Peter Pilz

Peter Pilz: Die Mühlen der Ebene

Peter Pilz ist ein politisches Naturphänomen. Was immer er in den vergangenen 30 Jahren anpackte, war mit Kollateralschäden verbunden. Doch ohne ihn wäre die Republik heute eine andere.

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Peter Pilz ist sicher kein Don Quijote, auch wenn er sich in trüben Momenten vielleicht selbst so sieht: als einer, der seit drei Jahrzehnten gegen Windmühlen kämpft. Peter Pilz ist ein Phänomen, der österreichischen Mentalität nicht fremd, unterhaltsam, ewig in der Rebellenpose - eine seltene Erscheinung in der Politik, oft genug auch eine unangenehme. Die Autorin dieser Zeilen hat, wie vermutlich andere Journalisten in diesem Land, ihre ärgerlichen Erfahrungen mit ihm gemacht. Man kennt seine großmäuligen Ankündigungen, seine überschießenden Beschuldigungen - immer unter dem Schutz der Immunität.

Peter Pilz hat viele Facetten. Eine anarchistische Ader gehört zweifellos dazu. Seine früheren Gesinnungsfreunde sagen, er pflege "Starallüren", sei unmäßig eitel und selbstbezogen, glaube, sich nicht an Regeln halten zu müssen, von seiner mangelnden Teamfähigkeit gar nicht zu sprechen. Manche sagen solch harte Worte mit einer gewissen Wehmut in der Stimme, so wie Mütter über ein schlimmes Kind reden. Andere wiederum bringen nur Verbitterung auf; sie mögen ihn wirklich nicht.

Wenn man Pilz damit konfrontiert, legt er die Stirn in Falten und spannt den Oberkörper. Er habe sich in den vergangenen Jahren doch geändert, dazugelernt. Er sei der Abgeordnete, der am meisten mit anderen kooperiert habe. Der Vorwurf der Rücksichtslosigkeit bleibt sein wunder Punkt.

Der andere Pilz ist sehr privat. Schon ein paar Mal stand er vor dem politischen Aus, hatte mit endlosen Klagen zu kämpfen, die ihn fast ruiniert hätten. Freunde und ehemalige Mitarbeiter waren selbst überrascht, wie sehr ihm die Krisen zusetzten. Sie hätten das nicht erwartet von diesem Besessenen, der sich mental auf einem anderen Planeten befindet, wenn er sich einmal in eine Sache verbissen hat, und dabei auch ausgesprochen schroff und rechthaberisch agieren kann.

Das Bild des Egomanen Pilz wurde von vielen gezeichnet. Warum gibt es dann fast ebenso viele, die wollen, dass er der Politik nicht verloren geht?

Pilz war immer in der Lage, politische Skandale zum Tagesgespräch zu machen, sie in die Köpfe von Millionen zu implantieren. Er hatte die Autorität und die Kraft, Dinge umzusetzen. Mag auch manchmal ein Zuträger die entscheidende Information gefunden haben - ohne Pilz wäre sie wirkungslos geblieben. Er gefällt sich als Aufdecker, doch meist ist er Hinweisen einfach beharrlicher als andere nachgegangen - wenn auch oft nicht ohne Kollateralschäden. Hätte er nicht immer wieder mit der Schrotflinte auf vermeintliche Spatzen geschossen, wäre einiges in diesem Land niemals aufgedeckt worden. Der Preis, den Pilz dafür bezahlte, waren die Klagen der Beschuldigten und, besonders schmerzhaft, die Klagen der zu Unrecht Beschuldigten. Pilz nahm die Prügel auf sich. Es gehörte zur Sache, in deren Dienst er sich gestellt hat.

Pilz sagt, er sei zeitlebens ein Bub aus der Obersteiermark geblieben, mit ein bisschen zu viel Kraft. Er wuchs in Kapfenberg auf, einer Hochburg der roten Arbeiterschaft. Der Vater war Angestellten-Betriebsrat bei Böhler, eine Gewerkschafterin auch die Mutter. Als Pilz jung war, ging es aufwärts. Eine neue Siedlung, eine Umfahrung, neue Geschäfte. Man war der Partei dankbar. Doch einmal verlor eine ältere Putzfrau ihren Job im Werk, weil sie für eine KPÖ-Betriebsratsliste unterschrieben hatte. Einmal war in einer Werkstätte im Böhlerwerk die Wahlbeteiligung bei 110 Prozent gelegen, weil die sozialistischen Gewerkschafter die Wahlurnen etwas überfüllt hatten. Pilz erinnert sich, wie entsetzt sein Vater war: "Die sind ja alle verrückt."

