Peter Filzmaier und Thomas Hofer: "Wir sind die Balkon-Muppets"
profil: Angenommen, Sie stehen im Auslandsurlaub an einer Bar, kommen mit anderen Gästen ins Gespräch und werden gefragt, was Sie beruflich machen. Was antworten Sie? Peter Filzmaier: Politikwissenschaftler. Thomas Hofer: Politikberater.
profil: Beides wird den Small Talk nicht voranbringen, fürchte ich. Dass Sie der nette Onkel aus dem Fernsehen sind, der den Österreichern die Politik erklärt, erzählt keiner von Ihnen? Filzmaier: Ich würde mich selbst nicht als netten Onkel bezeichnen. Politikwissenschaftler ist mein Beruf. Und TV-Analytiker bin ich, weil ich dieses Fach gelernt habe - und nicht, weil ich den Würstelstand ums Eck besonders gut führe. Hofer: Man sollte seine eigene Wirkung nicht überschätzen. Fritz Dittlbacher (ORF-Chefredakteur, Anm.) hat einmal gesagt, dass man zwar ab und zu erkannt wird, aber eher für den Billa-Verkäufer gehalten wird als für jemanden aus dem Fernsehen. Aber worauf Sie wahrscheinlich hinauswollen: Natürlich sind wir in der Innenpolitik-Berichterstattung so eine Art Balkon-Muppets.
profil: Der Job des Politik-TV-Analytikers existiert in dieser Form nur in Österreich. Warum gibt es bei uns einen Bedarf, den es zum Beispiel in Deutschland nicht gibt? Filzmaier: In Deutschland gibt es schlicht nicht diese Fülle an Fernsehkonfrontationen. Hofer: Bei uns ist die Intensität höher, das stimmt. In Amerika hast du dafür bei jedem Tweet von Trump ganze Reihen von demokratischen und republikanischen Beratern oder Ex-Beratern im Fernsehen, die dann jeweils versuchen, ihren Spin loszuwerden.
Filzmaier: Ja, das ist auch eine Alternative. Ich bin befangen, das gebe ich zu, aber ich halte dieses Format nicht für das bessere. Das wurde in Österreich auch versucht. Ich erinnere mich an eine Analyse mit den Studiogästen Josef Kalina, SPÖ, und Andreas Mölzer, FPÖ. Das ist nicht wirklich gelungen. profil: Man könnte die Zuseher auch ganz ohne Experten entscheiden lassen, wie ihnen die Darbietung der Politiker gefällt. Filzmaier: Dann müsste man auch den Theaterkritiker oder den Fußballkommentator abschaffen -mit dem Argument, die Leute können ja selber zuschauen. Außerdem: In praktisch allen Fällen hat die Analyse mehr Zuseher und mehr Marktanteil als die Sendung vorher. Das liegt ausdrücklich nicht an uns als Personen, wir wären da austauschbar, aber es gibt offenbar ein großes Interesse des Publikums.
profil: Welche Direktiven gibt es vom Sender? Hofer: Gar keine. profil: Warum hören wir dann nie von Ihnen: Der Kandidat A hat klar gewonnen?
Hofer: Weil man das so einfach meistens nicht sagen kann, außer jemand macht grobe Fehler. profil: Um ein Beispiel zu nennen: Es gab im Wahlkampf zur Bundespräsidentenwahl das unmoderierte TV-Duell zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer auf ATV. Sie, Herr Hofer, haben danach beide scharf kritisiert. Aber die meisten Zuseher werden den Eindruck gehabt haben, dass die Sticheleien hauptsächlich von Norbert Hofer ausgingen. Hofer: Stimmt, Van der Bellen ist permanent provoziert worden. Und diese Sticheleien haben Hofer auch disqualifiziert. Aber stellen wir uns vor, das wäre Heinz Fischer passiert: Wäre er wie Van der Bellen so entgleist, dem Gesprächspartner den Scheibenwischer zu zeigen? Da ging's um das höchste Amt im Staat. Außerdem: Wenn sich zwei Kinder in der Sandkiste beflegeln, geht es ja auch nicht nur darum, wer angefangen hat, oder?
profil: Herr Filzmaier, müssen Sie sich an das Objektivitätsgebot des ORF halten? Filzmaier: Ich fühle mich daran als Wissenschaftler gebunden, aber es gibt null Vorgaben für mich.
profil: Nach dem ORF-"Sommergespräch" mit Frank Stronach im Vorjahr haben sie das Wort "plemplem" verwendet. Dafür gab es prompt einen Tadel der KommAustria. Filzmaier: Ich würde aus heutiger Sicht ein anderes Eigenschaftswort verwenden, "wirr" oder "skurril". Aber die Analyse als solche deckte sich mit den Ansichten unserer Fokusgruppen.
