Chance. Und mittlerweile läuft ohne ihn, so scheint es, gar nichts mehr.
Die politische Analyse im ORF hat der 45-jährige Wiener nahezu monopolisiert. Ob es um die Volksbefragung zur Wehrpflicht, die bevorstehenden Landtagswahlen, die Spekulationsverluste in Salzburg oder die Korruptionsfälle in Kärnten geht: Peter Filzmaier erklärt den Österreichern, wie sie welche Finte zu verstehen haben – manchmal live im Studio, gern auch im Interview von unterwegs. Im Superwahljahr 2013 wird Filzmaier voraussichtlich öfter zu sehen sein als der Bundeskanzler. Außerdem schreibt der Universitätsprofessor Kolumnen für mehrere Tageszeitungen und taucht auch sonst überall auf, wo politisches Rohmaterial einer sachgerechten Weiterverarbeitung harrt. Was macht diesen Mann eigentlich so unverzichtbar?

Kostbare Redezeit
Am Mittwoch vergangener Woche sitzt Filzmaier in einem Wiener Kaffeehaus, trinkt Melange und Johannisbeersaft und beweist, dass zwischen der öffentlichen Person und dem Menschen dahinter kein großer Unterschied besteht. Filzmaier redet genauso wie in Funk und Fernsehen: einen Hauch zu schnell, ohne Nachdenkpausen, druckreif, fehlerfrei und mit äußerst sparsamer Mimik. Hier wie dort vergisst er mitunter vor lauter Eifer auf die deutliche Akzentuierung von Satzzeichen. Aber ein Punkt mit kleiner Pause hinterher vergeudet nun mal kostbare Redezeit. Im Sekundenbusiness des Rundfunks ist das der pure Luxus. „Wenn man mit Medien kooperiert, muss man sich der Logik der Medien anpassen“, erklärt Filzmaier seine Arbeitsweise.
Auf dem Küniglberg schätzt man den televisionär naturbegabten Professor als jederzeit einsetzbare Allzweckwaffe. Filzmaier habe nie eine Schulung gebraucht, erzählt Chefredakteur Fritz Dittlbacher. Andere müssen erst lernen, dass man nicht direkt in die Kamera glotzt, hektisches Gefuchtel den Zuseher verwirrt und die deutsche Grammatik auch beim gesprochenen Wort gilt. Filzmaier macht keine Faxen. „Wenn man ihm sagt, dass er 52 Sekunden bekommt, dann hat er eine Streuung zwischen 51 und 53 Sekunden“, lobt Dittlbacher. Die Perfektion hat allerdings ihren Preis: Mitunter wirkt Filzmaier wie ein Automat, der auf Knopfdruck fein gedrechselte Sätze in jeder gewünschten Länge ausspuckt.

Bei Teilen des Publikums macht sich bereits eine gewisse Übersättigung bemerkbar. Als die Tageszeitung „Der Standard“ anlässlich der US-Wahl im November einen Chat mit dem Professor ankündigte, ging ein Gähnen durch das Netz. „Der nervt mich schon so wie die Weihnachtsmusik im Supermarkt“, beschwerte sich ein Poster. Ein anderer schrieb: „Auch die Jüngsten werden schon gefilzmaiert. Wenn sie dann groß sind, erklärt er ihnen, weshalb sie wen gewählt haben.“ Emmerich Talos, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Uni Wien, kennt dieses Gefühl des Überdrusses: „Anfangs hat er es gut gemacht. Aber jetzt halte ich ihn nur noch schwer aus. Er sagt immer das Gleiche. Das ist wie eine endlose Wurst.“

Filzmaiers enorme Frequenz erklärt sich auch mit den Besonderheiten des ORF-Gesetzes. Redakteure des staatlichen Rundfunks sind der Objektivität verpflichtet und dürfen nicht kommentieren. Deshalb delegieren sie jede Form der Bewertung gern an Interviewgäste. Doch fast alle verfügbaren Kapazunder sind politisch irgendwie punziert. Peter Filzmaier musste vor ein paar Jahren selbst eine Weile öffentlich-rechtlich kürzertreten, nachdem profil berichtet hatte, dass er nebenbei die SPÖ Burgenland beriet. Seit 2010 hat er nun einen Werkvertrag mit dem ORF, der ihm und seinem Unternehmen ISA (Institut für Strategieanalysen) untersagt, für politische Parteien zu arbeiten. Im Gegenzug wird Filzmaier jetzt pauschal für
seine Präsenz bezahlt und könnte sich selbst dann nicht rarmachen, wenn er es wollte.

