Politik der Gefühle

Politik der Gefühle: So treten Politiker derzeit auf

Christa Zöchling über Österreichs Politiker, die in diesen Tagen als Empörte und Gekränkte, Verratene und Gerechte auftreten und sich so den Ast absägen, auf dem sie sitzen.

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Nahezu ein Vierteljahrhundert ist es her, dass ein Essayband des Schriftstellers Josef Haslinger für Furore sorgte -wohl auch wegen seines Titels: "Politik der Gefühle". Der gelernte Österreicher wusste intuitiv, was gemeint war. Kurt Waldheim war damals zum Bundespräsidenten gewählt worden, indem er sich -unter Aktivierung des gesamten antisemitischen Bodensatzes -als Opfer einer "Campaigne" selbst heroisierte. Für Haslinger ist eine "Politik der Gefühle" ein "ästhetisches Verfahren, eine Sache des Geschmacks; genauer: Politik nach dem Verfahren der Warenästhetik, der Produktwerbung". Wenn Politik vermarktbar sei, wie das sprichwörtliche Waschmittel, dann käme es nicht auf ihre Inhalte an, sondern auf die Gefühle, die sie wachrufen könne, so Haslinger. Damit sind wir weit gekommen. Das Verkaufsargument gilt unter Politikberatern heute als vollkommen normal. In den sozialen Netzwerken scheint es der wichtigste Maßstab der Bewertung zu sein, Journalisten stellen es in Rechnung.

Gefühle haben ihren Platz in der politischen Rhetorik, doch derzeit hört man kaum etwas, das über beleidigtes Getue und Rechthabertum hinausgeht. Exemplarisch dafür die Stunden nach dem Auftauchen des Ibiza-Videos. Ex-Kanzler Sebastian Kurz: "Ich musste vieles aushalten." Ex-Innenminister Herbert Kickl: "Mir persönlich sagt es natürlich keiner ins Gesicht." (Dass er gehen muss.) Ex-Vizekanzler Heinz Christian Strache geniert sich, entschuldigt sich - bei seiner Frau - und postet: "Jetzt erst recht." SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner begründet eine Woche später ihren Misstrauensantrags gegen Kurz: "Sie stoßen Österreich zum zweiten Mal in Neuwahlen, weil Sie nicht bekommen haben, was sie wollen." Nationalrat Alfred Noll von der Liste Jetzt: Kurz' Unterschrift sei nichts wert. Er habe die FPÖ "hereingelegt" und "abserviert". - Muss man nun auch Ex-SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky den Ehrenmann aberkennen, weil er im Herbst 1986 die Koalition mit der FPÖ beendete und Neuwahlen ausrief? Geradezu infantil die Reaktion von Kurz: "Nein, ich habe keinen Fehler gemacht."

In Deutschland sehen die Dinge anders aus, aber auch nicht besser. Mit Andrea Nahles wurde erstmals eine sozialdemokratische Parteivorsitzende aus reinen "Gefühlsgründen" aus dem Amt gejagt, mit Sätzen aus der Internetsprache: Man habe einfach ihre "Fresse nicht mehr sehen" können, sich fremdgeschämt. Zumindest ist das ein Thema vieler Diskussionen, während in Österreich die entpolitisierte, nur noch Gefühle transportierende Sprache kaum noch auffällt. Dem Kurz-Lager nicht, dessen Mantra "niemals anpatzen" in Wirklichkeit "alle Worte des Gegners ignorieren" bedeutet, und dem anderen Lager nicht, das keine Zwischentöne kennt und dessen Rethorikverständnis "auf jeden Fall anpatzen" - am besten ohne politische Unterfütterung -zu lauten scheint.

Auf Facebook und Twitter fällt auf, dass im links orientierten Lager ein heißer Machtrausch dem kalten vorgezogen wird. Die "besoffene G'schicht" findet man eher verzeihlich als das Kalkül von Kurz, sich vom bisherigen Koalitionspartner zu trennen, um nicht selbst weiteren Schaden zu nehmen. Oder das Land. Demokratiepolitisch bedenklich ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag des Mandatars Noll, um einen künftigen Kanzler Kurz zu verhindern, solle man Neuwahlen verhindern und die "Expertenregierung" bis zum regulären Ende der Legislaturperiode arbeiten lassen. Auf Twitter gab es dafür ein großes Hallo. Falter-Chefredakteur Florian Klenk fand das eine "schlaue Idee". Man stelle sich vor, dieser Vorschlag wäre von einem Rechten gekommen.