profil: Ich finde ja, dass die meisten Experten Stronach viel zu lange ernst nahmen. Aber versuchen Sie jetzt wirklich, den Ausdruck "plemplem" wissenschaftlich zu untermauern? Filzmaier: Wie gesagt: Ich würde heute das Wort "wirr" verwenden.
profil: TV-Analytiker neigen dazu, alles, was Politiker sagen, mit Strategie und Taktik zu erklären. Halten Sie es gar nicht mehr für möglich, dass ein Politiker aus Überzeugung handelt? Hofer: Vielleicht hegen wir zu oft den Strategieverdacht, mag sein. Aber manche Fragen lassen sich halt nur mit Strategie beantworten. Warum ist Sebastian Kurz jetzt, wo er ist? Weil er seit zwei Jahren die FPÖ-Wähler bearbeitet. Warum entschied sich die SPÖ für den Slogan "Hol dir, was dir zusteht."? Weil sie -spät und eher ungelenk -auf die gleichen Wähler abzielt.
Filzmaier: Es würde mich nachdenklich stimmen, wenn ich ehrliche Überzeugung nicht erkennen würde. Das hoffe ich nicht. Öfter kommt es vor, dass ich den Eindruck habe, dieser oder jener Satz ist dem Politiker einfach passiert; weil er nicht nachgedacht hat oder die Wirkung nicht abschätzen konnte. Das kann ich aber nicht belegen. Also suche ich, wider besseres Wissen, nach einer Strategie dahinter. profil: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel macht ein einziges TV-Duell gegen ihren Herausforderer Martin Schulz. Donald Trump und Hillary Clinton trafen drei Mal aufeinander. In Österreich dagegen absolvieren die Kandidaten insgesamt 20 Duell-Formate. Dazu kommen noch jede Menge Einzel-und Gruppentermine. Ist es schlau von den Politikern, sich so oft ins Fernsehen zu setzen?
Hofer: Es ist wahnsinnig viel. Aber was wäre los, würden wir auf die deutsche Praxis umschwenken? Als der ORF Richard Lugner im Bundespräsidentenwahlkampf nicht eingeladen hat, war die Hölle los. Obwohl das natürlich die richtige Entscheidung war. Filzmaier: Bisher gibt es beim Publikum offenbar keine Übersättigung, sonst würden die Sender sehr schnell damit aufhören.
profil: Von Ihnen werde ich jetzt nicht hören, dass es zu viele TV-Duelle gibt, schon klar. Aber was hat der Bundeskanzler davon, wenn er mit NEOS-Chef Matthias Strolz diskutiert? Hofer: Seit 1994 ist das in Österreich die Regel. Für die Kleinen ist es ein Vorteil, weil sie auf Augenhöhe mit den Großen sind. Aber natürlich gibt es die Gefahr eines Overkills. Filzmaier: Aus strategischen Gründen müssten der Amtsinhaber oder vielleicht generell die Kanzlerkandidaten natürlich versuchen, sich rar zu machen. Aber ich würde nicht so leichtfertig sagen, dass man den Dialog zwischen Regierung und Opposition abschaffen soll. Mit einer Ausnahme sind alle Spitzenkandidaten in den ORF-Duellen neu, da gibt es ein großes Informationsbedürfnis.
profil: Was war für Sie das Überraschendste am bisherigen Wahlkampf? Hofer: Die Rollenumkehr zwischen SPÖ und ÖVP. Bisher war es meistens die ÖVP, die strategisch durch den Wahlkampf stolperte. Diesmal war es bisher die SPÖ -die gerade den nächsten Fehler macht, indem sie Journalisten erzählt, Christian Kern werde Sebastian Kurz in den TV-Duellen vom Platz schießen. Ganz toll. Wie soll Kern diese Erwartungshaltung erfüllen? Filzmaier: Wenn ich an die letzten ÖVP-Wahlkämpfe denke, standen die unter dem Motto "Stell dir vor, es ist Wahlkampf, und keiner merkt es." Diesmal war mit Ausnahme von Sebastian Kurz bei niemandem eine strategische Vorbereitung erkennbar. Und jetzt wusste zwar keiner genau, wann Reinhold Mitterlehner zurücktreten würde. Aber dass er nicht eineinhalb Jahre lang den Platzhalter machen würde, war klar - ebenso wie der Umstand, dass damit das Risiko einer vorgezogenen Wahl groß war. Dennoch hatte weder die SPÖ, noch die FPÖ oder die Grünen einen Plan in der Schublade.
