Peter McDonald: „Die Kur ist nicht zeitgemäß“
profil: Nur in Österreich haben sich Kuren als Volkssport gehalten. Wie erklären Sie sich das? Peter McDonald: Die Kur hat eine lange Geschichte. Rund um die vorige Jahrhundertwende fuhren vornehmlich Adelige für ein paar Wochen auf Sommerfrische, in Luftkurorte oder Heilstollen. Später hat die Sozialversicherung dieses Adelsprivileg allen Österreichern ermöglicht. Das war eigentlich ein schöner Gedanke – auch getragen von dem Motiv, schwer schuftende Menschen länger arbeitsfähig zu erhalten.
profil: Ist das noch zeitgemäß? McDonald: Heute gibt es im Gegensatz zu damals flächendeckenden Arbeitnehmerschutz. Trotzdem ist die Kur noch sehr stark ausgerichtet auf die Zeit der 1950er- und 1960er-Jahre. Dieses Konzept der alten Kur ist sicher nicht mehr zeitgemäß. Bevor es einen Aufschrei gibt: Wir wollen die Kur nicht abschaffen. Wir wollen sie modernisieren, weiterentwickeln. Dazu läuft ein Pilotprojekt, im Herbst wird es erste Ergebnisse geben.
profil: Herumzuplanschen und danach beim Heurigen oder in der Kurkonditorei zu sitzen, soll nicht mehr reichen? McDonald: Das soll jeder machen, der das will – aber das wollen wir als Sozialversicherung nicht bezahlen. Eine Kur kostet rund 1900 Euro. Diese Investition der Versichertengemeinschaft muss sich lohnen. Wir wollen weg vom alten Kurgedanken der Adelszeit und hin zu stärkerer Gesundheitsvorsorge, die Menschen ermöglicht, länger gesund zu leben und zu arbeiten. Es nützt nichts, wenn man in den drei Wochen Kur ein bisschen Wirbelsäulengymnastik macht und danach in den alten Trott zurückfällt. In der Kur neu sollen die Menschen Handlungsanleitungen für den Alltag mitbekommen. Das halte ich für die Zukunft, und nicht eine dreiwöchige Auszeit.
profil: Dominiert nicht immer noch die Haltung: Ich kann täglich Schweinsbraten essen, Alkohol trinken, auf der Couch liegen – und dann fahre ich auf Kur, und alles ist wieder gut? McDonald: In Österreich haben wir eine sehr ausgeprägte Vollkasko-Mentalität. Mit Gesundheit wird schlechter umgegangen wie mit einem Auto: Viele wollen quasi in die Werkstatt fahren und repariert wieder herauskommen – nach dem Motto: Ich muss nicht auf meine Gesundheit schauen, der Staat oder die Sozialversicherung wird es schon für mich richten. Wir wollen das so ändern, dass den Menschen bewusst wird, dass man für seine Gesundheit auch selbst etwas tun muss – und wir als Sozialversicherung müssen diesen Prozess optimal unterstützen.
profil: Das klingt ein wenig nach Zwangsverpflichtung. McDonald: Wir wollen Gesundheitskompetenz vermitteln, Anleitungen geben, worauf jeder achten soll. Das soll auch bei einer Kur passieren. Wenn jemand sich wider besseres Wissen für eine andere Form des Lebens entscheidet, dann fällt das unter persönliche Freiheit.
profil: Sie belohnten in Ihrem früheren Job als Chef der Sozialversicherung der Selbstständigen gesundes Verhalten auch finanziell. Soll das für alle Krankenkassen kommen? McDonald: Natürlich ist es sinnvoll, über Maßnahmen nachzudenken, die positives Verhalten des Einzelnen belohnen. Kranke dürfen nicht bestraft werden – aber es muss das Ziel sein, zu honorieren, wenn sich jemand für die eigene Gesundheit engagiert, etwa zu rauchen aufhört oder sich mehr bewegt.
profil: Ist das nicht eine gefährliche Debatte? Meist leben finanziell Bessergestellte gesünder. McDonald: Fraglos ist das sozial und moralisch schwierig. Ich hoffe trotzdem auf eine breite Diskussion, dass wir darüber diskutieren können, ohne dass sich alle gleich in ihren ideologischen Schützengräben verschanzen. Denn man kann durchaus mit positiven Anreizen die Menschen unterstützen, die gesundheitlich richtigen Entscheidungen zu treffen, ohne die Freiheit des Einzelnen zu beschneiden oder sozial Schlechtergestellte zu bestrafen.
profil: Auch die derzeitige Kurpraxis hat eine soziale Schieflage: Sie ist für Beamte maßgeschneidert. Stört Sie das? McDonald: Das sehe ich nicht so, aber natürlich fällt es einem Mitarbeiter in der Privatwirtschaft schwerer, auf Kur zu gehen, auch aus Verantwortung „seinem“ Betrieb gegenüber – besonders in kleineren Unternehmen. Aber wir wollen ohnehin das Konzept Kur wegbringen vom subventionierten Quasi-Urlaub. Die Kur gehört zur Kultur der Österreicher. Wenn wir sie als Werkzeug betrachten, dort Gesundheitskompetenz zu erwerben und dieses Wissen im Alltag einzusetzen, dann bringt sie stärkeren medizinischen und volkswirtschaftlichen Nutzen.