Die Schwäche der Vernunft gegenüber radikal rechten Bewegungen gebiert häufig, Ideen, Wahlen und Volksentscheide hintanzustellen. In Österreich driftete das schon einmal ins komplett Autoritäre ab. In der Krise der 1930er-Jahre fühlte sich die etablierte Politik den Nationalsozialisten nicht gewachsen, die von Wahl zu Wahl zulegten. Die Christlich-Sozialen schafften Wahlen und Parlament ab und verboten alle Parteien; der Austrofaschismus war geboren.

Heute wird die Parteiendemokratie von vielen Seiten angegriffen. Die alte Öffentlichkeit, die sie zum Atmen bräuchte, ist im Zerbröseln. "Der Wettbewerb mit Worten, der Austausch von Argumenten ist an sein Ende gekommen", sagte die Schriftstellerin Eva Menasse bei der Entgegennahme des Ludwig-Börne-Preises in der Frankfurter Paulskirche. "Zehn Jahre Internet für alle, mobil auf die Hand" hätten genügt, den öffentlichen Diskurs in Trümmer zu schlagen.

Der in diesen Tagen häufig zitierte Architekt der österreichischen Bundesverfassung, der Rechtsphilosoph Hans Kelsen, hatte ein pluralistisches Parteiensystem als das Herz der Demokratie gesehen. Das ideale Parlament war für ihn ein Ort von Rede, Gegenrede und Kompromissen, in dem alle gesellschaftlichen Gruppen vertreten sind.

Doch wann hat ein interessierter Beobachter zuletzt eine Nationalratssitzung erlebt, in der Parlamentarier ans Rednerpult traten, die versuchten, andere von ihrem Anliegen zu überzeugen? So etwas gab es einmal. Trotz Klubzwang und Regierungsräson ist es manchmal ganz still geworden, wenn so jemand sprach, und man spürte zumindest die Beschämung, wenn dann doch wie vorgesehen abgestimmt wurde. Das Parlament könnte eine gute Schule sein, um das Wichtigste in unserer Demokratie zu lernen -argumentieren, Standpunkte justieren, Bündnisse suchen, Kompromisse schließen. Schade, dass der junge Ex-Kanzler daran kein Interesse hat. Traurig, dass ganz allgemein diese Tugenden nicht gepflegt und durch erbitterte Showkämpfe zur besten ORF-Sendezeit ersetzt werden. Bedenkenswert, dass dies noch am ehesten im Europäischen Parlament praktiziert wird. Auch Parteiprogramme, immerhin rationaler Ausdruck einer gemeinsamen Sicht der Welt, der Boden, dem sich Parteimitglieder verpflichtet fühlen sollten, gelten nichts mehr.

Politische Ideen werden heute auf die Gefühls-und Befindlichkeitsebene gelenkt. Gefühle scheinen absichtslos, authentisch und unideologisch. Man kann ihnen nicht einmal widersprechen. Die stärksten Gefühle laufen freilich auf menschenverachtendes Reden hinaus, auf Hass und Neid. Da werden Angehörige fremder Kulturen festgezurrt in ihrer Andersartigkeit und als nicht kompatibel mit unserer Lebensart abgestempelt. Hinter Flüchtlingsströmen wird ein Geheimprojekt gemutmaßt, mit dem gewisse Eliten den schleichenden Bevölkerungsaustausch planen. Es gibt nur noch Themen, die (böse) Stimmung machen. Dem "Bohren dicker Bretter", ein Wort des Soziologen Max Weber, so oft gehört, dass man gar nicht mehr hinhört, aber noch immer wahr, wird keine Bedeutung mehr zugemessen. Wir stehen jetzt am Beginn eines Wahlkampfs. Wahlkampf würde bedeuten, Grundsätze auszutragen statt künstliche Stürme zu entfachen oder Politik allein als moralisches Phänomen zu betrachten. Wie es aussieht, sieht es nicht gut aus. "Gefühle, sagt man, sind harmloser als Gedanken. Für die Politik gilt das Gegenteil. Sie darf sich nicht Gefühlen unterwerfen, sie muss sie politisieren." Das war Haslingers Warnung aus einer anderen Zeit.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling

war bis 2023 in der profil-Innenpolitik