Überzeugt vom edlen Arafat und der PLO und keine Ahnung, wie korrupt die waren.

Geschichten von Machtmissbrauch erzählte auch Jörg Haider oft. Bei Pilz ist es etwas anders. Er schneidet sich zur Not auch ins eigene Fleisch. Er geht mit seinem Herkunftsmilieu ins Gericht. Als Heranwachsender in den 1970er-Jahren stand Pilz naturgemäß in Opposition zu seinen Eltern, links von ihnen. Während die Eltern von Israel schwärmten ("Israel! Sie dachten, in den Kibbuzim entsteht eine neue Welt"), saß Pilz mit einem Palästinensertuch am Mittagstisch. "Überzeugt vom edlen Arafat und der PLO und keine Ahnung, wie korrupt die waren", sagt er heute.

Er studierte in Wien Volkswirtschaft, engagierte sich im Verband Sozialistischer Studenten und wurde als "Linksabweichler" ausgeschlossen. Seine Gegenspieler waren unter anderem Josef Cap und Michael Häupl, bei denen sich schon Parteikarrieren abzeichneten. Fotos aus dieser Zeit zeigen Pilz mit der Gitarre in der Hand, Schlaghosen, langen Haaren und einem Ziegenbärtchen - kein besonders beeindruckender junger Mann.

Auch bei der Gruppe Revolutionärer Marxisten hielt es ihn nicht lange. Pilz war allergisch gegen Parteien und Zwänge. Es müsse auf der Welt gerecht zugehen, das seien die großen Fragen. Er hatte einen Lehrauftrag, arbeitete gemeinsam mit Alexander Van der Bellen an einer Studie zur Rüstungskonversion. Pilz war damit am Puls der Zeit. Denn die Verstaatlichte Industrie war im Niedergang begriffen und sah im Waffenexport den rettenden Ausweg, auch zur Erhaltung von Arbeitsplätzen. Die Waffenindustrie und ihre Profiteure sollten Pilz’ weiteren Weg bestimmen.

Als ein ÖVP-Nationalrat 1985 öffentlich den Verdacht äußerte, Pilz sei ein Ostspion und wolle ein Agentennetz aufbauen, und Zeitungen darüber berichteten, wurde Pilz einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Hintergrund der Verdächtigung war eine anonyme "Studie", in der die österreichische Friedensbewegung als von "marxistischen Kräften" unterwandert dargestellt wurde. Pilz ging mit dem unfreiwillig komischen Pamphlet auf Lesereise und machte eine Lachnummer daraus.

Im Frühjahr 1987 zog Pilz als einer von acht Abgeordneten der Grünen ins Parlament ein - eine Premiere, nicht zufällig im Waldheim-Jahr, in dem die Vergangenheit hochkochte, Jörg Haider in einem Putsch die FPÖ übernahm und die Große Koalition einbetoniert wurde. Die erste grüne Liste mit Freda Meissner-Blau an der Spitze war eine Mesalliance von Bürgerlichen, Alternativen und Linken. Ihre programmatische Grundlage: "Das Überleben der Menschheit" sichern sowie "ein angstfreies, glückliches Leben ins Parlament tragen".

Parteichefs der Grünen, 1986 bis 2016: Peter Pilz, Freda
Meissner-Blau, Andreas Wabl, Madeleine Petrovic, Eva
Glawischnig, Christoph Chorherr, Alexander Van der Bellen und
Johannes Voggenhuber, aufgenommen 2011 im Parlament.

Meissner-Blau sagte später, sie hätte gern die rechten und linken Fransen abgeschnitten. Sie gab bald auf, und als auch Staatsanwalt Walter Geyer sein Mandat zurücklegte, wurde Pilz 1989 in den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Affäre "Lucona" nominiert, benannt nach dem Frachter, der 1977 im indischen Ozean mit Sprengstoff aus österreichischen Heeresbeständen versenkt worden war. Der bis dahin größte Kriminalfall der Nachkriegsgeschichte: ein mörderischer Versicherungsbetrug - sechs Tote. Hans Pretterebners Buch "Der Fall Lucona" war zu diesem Zeitpunkt bereits ein Bestseller.

