Ein Mann sitzt an einem Tisch. Es ist Sektionschef Pilnacek.
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Fall Pilnacek: Die eigentümlichen Gutachter des Peter Pilz

Um die Theorie zu stützen, der Justiz-Sektionschef sei 2023 einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen, engagierte Peter Pilz privat Sachverständige. Wie valide sind deren Gutachten?

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Die Vorstellung am 30. November in der KIA Metropol Arena in Nürnberg ist ausverkauft. Wer Dr. Michael Tsokos dennoch live erleben will, hat dazu in der kommende Woche in Freiburg und Ravensburg die Möglichkeit – Restkarten sind vorhanden. Dr. Tsokos hat seinen Beruf zur Show gemacht. Als Gerichtsmediziner leitete er von 2007 bis 2023 das Institut für Rechtsmedizin der Charité in Berlin. Nun füllt er Veranstaltungshallen mit seinem Programm „Faszination Rechtsmedizin & Phänomen Forensik“. Dazu schreibt er Kriminalromane und Sachbücher („Schwimmen Tote immer oben?“) und führt auf seiner Website einen Video-Blog, der ihn beim Sezieren von Leichen zeigt. 

Vielleicht war Tsokos‘ Prominenz der Grund dafür, dass er vom Ex-Politiker Peter Pilz (Grüne, Liste Pilz) beauftragt wurde, ein Gutachten zum Tod von Christian Pilnacek anzufertigen. Der Leichnam des Justizsektionschefs wurde am 20. Oktober 2023 in einem Seitenarm der Donau bei Rossatz am Rücken treibend aufgefunden. Ermittler und Justiz schlossen ein Verbrechen aus und wollten den Fall abschließen. Doch bis heute beschäftigt die Causa Behörden, Justiz und Öffentlichkeit.

Vergangene Woche begann die politische Aufarbeitung. Der von der FPÖ eingesetzte Untersuchungsausschuss nahm seine Arbeit auf. Bis zum 17. Dezember müssen Kanzleramt, Innen- und Justizministerium alle Akten liefern, die für den U-Ausschuss relevant sein könnten. Darunter wird sich auch ein Konvolut von etwa 40 Seiten befinden: die drei medizinischen Gutachten, die zum Tod des Sektionschefs bisher vorliegen. 

Gutachter-Karussell

Das offizielle Gutachten ist mit 13 Seiten das umfangreichste. Es wurde vom Gerichtsmediziner Christian Matzenauer im Auftrag der Staatsanwaltschaft Krems erstellt und ist mit 21. November 2023 datiert. Matzenauer verfasste es auf Basis der Leichenbeschau und der Obduktion. Dazu lieferten zwei Sachverständige für angewandte und allgemeine analytische Chemie Zusatzgutachten. Die Obduktion nahm Matzenauer am 26. Oktober 2023 im Institut für klinische Pathologie der Klinik Favoriten in Wien vor. Sie dauerte zwei Stunden und 35 Minuten. Insgesamt wurden durch „äußere und innere Besichtigung“ 61 Aspekte untersucht, von den Extremitäten über den Schädel bis zu Hals, Brust- und Bauchhöhle. Der wesentliche Satz befindet sich auf Seite 11 des Gutachtens: „Nach dem Ergebnis der Obduktion des Leichnams des Christian Pilnacek ist das Ableben auf Ertrinken zurückzuführen.“ Typische Befunde dafür seien unter anderem „eine weitgehend trockene Lungenüberblähung“, ein „wässriger Leerdarminhalt“, „eine Entspeicherung der Milz“ und „eine akute Blutstauung der inneren Organe“. Am Leichnam festgestellte Hautunterblutungen, Abschürfungen und eine Rissquetschwunde im Gesicht seien „mit einer Entstehung im Rahmen von Sturzgeschehen, etwa im Zuge des Abstieges zum Ufer des Gewässers, vereinbar“. Conclusio des Gutachters: „Eindeutige Hinweise auf eine Gewalteinwirkung durch fremde Hand ergaben sich nicht.“

