Club 3

Meinungsforscher Haselmayer: „Kurz sollte sich komplett zurückziehen“

Meinungsforscher Christoph Haselmayer über die Umfragen-Affäre, den „Dreißigjährigen Krieg“, der deswegen in seiner Branche tobt und seinen guten Rat an die ÖVP.

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Es gibt eine Fragestellung, über die sich derzeit wohl kein Umfrageinstitut drüber traut: „Wie sehr vertrauen Sie den Ergebnissen von Meinungsumfragen: Sehr, eher, eher nicht, gar nicht?“ So bleibt es nur eine leise Ahnung, wie sehr das Image der Branche unter der Inseratenaffäre leidet, die Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) das Amt gekostet hat. Diese dreht sich im Kern um frisierte und aus Steuergeldern bezahlte Umfragen. Unser Gast Christoph Haselmayer vom Institut für Demoskopie und Datenanalyse distanziert sich im Club 3 wie alle anderen Meinungsforscher scharf von den mutmaßlichen Methoden der Branchenkollegin Sabine Beinschab. Diese will als Kronzeugin über das Info-Karussell zwischen ihrem Institut, der ÖVP und der Verlagsgruppe „Österreich“ auspacken („Beinschab-Österreich-Tool“). Für alle genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Vertrauen in die Super-Umfrage

Von einem Schulterschluss zwecks Imagepolitur ist Haselmayers Branche weit entfernt. „Es herrscht ein Dreißigjähriger Krieg“, sagt der Meinungsforscher. „Das ist wie Katholiken gegen Protestanten, obwohl wir alle Christen sind.“ Casus Belli war der Ausschluss von Wolfgang Bachmayer aus dem Verband der Meinungsforscher (VdMI) -  Haselmayer hat sein Handwerk beim Chef des OGM-Instituts gelernt. Wie dieser will sich Haselmayer nicht dem Diktum des Verbandes unterwerfen, bei politischen Sonntagsfragen („wen würden Sie wählen …“) auch Telefoninterviews zwingend durchzuführen. Der Verband pochte wegen der Inseraten-Affäre besonders vehement auf diese Qualitätskriterien. Laut Haselmayer würden auch reine online-Umfragen valide Ergebnisse zeitigen. Unique Research, jenes Institut, das für profil die Umfragen durchführt, ist Mitglied im VdMI und von den Vorgaben überzeugt. Haselmayer hingegen empfiehlt die „Poll of Polls“ als härteste Währung, ein Querschnitt aller durchgeführten Umfragen. Zu finden u.a. auf: https://www.politico.eu/europe-poll-of-polls/austria/.

Muss Kurz ganz weg?

Die ÖVP sieht Haselmayer nach dem Kanzler-Kurz-Schluss nur noch gleichauf mit der SPÖ, mit leichten Vorteilen für die Sozialdemokratie. „So sehr Sebastian Kurz die Volkspartei einst nach oben gezogen hat, so sehr zieht er sie nun runter.“ Der Volkspartei empfiehlt er, sich komplett von ihrem Parteichef Sebastian Kurz zu trennen und zwar noch bis Weihnachten. Ein klarer Schnitt mit der Vergangenheit sei schon alleine wegen des Superwahljahres 2023 mit Urnengängen in mehreren Bundesländern unerlässlich.

Im Nachgespräch an der Bar tauschten wir uns – mit Doris Vettermann von der Krone, Johanna Hager vom Kurier und Moderatorin Katja Wagner – selbstkritisch aus, ob wir Medien alles tun, um die Leser und Seher von der Sauberkeit der Umfragen und Berichte zu überzeugen. Und wir sinnierten angesichts der Sky-Serie „die Ibiza-Affäre“ darüber, wer Sebastian Kurz spielen könnte, sollte auch sein Fall eines Tages verfilmt werden.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.