Keine Kränkungen
Einen Maulkorb habe der Experte aber nicht, betonen beide Seiten. Theoretisch dürfte Filzmaier alles sagen, in der Praxis ist er geschickt genug, um bei seinen Analysen niemanden ernsthaft zu kränken. „Für die Parteichefs ist das kommunikationsstrategisch (…) eine Riesenchance, eine Art aufgelegter Elfmeter, wo der Tormann der gegnerischen Mannschaft auch noch dienstfrei hat“, analysierte er jüngst zum Thema Wehrpflicht-Volksbefragung. Ungefährlich sei das Ganze noch dazu, weil auch eine Niederlage bei der Befragung bis zur Nationalratswahl im Herbst längst vergessen sein werde. „Da ist die Kurzlebigkeit gerade in der Mediendemokratie viel zu groß.“ Damit kann nun wirklich jeder leben.
Weggefährten von früher beschreiben Filzmaier als kompetent, fleißig und glühend vor Ehrgeiz. Der Sohn eines Bewährungshelfers und einer Bankangestellten wollte immer schon hoch hinaus. Und es konnte nicht schnell genug gehen. In den 1990er-Jahren arbeitete er eine Zeitlang im Unterrichtsministerium und überraschte seinen damaligen Chef mit dem Wunsch nach einem Mitarbeitergespräch zwecks weiterer Karriereplanung. Das war damals eher unüblich. Als dabei nichts her­auskam, ließ er sich karenzieren.

Es wäre ein grober Euphemismus, Filzmaier als umtriebig zu bezeichnen. Der Mann ist praktisch überall und bewältigt ein einschüchterndes Arbeitspensum: Neben dem ORF-Vertrag hat er zwei Teilprofessuren zu jeweils 13 Wochenstunden an der Donau-Uni in Krems und an der Universität Graz. Dazu hält er Vorlesungen an der Deutschen Universität für Weiterbildung in Berlin, veröffentlicht alle paar Monate ein Buch, ist gut ausgelasteter Vortragender und Diskussionsleiter. Vor etwas mehr als einem Jahr kaufte er die Mitgesellschafter seines Unternehmens ISA – Dietmar Ecker und Wolfgang Rosam – aus und ist seither allein der Chef von rund zehn Mitarbeitern.

Obwohl er schon so lange so viel über Politik redet, lässt sich Filzmaier politisch nicht zuordnen. Im chronisch verhaberten Schlitzohrparadies Österreich ist dieser Umstand allein viel wert. Allerdings steht er im Ruf, auch als Geschäftsmann nichts anbrennen zu lassen. Die totale Unabhängigkeit wird da schnell eine Frage der Interpretation.
Da gibt es zum Beispiel Netpol, ein Prestigeprojekt der Donau-Uni in Krems, großzügig gefördert vom Land Niederösterreich. Netpol wurde vor rund zwei Jahren als interuniversitäres Netzwerk für politische Kommunikation gegründet. Fünf Universitäten in vier Ländern sind daran beteiligt. Ein Blick auf die Website genügt allerdings, um festzustellen, dass es sich im Wesentlichen um ein Filzmaier-Netzwerk handelt: An drei der fünf Universitäten lehrt der Herr Professor, im 15-köpfigen Netpol-Team arbeiten fünf ISA-Beschäftigte, in der Rubrik „Mediennews“ finden sich fast ausnahmslos Interviews, Analysen und Beiträge von und mit Peter Filzmaier, auf der üppigen Publikationsliste mit rund 90 Einzelwerken stammen zwei Drittel von Filzmaier und seinen Leuten.

Es sei richtig, dass Netpol ein zentrales Projekt seines Unternehmens darstelle, sagt der Chef. „Ich bin der Kopf dieses Netzwerks und habe auch die Sprecher-Funktion.“ Eine Niederösterreich-Schlagseite sei dennoch nicht zu befürchten, behauptet er. Dazu sei man einfach zu vielseitig. „Wir haben auch für den Kärntner Wirtschaftsförderungsfonds gearbeitet, für den formal Uwe Scheuch zuständig war.“
Ein Gleichgewicht des Schreckens sozusagen. Als Politikwissenschafter kennt sich Filzmaier damit aus.

Zur Person
Peter Filzmaier, 45, wurde am 5. September 1967 in Wien geboren, studierte an der Uni Wien Politikwissenschaft, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Jus. 1993 promovierte er, 2001 folgte die Habilitation. Filzmaier hat Teilzeitprofessuren an der Donau-Uni in Krems und an der Karl-Franzens-Universität in Graz, ist Alleingesellschafter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) und arbeitet auf Werkvertragsbasis für den ORF.

Foto: Monika Saulich für profil

Rosemarie Schwaiger