Peter Pilz wollte sich damit nicht zufriedengeben. Der frühere Grünen-Politiker betätigt sich als Autor und betreibt ein Online-Portal („ZackZack“). Dort thematisiert er intensiv die Theorie, Pilnacek sei durch ein Tötungsdelikt ums Leben gekommen. Um diese zu stützen, gab Pilz zwei Privatgutachten in Auftrag, die das offizielle Gutachten überprüfen sollten, das der Ex-Abgeordnete den Sachverständigen schickte. Michael Tsokos, Gerichtsmediziner und Bühnenstar, übermittelte eine sechsseitige „rechtsmedizinische Stellungnahme“ mit Datum 26. September 2024. Dass die äußeren Verletzungen von einem Sturz stammen könnten, wird von Tsokos angezweifelt. Nach dessen Ansicht seien etwa „Einblutungen im Kopfwendemuskel links schwerlich mit einem Sturzgeschehen vereinbar“. Dies würde eher zu einem „Schlag gegen den Hals“ passen. Tsokos hält aber auch fest, es bedürfe zur Beurteilung der Gründe für die Verletzungen „der Einsichtnahme in die Fotodokumentation der Obduktion“. Der Zustand der Lunge ist laut Tsokos nicht „typisch für Ertrinken“. Aus dem Magen lasse sich nur schließen, „dass der Leichnam sich nach dem Tod im Wasser befand“. Tsokos‘ Schluss: „Für ein Ertrinken liegen keinerlei wirklich überzeugende Obduktionsbefunde vor.“

Allerdings relativiert Tsokos seine Aussage gleich selbst. Dass Pilnacek ins Wasser gelangte, könnte auf „Unfall, Suizid oder ein Tötungsdelikt“ zurückzuführen sein. Eine weitere Einschätzung sei „in Ermangelung von Fotos“ nicht möglich. Offenbar hielt Pilz das Gutachten nicht für ausreichend und übermittelte weitere Fragen. In einer weiteren Stellungnahme schreibt Tsokos: Ob Pilnacek ertrunken sei oder nicht, „vermag rechtsmedizinisch nicht mit dieser Absolutheit beantwortet werden, wie es im strafrechtlichen Interesse natürlich sinnvoll erscheint“.

Ein sitzender Mann, es handelt sich um den Ex-Politiker Peter Pilz
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Unfall oder Suizid?

Das zweite von ihm beauftragte Gutachten muss für Pilz eine Enttäuschung gewesen sein. Dieses wurde vom Innsbrucker Gerichtsmediziner Stefano Longato erstellt und ist mit 11. Oktober 2024 datiert. Longatos Kernaussage: „Auf Grundlage der vorhandenen Unterlagen kann festgestellt werden, dass entsprechend den Erkenntnissen aus dem Obduktionsbericht des Leichnams des Pilnacek Christian die Todesursache des Mannes zwanglos mit einem Tod durch Ertrinken in Einklang zu bringen ist.“ Die im offiziellen Matzenauer-Obduktionsbericht „festgehaltenen Verletzungen an den Extremitäten, wie auch die Verletzung im Bereich der rechten Stirn, an den Händen usw. sind von der Lokalisation her zwanglos mit, auch mehreren, Sturzgeschehen in Einklang zu bringen.“ Es gebe „keine Hinweise auf grobe Gewalteinwirkung durch fremde Hand“. Allerdings erscheint Longato „der kolportierte Suizid aus gerichtsmedizinischer Sicht wenig wahrscheinlich“, ein Unfall dagegen „wahrscheinlich“.

Als einziger Gutachter nimmt Longato auch auf den Umstand Bezug, dass die Leiche am Rücken treibend an der Wasseroberfläche gefunden wurde. Denn „typischerweise würde ein toter Körper im Wasser primär untergehen“, während an der Oberfläche treibende Tote meist in Bauchlage aufgefunden würden. Doch werde auch die Rückenlage in Lehrbüchern der gerichtlichen Medizin „als möglich beschrieben“. Ist ein Leichnam bekleidet, könne der vermehrte Auftrieb zu einem Treiben an der Wasseroberfläche führen. Ebenso könnten „natürliche Strömungen, Wirbel und ähnliche Erscheinungen“ zu einem (auch mehrfachen) Wenden des Körpers führen.

Weil ihm das offenbar nicht ausreichte, brachte Pilz einen weiteren Mediziner ins Spiel: Dr. Wolfgang Schaden, nach eigenem Bekunden „Unfallchirurg mit mehr als 30jähriger Berufserfahrung, aber kein gerichtlicher Gutachter“. Interessantes Detail: Peter Pilz ist seit Jahren Schadens Patient. Dr. Schaden äußert sich auf drei Seiten (datiert mit 27. August 2024) zur Frage, ob Pilnaceks äußere Verletzungen von einem Sturz oder einem Schlag stammen könnten. Demnach seien einzelne im Obduktionsbericht beschriebene Verletzungen mit „einem Sturz vornüber“ in Einklang zu bringen, andere allerdings nicht. In diesem Falle sei Schadens Ausführungen zufolge dreierlei möglich: „ein Sturz nach hinten“; „mehrere Sturzgeschehnisse“; „andere Gewalteinwirkungen“. Auch Wolfgang Schaden hält fest: „Leider liegen keine Fotos vor, die eine weitere Beurteilung deutlich erleichtern würden.“ 

