Peter Michael Lingens: Van der Bellens (vergebene?) Chancen
Norbert Hofer hat sein Wahlkampfkonzept präsentiert: Er will die Neujahrsansprache statt in der Hofburg im Seniorenheim halten, TTIP verhindern, die direkte Demokratie forcieren und ansonsten bleiben wie er ist: grundehrlich.
Seine Partei ist erwartungsgemäß überzeugt, dass er diesmal siegt, und die Meinungsforscher sehen es ähnlich. Er tritt unter ungleich besseren Voraussetzungen an: Die wesentlich größere FPÖ hat dank entsprechend höherer Parteienfinanzierung mehr Mittel für den neuerlichen Wahlkampf; als Mitglied des Nationalratspräsidiums konnte sich Hofer bereits erfolgreich als Bundespräsident in Szene setzen; und vor allem sind dank des Verfassungsgerichtshofes drei Viertel der FPÖ-Wähler überzeugt, dass er im ersten Wahlgang um den Sieg geprellt wurde, auch wenn die Richter dafür nicht das geringste Indiz entdeckten. Blaue Wähler sind top motiviert, nochmals zur Urne zu schreiten, um Hofer = „Gerechtigkeit“ zum Sieg zu verhelfen.
In Summe hat das Höchstgericht aus einer Wahl, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein korrektes Ergebnis erbracht hat, eine Wahl gemacht, in der der ursprünglich Unterlegene einen deutlichen Vorteil genießt. Boshaft könnte man sagen: Jetzt ist der Wahlausgang tatsächlich manipuliert.
So wie wir den Gouverneur der Nationalbank höher als jedes andere Land bezahlen, bezieht auch unser Staatsoberhaupt mit 325.500 Euro im Jahr eine der höchsten Politikergagen weltweit.
Hat Alexander Van der Bellen unter diesen Voraussetzungen dennoch eine Chance? Obwohl er den ursprünglichen Sieg weit weniger der eigenen Beliebtheit als dem Umstand verdankte, dass so viele Wähler Hofer dringend verhindern wollten? Eigentlich nur dann, wenn die Ambition, Hofer unbedingt zu verhindern, stärker ist als die Ambition der Hofer-Wähler, den angeblich an ihnen begangenen „Wahlbetrug“ zu korrigieren. Ich hege da starke Zweifel.
Sachliche Argumente gegen Hofer gibt es unverändert zur Genüge: seine autoritäre Drohung, eine gewählte Regierung nach eigenem Gutdünken zu entlassen; seine unveränderte emotionale EU-Gegnerschaft, auch wenn er keine Öxit-Abstimmung fordert; sein Festhalten an einem engen Mitarbeiter aus der Neonazi-Szene. Dazu käme als wohl schwerwiegendste Folge eines Hofer-Sieges im zweiten Anlauf, dass noch mehr Österreicher glauben werden, was die FPÖ unterstellt: dass er beim ersten Anlauf um den Sieg betrogen wurde. Der von Heinz-Christian Strache so erfolgreich vertretene „Opfer“-Status der FPÖ wäre zementiert.
Kann Van der Bellen selbst noch etwas tun, ein attraktiverer Kandidat zu werden? Er könnte – aber bis dato hat er dafür wenig Initiative entfaltet.
So könnte er zum Beispiel ankündigen, dass er dafür eintreten wird, das gesetzliche Gehalt des Bundespräsidenten auf ein vernünftiges Ausmaß zu reduzieren, und dass er, bis das geschehen ist, ein Viertel des Betrages an „Ärzte ohne Grenzen“ spenden würde.
Dergleichen wäre keineswegs billige Effekthascherei, sondern dringend nötige Abkehr von österreichischer Großmachtsucht: So wie wir den Gouverneur der Nationalbank höher als jedes andere Land bezahlen, bezieht auch unser Staatsoberhaupt mit 325.500 Euro im Jahr eine der höchsten Politikergagen weltweit. Nur gerade der Staatsgründer Singapurs Lee Hsien Loong verdient deutlich und Barack Obama in Zeiten eines gestiegenen Dollarkurses etwas mehr. (Noch vor wenigen Jahren verdiente er weniger als Heinz Fischer.) Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck begnügt sich mit 199.000 Euro plus 77.000 Euro Aufwandsentschädigung.
Sollte sich der Bundespräsident aus Gründen, die er schriftlich festhalten muss, außerstande sehen, eine bestimmte Person und/oder Partei mit der Regierungsbildung zu beauftragen, so tritt er automatisch zurück und diese Befugnis geht auf das Präsidium des Nationalrates über.
Ebenso nützlich wären politische Klarstellungen. So könnte Van der Bellen lautstark wiederholen, dass er das Recht, die Regierung zu entlassen, grundsätzlich nicht in Anspruch nehmen wird und dafür eintritt, diese Befugnis ersatzlos zu streichen.
Vor allem könnte er ein von ihm selbst geschaffenes Problem ohne Gesichtsverlust aus der Welt schaffen, indem er vorschlägt, die Befugnis des Bundespräsidenten bei der Bildung einer Regierung gesetzlich zu regeln: Grundsätzlich hätte der Bundespräsident nach einer Wahl den Obmann der stimmenstärksten Partei mit der Regierungsbildung zu betrauen. Wenn dieser innerhalb einer bestimmten Frist (vielleicht drei Wochen) ohne Erfolg geblieben ist, geht der Auftrag an den Obmann der zweitstärksten Partei. Und so fort. Wenn alle Parteiobmänner scheitern, steht es dem Bundespräsidenten frei, eine weitere Person gleich welcher Partei mit der Regierungsbildung zu betrauen oder Neuwahlen zu empfehlen. Sollte sich der Bundespräsident aus Gründen, die er schriftlich festhalten muss, außerstande sehen, eine bestimmte Person und/oder Partei mit der Regierungsbildung zu beauftragen, so tritt er automatisch zurück und diese Befugnis geht auf das Präsidium des Nationalrates über, das sie mit Stimmenmehrheit wahrnimmt und nach denselben Regeln handhabt.
Eine solche Regelung gäbe dem Bundespräsidenten einerseits ein starkes moralisches Druckmittel gegenüber einer in seinen Augen ungeeigneten Person und/oder Partei in die Hand (sofern er selbst moralisches Gewicht besitzt) – andererseits vermiede sie, dass er den Ausgang einer Wahl einfach negiert.