Der Parlamentsausschuss sollte klären, inwieweit hochrangige Politiker der SPÖ darin verwickelt waren. Sie hatten den Eigentümer der Lucona, Udo Proksch, gekannt. Sie waren gern in seinem Club 45 in der Hofkonditorei Demel verkehrt, hatten ihn hofiert, sich von ihm an der Nase herumführen lassen. Nationalratspräsident Leopold Gratz und Innenminister Karl Blecha hatten Proksch geholfen, indem sie die Ermittlungen der Polizei behinderten und ihm Papiere beschafft hatten, die sich als gefälscht herausstellten. Beide traten während des Ausschusses zurück. Und Pilz war "der Star des Lucona-Ausschusses". So titelte profil damals.

Ist bei der Zeugeneinvernahme die Reihe an Pilz, so füllt sich der Saal.

"Ist bei der Zeugeneinvernahme die Reihe an Pilz, so füllt sich der Saal", schilderte Herbert Lackner Pilz’ Auftritt. Bis ins Detail war er über Gespräche zwischen Spitzenbeamten und Ministern informiert. "Ich wusste von einem Zeugen, dass er eine halbe Stunde vor der Befragung im Büro von Innenminister Karl Blecha gesessen ist, dass er präpariert werden sollte. Beim dritten Nachfragen, wo er denn vorher gewesen sei, hat er es zugegeben. Damit war es gelaufen", sagt Pilz heute.

Woher wusste er das? "Das war meine investigative Leistung."

1991 wurde das Wrack der Lucona auf dem Meeresboden gefunden. Der Prozess gegen Proksch endete 1992 mit einem Schuldspruch wegen sechsfachen Mordes. Proksch starb in der Haft.

Fast nahtlos schloss an den Fall Lucona der parlamentarische Noricum-Ausschuss an. Dabei ging es um verbotene Waffenexporte in kriegführende Länder. Pilz hatte Blut gerochen - das war sein Thema. Noricum, eine Tochter des im Eigentum der Republik Österreich stehenden Voest-Konzerns, hatte 1985 Kanonen an den Iran verkauft; da sich der Iran im Krieg mit dem Irak befand, war das verboten. Noricum-Manager täuschten deshalb vor, die Kanonen seien an Libyen gegangen. Hatte die Spitze der Regierung davon gewusst? Zeitungen berichteten, dass der österreichische Botschafter in Athen, Herbert Amry, die Regierung in Wien per Telex mehrmals informiert hatte. Journalisten der Zeitschrift "Basta" hatten - auf einen Tipp von Pilz hin - in einem jugoslawischen Hafen die Noricum-Kanonen gefunden und fotografiert. Der Fracht waren Bedienungsanleitungen in Farsi beigelegt gewesen.

Pilz gab mit der Tochter Amrys eine Pressekonferenz und forderte, dem rätselhaften Tod ihres Vaters nachzugehen, der nach dem vierten Fernschreiben einem plötzlichen Herztod erlegen war. "Die Noricum-Geschichte habe ich sicher zu zwei Dritteln selbst recherchiert", sagt Pilz.

Bei den Grünen machte ihn das keineswegs beliebt. Das sei ungrün, hieß es. "Das Prinzip des Aufdeckens des politischen Systems ist vorbei", so Severin Renoldner damals, ein Grüner der ersten Stunde.

Pilz hielt sich nicht daran. Er deckte auf, dass im Innenministerium 58.000 staatspolizeiliche Akten lagerten. Oft waren das fehlerhafte Eintragungen über harmlose Bürger, die sich irgendwo engagierten, Spitzelberichte, die berufliche Nachteile nach sich ziehen konnten. Aus Pilz’ Stapo-Akt ging etwa hervor, dass "trotz intensiver Recherchen nicht festgestellt werden konnte", wer John Belushi sei, erinnert sich Pilz. Er hatte John Belushi von den Blues Brothers eines seiner Bücher gewidmet.

Verdient gemacht hat sich Pilz auch bei der Aufklärung der Kurdenmorde. Im Jahr 1989 war die Führungsspitze der Demokratischen Partei Kurdistans in einer Privatwohnung in Wien von einem dreiköpfigen iranischen Killerkommando erschossen worden. Die Täter konnten unbehelligt ausreisen, weil man im Außen- und Justizministerium nach Drohungen des Iran beide Augen zugedrückt hatte. Ein Jahrzehnt später ging Pilz mit der spektakulären Behauptung an die Öffentlichkeit, das damalige Killerkommando sei von einem Team flankiert worden, dem der spätere Präsident des Iran, Mahmoud Ahmadinejad, angehört habe. Der im französischen Exil lebende Expräsident Abolhassan Bani-Sadr bestätigte das.