Somit sind vier schriftliche Stellungnahmen vorhanden: Ein von der Staatsanwaltschaft betrauter Gerichtsmediziner, der keine eindeutigen Hinweise auf ein Tötungsdelikt feststellt. Ein privat beauftragter Innsbrucker Gerichtsmediziner, der sich dieser Meinung anschließt. Ein weiterer privat beauftragter Gerichtsmediziner aus Deutschland, der ein Tötungsdelikt nicht wirklich bestätigt, aber auch nicht ausschließt. Ein Wiener Unfallchirurg, der über keine rechtsmedizinische Expertise verfügt. Peter Pilz behauptet dennoch und mehrfach, man müsse aufgrund der Gutachten davon ausgehen, dass Christian Pilnacek getötet worden sei. Warum er das glaubt, weiß wohl nur er selbst. 

Gut bezahlte Gutachter

Zumal die zwei von Pilz eingeholten Privatgutachten Fragen aufwerfen. Stefano Longato wurde explizit damit beauftragt, „insbesondere dahingehend“ zu begutachten, „inwieweit sich Hinweise oder Beweise aus den Unterlagen ergeben könnten, ob und wenn ja, welche Ursachen zum Tod des Pilnacek, außer des kolportierten Suizids, aus gerichtsmedizinischer/forensischer Sicht möglich bez. wahrscheinlich wären.“ Longato erhielt von Pilz also gewissermaßen eine inhaltliche Vorgabe. Laut einer am 11. Oktober 2024 an die „Zack Media GmbH/Dr. Peter Pilz“ gestellten Honorarnote verrechnete Longato für sein Gutachten, das er in bloß drei Stunden verfasst hatte, 1000 Euro. Der Innsbrucker Rechtsmediziner arbeitet auch als Lektor am Institut für Strafrechtswissenschaften der Johannes-Kepler-Universität Linz. profil liegt die Abschrift einer Lehrveranstaltung vor, in der er sich über sein Gutachten äußert. Dieses sei „gut bezahlt“ gewesen. Er halte einen Unfall für wahrscheinlicher als einen Suizid. Denn Wasser sei „untypisch für Männer. Männer brauchen mehr Theatralik: Schießen, Aufhängen, solche Sachen sind typisch. Sich in irgendwelche Maschinen reinwerfen – das ist typisch männlich, das Wasser und die Tabletten sind eher weiblich.“

Michael Tsokos verlangte für seine Expertise 5000 Euro, wie Pilz vor Gericht aussagte. In diesem Verfahren wies der offizielle Sachverständige, Christian Matzenauer, am 23. Oktober die Kritik von Tsokos scharf zurück und äußerte seinerseits Zweifel an dessen Gutachten. Der Prozess wegen übler Nachrede war von mehreren in den Fall involvierten Polizisten gegen Pilz beziehungsweise dessen Zack Media GmbH angestrengt worden, da Pilz ihnen „Amtsmissbrauch“ vorgeworfen hatte. In einem Fall wurde die Zack Media GmbH bereits – nicht rechtskräftig – verurteilt. 

Promi-Rechtsmediziner Tsokos fiel in der Vergangenheit öffentlich durch eigentümliche Äußerungen auf. In einem Interview mit der Plattform „express.de“ im Juli 2024, in dem er als „Rockstar unter den Gerichtsmedizinern“ vorgestellt wurde, bezweifelte er, dass sich der Sänger der Band „Nirvana“, Kurt Cobain, im April 1994 tatsächlich erschossen hätte. Und Popsängerin Whitney Houston sei im Jahr 2012 im Hotel Beverly Hilton nicht in einer Badewanne ertrunken, sondern ertränkt worden. Deren Leiche sei in der Wanne bäuchlings liegend gefunden wurde. Tsokos: „Das gibt es nicht. Ich habe schon einige hundert Badewannenleichen seziert, die lagen alle auf dem Rücken in der Wanne.“

Offen ist, ob Tsokos und Longato, als Auskunftspersonen vor den U-Ausschuss geladen werden.

Hilfe bei Krisen

Gernot Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und seit 2025 Leiter des Innenpolitik-Ressorts. Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl.