Schulen
Polaschek: "Kein Lehrer soll Angst haben, die Wahrheit zu sagen"
Lehrer sollen Klartext reden dürfen, um Zustände an Schulen zu verbessern, sagt der Unterrichtsminister. Ein "Hilfspaket" für Wien - die Stadt muss wegen vieler Flüchtlingskinder Containerklassen aufstellen - lehnt er ab. Aus diesen Gründen.
Von Clemens Neuhold
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Polaschek polarisiert:
- "Zuwanderung spielt eine große Rolle an Schulen"
- "Wir müssen deutlicher aufzeigen, was bei uns geht und was nicht"
- "Von mir keinerlei Tendenzen, Lehrern den Mund zu verbieten"
- "Großzügigere Sozialleistungen in Wien ziehen Flüchtlinge an"
- "In Wien wurde Gettobildung durch Wohnsilos befördert"
- "Ukraine-Klassen sind der Beleg: Deutschförderklassen funktionieren"
- "Ich bin ein Liberaler, Kickl ist ein Rechtsextremer"
- "Noten abschaffen wäre für mich eine rote Linie"
Seit vergangenem Jahr buhlen Sie intensiv um Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger. In unserer Coverstory haben wir einige dieser Spätberufenen porträtiert. Ein Teil hat wieder hingeschmissen. Geht Ihr Masterplan gegen den Lehrermangel dennoch auf?
Polaschek
Ja, der Plan geht auf. Mit Stand Jänner 2024 haben bisher nur 27 von 696 Quereinsteigern wieder aufgehört. Dass so wenige Quereinsteiger die Schulen wieder verlassen haben, ist derzeit eine absolute Erfolgszahl.
Die Gewerkschaft sagt, sie berät viele überforderte Quereinsteiger, die wieder aussteigen wollen.
Polaschek
Viele Quereinsteiger berichten ganz anders über ihre bisherigen Erfahrungen. Zudem haben wir für Junglehrerinnen und Junglehrer eine eigene Anlaufstelle im Ministerium eingerichtet und gehen allen Problemen nach, die an uns herangetragen werden.
Viele Quereinsteiger wissen nach sechs Monaten im Dienst immer noch nicht, wie viel sie eigentlich verdienen. Sie harren mit dem Einstiegsgehalt aus, weil Vordienstzeiten noch nicht angerechnet wurden.
Polaschek
Der starke Anstieg von neuen Lehrern führt in manchen Bundesländern wie Wien aber offenbar zu einem Rückstau. Gleichzeitig arbeiten wir gemeinsam mit dem Beamtenministerium an Vereinfachungen.
Stößt man neue Lehrer an städtischen Mittelschulen nicht zu sehr ins kalte Wasser? Bei „Teach for Austria“, einer Bildungsinitiative, die es seit zwölf Jahren gibt, werden Quereinsteiger monatelang auf ihre Arbeit in sogenannten Brennpunktschulen gerüstet.
Polaschek
Wie wir Quereinsteiger auswählen und vorbereiten, ist einzigartig in Europa. Natürlich kann man es immer noch besser machen. Wir prüfen das laufend. Aber in der Praxis gibt es dann ja auch die Hilfe durch Mentorinnen und Mentoren an den Schulen selbst.
Manche dieser erfahrenen Lehrerinnen und Lehrer, die als Mentoren infrage kämen, sehen Neuzugänge kritisch. Weil sie nicht verstehen, warum Quereinsteiger noch ohne pädagogische Ausbildung mit ihnen ab dem ersten Tag gleichgestellt sind.
Polaschek
Quereinsteiger sind wichtig, weil sie andere Lebens- und Berufserfahrungen einbringen. Das Rückgrat des Bildungssystems bleiben aber Lehrerinnen und Lehrer, die den Beruf von Anfang an studiert haben.
Aus manchen Bundesländern kommt der Ruf, auch Volksschulen für Quereinsteiger zu öffnen.
Polaschek
Ich stehe dem grundsätzlich offen gegenüber. Dieser Schritt muss aber sorgfältig geprüft werden. Denn in der Volksschule sind ganz andere pädagogische Konzepte gefragt als in Mittelschulen oder Gymnasien.
Eine Quereinsteigerin, die wir porträtierten, wechselte fluchtartig von einer Wiener Mittelschule an eine Landschule in Niederösterreich. Dort müsse sie keine Angst haben, dass Schüler ein Messer im Hosensack haben, begründete sie ihren Schritt. Was ist los an unseren Schulen?
Polaschek
Wir sehen deutliche Unterschiede bei der Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler in ländlichen Gemeinden und im städtischen Bereich. Das soziale Gefälle ist viel größer. Und das ist eine Herausforderung. Schulen spiegeln die Gesellschaft wider. Und damit auch eine Grundstimmung, die seit Jahren immer aufgeheizter wird. Wir haben deswegen das Budget für Workshops, Anti-Gewalttrainings und die Sozialarbeit an Schulen erhöht. Allein heuer sind es 700.000 Euro extra.
Etliche Präventionsprogramme laufen seit Jahren. Dennoch hat sich die Zahl der Suspendierungen von gewaltbereiten Schülern in nur vier Jahren verdoppelt – mit Wien als Hotspot. Welche Rolle spielt Zuwanderung bei dieser Entwicklung?
Polaschek
Natürlich eine große. Wir sehen, dass Menschen, die mit einem anderen gesellschaftlichen Hintergrund nach Österreich gekommen sind, zum Teil auch andere Verhaltensweisen an den Tag legen. Das können auch Menschen sein, die schon sehr lange bei uns leben. Hier müssen wir deutlich zeigen, was in Österreich geht und was nicht. Da denke ich insbesondere auch an die Antisemitismus-Arbeit. Wir müssen die Lehrerinnen und Lehrer unterstützen.
Bei Recherchen hat man eher das Gefühl, dass Lehrer oder Direktoren einen Maulkorb verpasst bekommen haben. Kaum jemand traut sich, frei und offen zu sprechen.
Polaschek
Vor welchen Konsequenzen sollten sie Angst haben?
Vor Versetzungen zum Beispiel.
Polaschek
Lehrerinnen und Lehrer sind dienstrechtlich sehr gut geschützt, eine Versetzung ohne Einbindung der Personalvertretung ist nicht möglich. Wir müssen alle daran arbeiten, das Bildungssystem zu verbessern. Deswegen ist es wichtig, zu hören, was funktioniert und was nicht. Von meinem Ministerium gibt es überhaupt keine Tendenzen, jemandem den Mund zu verbieten. Das sehen hoffentlich auch die Bildungsdirektionen so. Lehrerinnen und Lehrer, und besonders auch die erfahrenen Direktorinnen und Direktoren, sollten keine Angst haben, die Wahrheit zu sagen und frei zu sprechen. Ich bin selbst wöchentlich an Schulen, um mir ein Bild zu machen und tausche mich mit den Lehrkräften aus. Ich sage dabei aber auch immer
Wann waren Sie das letzte Mal in einer Wiener Mittelschule?
Polaschek
Ende Jänner.
Wie waren dort ihre Eindrücke?
Polaschek
Eigentlich sehr gut. Angesprochen wurde die Last der Bürokratie. Man wünscht sich hier Unterstützungspersonal. Da bin ich dahinter.
In einer Koalition mit der SPÖ
könnte sich Polaschek vorstellen,
Minister zu bleiben ...
In Frankreich gibt es die „vie scolaire“, eine Einheit aus Sekretariatspersonal, Psychologen, Sozialarbeitern. Sie kontrolliert die Anwesenheit oder Abwesenheit von Schülern, sorgt für die Einhaltung der Schulordnung, interveniert bei Konflikten. Das spielt Lehrer für den Unterricht frei. Warum gibt es das bei uns nicht?
Polaschek
Weil wir bisher keine Möglichkeit hatten, pädagogisches Assistenzpersonal an Schulen zu bringen. Schule dauert formal bis Mittag, dann kommt das Freizeitpersonal ins Spiel. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Wenn wir Ganztagsschulen wirklich ernst nehmen, brauchen wir den ganzen Tag Personal mit verschiedenen Kompetenzen, das an den Schulen voll integriert ist – vom Lehrer bis zum Sozialarbeiter. In anderen Ländern sind solche multifunktionalen Teams gang und gäbe. Wir sind hier Schlusslicht.
In Wien demonstrieren Freizeitpädagogen regelmäßig gegen ihre Reformidee.
Polaschek
Ich kann das nur schwer nachvollziehen. Denn natürlich werden diese Personen übernommen und natürlich verdienen sie danach nicht weniger. Wir brauchen sie alle dringend.
Der oberste Gewerkschafter in Wien, ihr ÖVP-Parteikollege Thomas Krebs, hat zuletzt eine andere Art von Unterstützungspersonal gefordert
Polaschek
Wir sollten hier sehr besonnen vorgehen. Natürlich gibt es Schüler, die eine besondere Herausforderung sind. Aber das sollten wir punktuell entscheiden, ob es zusätzliche Sozialarbeit braucht.
Bei Messern in der Tasche?
Polaschek
Für solche Fälle gibt es die Zusammenarbeit der Schulen mit Grätzelpolizei, die das Innenministerium verstärkt hat.
Sie haben die Verantwortung von Eltern angesprochen. Der Wiener Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr von den Neos fordert Verwaltungsstrafen für Eltern, die nicht mit Lehrern oder Sozialarbeitern reden wollen und entsprechende Einladungen einfach ausschlagen. Die ÖVP-dominierte Gewerkschaft sieht das genauso. Sie waren bisher dagegen.
Polaschek
Ich bevorzuge Sozial- und Integrationsarbeit als Weg, mit Eltern ins Gespräch zu kommen. Ein paar Euro Geldstrafe lösen keine sozialen Probleme. Aber wenn Eltern ihren elterlichen Pflichten gegenüber Schule und Kind so gar nicht nachkommen und nur noch Strafen helfen, sollten diese von klaren pädagogischen Konzepten begleitet sein.
Sollen Sozialarbeiter zu Eltern nach Hause fahren, wenn diese nicht an der Schule auftauchen?
Polaschek
Ja, unter anderem genau das ist ihre Aufgabe. In Wien wurde die Zahl von 27 Schulsozialarbeitern 2019 auf über 100 aufgestockt, was auf eine Initiative des Bundes zurückging.
Wiederkehr begründet die wachsenden Probleme an Wiener Mittelschulen auch mit der zu hohen Integrationslast. 90 Prozent der Flüchtlinge kämen nach dem Asylverfahren nach Wien. Die Stadt werde von den anderen Bundesländern im Stich gelassen.
Polaschek
Wien ist einfach eine Großstadt mit gewachsenen Communities, die weitere Zuwanderer anziehen. In Paris oder Berlin sehen wir das noch stärker als in Wien. Ein wichtiger Faktor sind sicher auch großzügigere Regelungen bei Sozialleistungen als in anderen Bundesländern.
Wiederkehr meint, eine Schule am Wörthersee bekommt mehr Geld als in Wien Ottakring.
Polaschek
Alle Landeshauptleute sind eher der Meinung, dass ihr Bundesland zu wenig Geld bekommt. Wien bekommt schon jetzt einen erheblichen Teil des Bildungsbudgets.
Wien muss wegen der vielen neuen Flüchtlingskinder sogar Containerklassen errichten.
Polaschek
Das ist eine bekannte Lösung, um Engpässe beim Platzangebot kurzfristig zu beheben.
... für eine Koalition mit der FPÖ
steht er nicht zur Verfügung,
egal, ob Kickl oder nicht.
Auf der einen Seite Privatschulen oder begehrte öffentliche Schulen, für die sich Eltern sogar illegal in anderen Bezirken anmelden, wenn sie dort nicht wohnen; auf der anderen Seite der sozial benachteiligte Rest in migrantisch-dominierten Mittelschulen. Städte wie Wien waren immer stolz auf die soziale Durchmischung. In den Schulen ist das vorbei, oder?
Polaschek
Eine bessere Durchmischung ist eine Illusion, wenn die Schulwege zu lange sind. Es wurde gerade in Wien durch die Wohnungspolitik eine gewisse Gettobildung befördert. Hier ist die Stadtpolitik gefordert, nicht nur große Wohnsilos zur Verfügung zu stellen.
Haben Sie unterschätzt, dass sie als Bildungsminister der eigentliche Integrationsminister sind, weil Integration wesentlich über die Schulen läuft?
Polaschek
Nein, weil ich das Thema aus meiner Zeit in Graz kenne. Ich habe selbst in einem Viertel gelebt, in dem es einen sehr hohen Migrationsanteil an den Schulen gab. Ich habe mich dort wohlgefühlt und bin nur weggezogen, weil meine Frau und ich eine gemeinsame Wohnung für uns beide gefunden haben.
Ihr Vorgänger, Heinz Faßmann, war Integrationsexperte und hat eigene Deutschförderklassen eingeführt. Seither gibt es fast nur Kritik daran. Soll man sie wieder abschaffen?
Polaschek
Nein. Dass separate Klassen zum Deutschlernen funktionieren, dafür haben wir einen ganz aktuellen Beleg
Die Alternative zur Trennung der Kinder von ihren Mitschülern wären Muttersprachler, die im gemeinsamen Unterricht die Lehrer unterstützen.
Polaschek
Bei Klassen mit Syrern, Afghanen, Somalis, Türken oder Osteuropäern in einer Klasse ist das illusorisch. Deutschlernen im Sprachbad funktioniert nur, wenn die Mehrheit gut Deutsch spricht. Davon bin ich überzeugt.
Wollen Sie als Minister weitermachen nach der nächsten Wahl?
Polaschek
Für eine Koalition mit der FPÖ würde ich nicht zur Verfügung stehen. Ich halte FPÖ-Chef Herbert Kickl für einen Rechtsextremen und einen Feind der Wissenschaft.
In Niederösterreich koaliert ihre Partei, die ÖVP, mit der FPÖ. Ob der dortige Parteichef nach ihrer Definition weniger rechtsextrem als Kickl ist, darüber könnte man streiten.
Polaschek
Ich stelle keine Vergleiche an. Ich bin ein Liberaler, für den Toleranz, Bildung für alle und Freiheit der Wissenschaft grundlegende Werte sind. Das alles geht sich mit der FPÖ nicht aus.
Und Minister in einer Koalition mit der SPÖ?
Polaschek
Das könnte ich mir vorstellen.
Auch eine Abschaffung der Noten, wie vom roten Wiener Bürgermeister, Michael Ludwig, forciert?
Polaschek
In einer Koalition ist alles Verhandlungssache. Aber das wäre eine rote Linie, über die ich nicht trete.
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Clemens Neuhold
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.