Du Sascha, reg dich nicht auf. Im nächsten profil steht, dass du auf unserer Liste kandidierst.

Die 1990er-Jahre waren Pilz’ schwierigste Jahre. Bei Wahlen kamen die Grünen nicht über fünf Prozent hinaus. Zwei Jahre lang, 1992 bis 1994, war Pilz Bundessprecher - "nicht gerade meine Glanzzeit", sagt er selbst. Doch immerhin habe er den Wirtschaftsprofessor Van der Bellen 1993 zu den Grünen gebracht. Und das ging so: Van der Bellen bekam eines Tages einen Anruf von Pilz: "Du Sascha, reg dich nicht auf. Im nächsten profil steht, dass du auf unserer Liste kandidierst." Pilz hatte damals auch seine eigene Partei überrumpelt.

Von 1991 bis 1999 saß Pilz im Wiener Gemeinderat, ging mal diesem, mal jenem Skandal nach, beschuldigte reihenweise Politiker - eine manische Show, die damit endete, dass er von den Wienern abmontiert wurde und wieder ins Parlament wechselte. Er war an Krebs erkrankt, was nur enge Freunde wussten. In diesen Jahren ging er auch das größte Risiko ein. Veröffentlichungen über ein Wiener Baukartell und Preisabsprachen brachten ihm eine Klagsdrohung über mehrere Millionen Euro ein. "Die Summe war für mich so unvorstellbar, dass ich wohl deshalb keine Angst hatte", sagt Pilz. Am Ende bekam er recht.

In der schwarz-blauen Ära machten sich auch andere Grüne als Aufdecker und Korruptionsjäger einen Namen: Gabriele Moser, die den Komplex Grasser und die Privatisierung der Buwog recherchierte, Werner Kogler und der Kärntner Rolf Holub in der Causa Hypo Alpe-Adria.

Pilz konzentrierte sich auf den Kampf gegen die Eurofighter. Er tut das seit 15 Jahren. Im ersten parlamentarischen Eurofighter-Ausschuss 2007 war ihm in den Akten die Überweisung einer Firma namens "Vector Aerospace", aufgefallen. Das Netzwerk rund um Vector ist nun zentraler Bestandteil der Strafanzeige gegen Airbus (vormals EADS).

Den Vorwurf, im zweiten Eurofighter-Ausschuss, der wegen der Neuwahlen abgebrochen werden musste, sei zwar der ehemalige SPÖ-Verteidigungsminister Norbert Darabos in die Mangel genommen, der schwarz-blaue Anteil jedoch auffallend unterbelichtet worden, weist Pilz entrüstet zurück. "Die politische Naivität von Journalisten habe ich nie verstanden. Wir mussten Darabos wegen der drohenden Verjährungsfrist vorziehen. Aber ich hätte die FPÖ sonst auch nie ins Boot bekommen. Wirklich wichtig war, dass das System mit den Gegengeschäften auf den Tisch kam." Pilz schreibt derzeit an einem Buch über die Eurofighter. Es soll noch vor den Wahlen herauskommen.

Es ist ein Naturgesetz, dass Parteistrukturen versteinern und sich bürokratisieren. Hat der Abgeordnete der Partei zu gehorchen oder ist er frei?

Und er arbeitet mit Hochdruck an seiner Liste. Parteien hätten keine Zukunft, meint er. "Es ist ein Naturgesetz, dass Parteistrukturen versteinern und sich bürokratisieren. Hat der Abgeordnete der Partei zu gehorchen oder ist er frei?"

Das allein sei sein Konflikt mit den Grünen gewesen. "Wie oft habe ich SMS und Mails bekommen mit dem Titel ‚Sprachregelung‘ . Die Partei war der Meinung, die Sprache der Abgeordneten musste geregelt werden, und wenn man sich nicht daran hielt, wurde das als parteischädigendes Verhalten gewertet."

Nun will Pilz mit autonomen Persönlichkeiten wieder in den Nationalrat einziehen. Die ersten vier Unterstützer stellten sich bereits am vergangenen Dienstag vor. Der Wahlkampf soll via Crowdfunding finanziert werden.

Es gibt kein Programm, sagt Pilz, oder vielmehr: "Ich bin das Programm - jeder Einzelne ist das Programm."

Christa   Zöchling

Christa Zöchling