profil: Warum ist die SPÖ so konfus? Hofer: Ich glaube, es gibt kein strategisches Machtzentrum. Es wird ein Mal in die eine Richtung gezogen, dann in die andere.
profil: Ist die Wahl schon entschieden? Filzmaier: Alle paar Jahre gibt es diese Sehnsucht nach der Kristallkugel. Darauf lasse ich mich nicht ein. Nein, entschieden ist gar nichts, die Zahl der Unentschlossenen liegt bei fast einem Viertel. Hofer: Sebastian Kurz muss wohl Eigenfehler machen, damit die anderen noch eine Chance auf Platz eins haben.
profil: Oder es gibt wieder diese Mischung aus Mitleid und Solidarität wie im Jahr 2006 nach der Bawag-Pleite. Filzmaier: Damals hatte die SPÖ frühzeitig eine Langzeitstrategie. Die war: Wir setzen auf unsere Themen Bildung, Gesundheit, Soziales, und da bleiben wir drauf. Hofer: Das war ein sehr guter Mobilisierungswahlkampf - und eine der bestgemachten Negativkampagnen. Zum Teil mit Humor wie beim Eurofighterinserat und dem Spruch "Da fliegt ihre Pensionserhöhung". Und natürlich mit der Geschichte um die illegale Pflegerin von Wolfgang Schüssels Schwiegermutter. Das war hart, aber nicht dreckig. Heute stellt es die ÖVP so dar, als wäre die Pflegerin reine Erfindung gewesen, aber das stimmt nicht.
profil: Wie groß ist der Anteil der Wiener SPÖ am Nichtfunktionieren dieses Wahlkampfs? Filzmaier: Eine gelungene Kampagne besteht aus drei Säulen: Ich muss ein Ziel definieren, die Zielgruppe und drittens die Kommunikationskanäle. Das Ziel wäre bei der Nationalratswahl eigentlich klar. Aber schon in dieser Frage gibt es eine zweite Ebene, nämlich die Interessen im Nachfolgespiel Häupl. Die werden sich noch verschärfen, weil es ja nicht nur um den Wechsel einer Person geht, sondern um ganz neue Teams. Hofer: Es könnte sogar sein, dass die eine oder andere Gruppe sich fragt: Haben wir für unser konkretes Anliegen in Wien nicht vielleicht mehr davon, wenn die SPÖ schlecht abschneidet und das Ergebnis in Wien nicht berauschend ist?
profil: Gibt es eine Prognose aus der Vergangenheit, mit der Sie total falsch lagen? Hofer: Sicher. Zu Beginn des Sommers 2013 dachte ich, dass die NEOS eher nicht in den Nationalrat kommen. Filzmaier: Mir fallen zwei Anlässe ein: die Jörg-Haider-Gedächtniswahl 2009 in Kärnten, wo ich nicht annähernd mit diesem gigantischen Vorsprung des BZÖ gerechnet habe. Und die Wien-Wahl 2015, wo ich nicht dachte, dass die SPÖ so deutlich vorne liegen würde.
profil: Gab es schon Bestechungsversuche der Parteien bei Ihnen? Hofer: Nein. Kritik kommt natürlich oft, aber das muss man aushalten. Filzmaier: Bei mir gab es nicht einmal den angeblich unter Journalisten so berüchtigten Anruf aus einer Parteizentrale. Nur einmal gab es lange vor einer Wahl das Angebot einer Partei, mir eine spannende Studie im Original-Datensatz zu überlassen.
profil: Das würde ich als eine eher absurde Form der Bestechung werten. Filzmaier: Aber raffiniert bei einem Wissenschaftler. Ich gebe zu, das war eine große Verlockung -der man aber widerstehen muss.
PETER FILZMAIER, 50
Der Wiener ist habilitierter Politikwissenschafter und lehrt an der Donau-Unversität Krems sowie an der Karl-Franzens-Universität Graz. Vor zehn Jahren gründete er das Institut für Strategieanalysen, das unter anderem Meinungsumfragen, Mediaanalysen und Kommunikationskonzepte anbietet. Filzmaier hat als Politikanalytiker einen Vertrag mit dem ORF, seit 2015 ist er auch Gastkommentator in der "Kronen Zeitung".
THOMAS HOFER, 43
Der Steirer studierte Komunikationswissenschaft und Anglistik in Wien sowie Political Management in Washington D. C. Er startete seine Karriere als profil-Redakteur, arbeitete anschließend für eine Lobbyingagentur und gründete 2008 die H &P Public Affairs. Hofer nennt sich Politikberater - berät aber keine Politiker, sondern Unternehmen, Institutionen und NGOs im Umgang mit der Politik. Als Analytiker tritt er vor allem bei heimischen Privatsendern auf.