Pflegenotstand: Protokolle aus einer heillos überlasteten Branche
Margit Luxner, 49 Jahre, Pflegeassistentin im Altenwohnheim Kitzbühel, Gewerkschafterin in der GPA-djp Tirol "21 Jahre lang arbeite ich jetzt schon als Pflegeassistentin, ich mache das mit Liebe, aber die Lage wird immer schwieriger. Die Krankheitsbilder haben sich verändert, es gibt mehr Demenzkranke, immer mehr Menschen haben wenige Angehörige, sind einsam, leiden an Depressionen. Man müsste eigentlich mehr Zeit für die Menschen haben, hat aber immer weniger, weil der Arbeitsdruck gestiegen ist. Ich leite das Tagesseniorenzentrum im Altenwohnheim Kitzbühel, insgesamt bieten wir hier rund 135 Betreuungsplätze an. Wir ringen ständig um Personal. Eine Zeit lang haben wir über Leasingfirmen, teilweise aus Deutschland, Pflegekräfte bezogen. Aber die bekommt man jetzt auch nicht mehr. Im Grunde sucht jedes Haus nach Leuten.
Dass die Standards heute viel höher als früher sind, ist gut, das Problem ist nur: Die Strukturen rundherum sind gleich geblieben. Früher hat der Nachtdienst um 4 Uhr früh mit der Grundkörperpflege begonnen, am Morgen waren dann schon drei bis vier schwere Pflegefälle fertig. Heute wird Gott sei Dank der normale Tag-Nacht-Rhythmus eingehalten, aber die Pflegekraft im Tagdienst ist dadurch komplett überfordert. Klienten waschen, anziehen, Frühstück machen, die Heilbehelfsmittel reinigen, dazu kommt der ganze bürokratische Aufwand.
Seit Kurzem haben wir eine eigene Schule für Sozialbetreuungsberufe im Haus. Nach einem halben Jahr haben zwei Schüler schon wieder aufgehört. Die frisch Diplomierten gehen meistens ins Krankenhaus, weil es dort mehr Action gibt. Bei uns hat man nicht viele Erfolgserlebnisse. Verlässt ein Klient das Haus, dann meistens, weil er gestorben ist. Viele meiner Kolleginnen haben den Beruf gewechselt und sind in die Gastronomie oder in den Handel gegangen. Wir haben immer wieder Ausfälle, darunter auch Langzeitkrankenstände. Kollegen, die ins Burn-out fallen. Wenn sie zurückkommen, sind sie meistens nicht mehr dieselben. Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen. Die 35-Stunden-Woche wäre ein Anfang und unbedingt notwendig.“
Anna S., 28 Jahre, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin in einem Spital in Oberösterreich
"Ich bin diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und arbeite seit fünf Jahren in einem allgemeinen Krankenhaus in Oberösterreich. Auch bei uns ist das größte Problem der Personalmangel. Wir bekommen einfach keine Leute. Viele kündigen, weil sie überlastet sind. Das beginnt bei den Arbeitszeiten: Die Schichten wechseln oft von Tag zu Tag, jeder muss ständig Überstunden machen. Wir haben heute viel mehr ältere Menschen und Patienten mit Demenz, 80-Jährige, die nach einer Operation an Delir leiden, also an einer akuten Verwirrtheit nach der Narkose. Der Pflegeschlüssel wird aber nicht dementsprechend angepasst. Dass wir zu zweit in der Nacht 40 Patientinnen betreuen, ist bei uns Standard. Ich kann in so einer Situation nicht sicherstellen, dass kein Patient unbeaufsichtigt aufsteht und stürzt. Das muss man einmal moralisch vertreten können, dass die notwendige Pflege nicht gewährleistet werden kann. Auch nach der Arbeit lässt mich der Gedanke daran nicht los. Ich kann oft die Intimsphäre der Patientinnen nicht wahren, weil die Zeit dafür fehlt. Gerade in der Sterbephase bräuchten die Menschen Ruhe, aber nicht einmal die können wir ihnen geben. Wir stehen ständig unter Stress.
Im Krankenhaus herrscht nach wie vor ein hierarchisches System. Wer zählt, sind die Ärzte. Die Patientinnen selbst werden immer mündiger, was grundsätzlich gut ist, aber die häufigen Klagedrohungen und Anwaltsbriefe machen unsere Arbeit noch anstrengender. Der Beruf braucht endlich eine neue Wertschätzung. Ich habe Angst, dass wir irgendwann solche Missstände wie in Deutschland bekommen, wo Stellen einfach nicht mehr nachbesetzt werden.“
Elfriede M., 65 Jahre, pflegende Angehörige, Obersteiermark "Manchmal, wenn meine Eltern Mittagsschlaf gemacht haben, bin ich in den Garten gegangen und habe heimlich geweint. Mein Vater ist 2015 gestorben, er hatte Alzheimer, jetzt pflege ich nur noch meine Mutter. Wären es nicht meine eigenen Eltern, hätte ich das nicht durchgestanden. Es verlangt einem alles ab. Anfangs habe ich nebenbei noch gearbeitet. Später, als mein Vater bettlägerig wurde, bin ich ganz daheim geblieben. Wir haben eine mobile Krankenpflege organisiert. Die Pflegerinnen waren immer sehr nett und wertschätzend, aber selbst oft überfordert. In unserer Region gibt es nicht so viele mobile Dienste und Mitarbeiter. Wenn du spontan Hilfe brauchst, geht das häufig nicht. Mich hat deswegen eine Zeit lang eine mir bekannte Krankenschwester unterstützt. Auch meine Mutter braucht rund um die Uhr Betreuung. Als ich vor Kurzem selbst länger krank war, konnte ich kurzfristig keinen Pflegeheimplatz für sie in der Gegend finden. Ich bin fast verzweifelt. Jetzt kommt zwei Mal in der Woche eine Heimhilfe zu uns. In dieser Zeit fahre ich einkaufen, mache Erledigungen oder atme einfach durch.“
Elisabeth Schwarz, 59 Jahre, mobile Heimhilfe bei der CS Caritas Socialis in Wien "In den letzten Jahren ist es für mich schlimmer geworden. Es gibt häufig Dienstplanänderungen. Ständig muss ich einspringen und erreichbar sein, weil wieder eine Kollegin im Krankenstand ist. Seit 33 Jahren arbeite ich jetzt Vollzeit in der mobilen Heimhilfe, und ich habe in dieser Zeit viele Kolleginnen kommen und gehen sehen. Die meisten bleiben heute nicht länger als vier oder fünf Jahre, weil sie es nicht schaffen; weil sich dieser Beruf mit Familie schwer vereinbaren lässt. Bei uns arbeiten sehr viele Frauen. Auch ich habe öfter darüber nachgedacht, zu wechseln, besonders als meine Tochter noch klein war. Es ist eine schöne Arbeit, von den Klienten kommt viel Herzlichkeit zurück, aber der Beruf bedeutet auch Stress, wenig Geld und wenig Wertschätzung. Wenn Junge bei uns in den Job hineinschnuppern, sagen sie nach ein paar Tagen: Das tu ich mir nicht an.
Katharina P., 33 Jahre, mobile Hauskrankenpflegerin, Steiermark "In der Regel betreue ich acht Personen am Tag, manchmal bis zu zehn. Ich stehe um fünf Uhr früh auf, um 6.30 Uhr bin ich beim ersten Klienten. Ich arbeite bis 13 Uhr, oft auch bis 14 Uhr durch, dann habe ich zwei bis drei Stunden Pause, bevor es weitergeht, häufig bis 20 Uhr. Die Zeit beim Klienten wurde uns gekürzt. Oft müssen wir innerhalb von 30 Minuten die Menschen waschen, anziehen, Frühstück machen, Bett überziehen, Medikamente vorbereiten. Für ein Gespräch bleibt kaum Zeit, dabei wäre das so wichtig. Die Menschen vereinsamen. Viele machen den Fehler und beantragen zu spät eine Heimhilfe. Die Klienten sind dann in der Pflegestufe 1, dabei bräuchten sie drei Mal am Tag eine Unterstützung. Nach ein paar Wochen übersiedeln sie dann ins Pflegeheim, meist krankheitsbedingt. Auch dort sind die Kollegen überfordert. Ich verstehe nicht, warum wir um 250 Millionen Euro eine zweite Stadthalle in Wien bauen anstatt das Geld in die Betreuung und Pflege von Menschen zu investieren. Die 35-Stunden-Woche wäre für mich eine echte Entlastung. Ich hätte 18 Tage mehr Freizeit im Jahr. Wir bräuchten diese Tage dringend.“
Ich habe vor Kurzem in die mobile Hauskrankenpflege gewechselt. Ich habe das im Krankenhaus nicht mehr geschafft. Ich war zuerst in Wien, später in der Steiermark, immer auf der Ambulanz für innere Medizin. Am Wochenende hatte ich 24-Stunden-Dienste, war allein für rund 30 Patienten zuständig, wo jeder einzelne im Schnitt drei Stunden in Betreuung war. Im Krankenhaus arbeiten viele Pflegerinnen in Teilzeit. Fällt jemand aus, wird selten nachbesetzt, dann hast du die doppelte Arbeit. Du bist im Dauerstress.
Jetzt kann ich mir die Zeit flexibler einteilen. Ich beginne um halb acht in der Früh und kann davor noch meine Kinder in den Kindergarten bringen. Der Personalmangel ist in der mobilen Hauskrankenpflege aber noch größer als im Krankenhaus. Ich führe viele Visiten durch, kümmere mich darum, dass alle nötigen Hilfsmittel bei den Patienten vor Ort sind, betreue Wundheilpatienten, führe Verbandswechsel durch. Man muss oft kurzfristig einspringen. Da kann es auch vorkommen, dass du als Krankenpflegerin einen Tag lang normale Heimhilfe machst und die Haushaltstätigkeiten übernimmst. Da hilft dir auch dein Diplom nichts – die Menschen müssen versorgt werden."
Irina S., 35 Jahre, Pflegeassistentin in einer Privatklinik in Graz "Ich wollte eigentlich länger in Karenz bleiben, aber meine Chefin hat mich darum gebeten, ein halbes Jahr früher zurückzukommen. Sie brauchen Leute. Ich bin Pflegeassistentin in einer Privatklinik in Graz, auf der Station für allgemeine Chirurgie. Ich habe Kleinkinder daheim und derzeit eine 25-Prozent-Stelle – zumindest offiziell. In Wahrheit arbeite ich jeden Monat das Doppelte. Die Stimmung im Krankenhaus ist schlecht, vor allem bei den Kolleginnen, die Vollzeit arbeiten. Wenn du drei Tage hintereinander 12-Stunden-Dienste machst, bist du einfach fertig. Es ist oft so viel los, dass man nicht weiß, wo man zuerst angreifen soll. Die Patienten tun mir leid. Manchmal kommen sie viel zu spät zum Mittagessen, weil ihnen niemand aus dem Bett hilft. Dabei sind das sogar Privatversicherte, die für einen höheren Standard zahlen. Bei den Kolleginnen häufen sich die Krankenstände, andere müssen in den Pflegeurlaub, weil ihre Kinder krank sind. Ich weiß nicht, wie das auf Dauer gut gehen soll.“