Teile und herrsche: Wie die Wahl auf Facebook entschieden wird
52,3 Prozent zu 47,7 Prozent. „Van der Bellen liegt vorn!“, ist der Wahlkampfstratege euphorisiert. Er zitiert nicht etwa die aktuellen Umfragen der Meinungsforscher, die bei vergangenen Wahlen weit daneben lagen. Der Werbefachmann verlässt sich auf das, was sich im Internet zusammenbraut. Auf die Gesamtzahl der Klicks, Likes, Kommentare und geteilten Postings, ausgewertet von den Social-Media-Auskennern BuzzValue. Kaffeesudlesen könnte man das nennen. Unbestritten ist: Die sozialen Medien können Wahlen entscheiden, das haben auch die österreichischen Präsidentschaftskandidaten erkannt. Der designierte US-Präsident Donald Trump hatte die wichtigsten Printmedien und Fernsehstationen gegen sich. Doch auf den Empörungsbeschleunigern Twitter und Facebook erreichte er die Menschen.
Wer im Finale Facebook besser nutzt, gewinnt die Wahl
„Donald Trump gab am Ende des Wahlkampfes fast ein Viertel seines Geldes für Online-Wahlkampf aus, bei Clinton waren es nur 3,5 Prozent“, erklärt Kampagnen-Experte Philipp Maderthaner. Und der Social-Media-Berater Philipp Ploner zieht Parallelen zur Bundespräsidentenwahl in Österreich: „Wer im Finale Facebook besser nutzt, gewinnt die Wahl. Es geht darum, Menschen zu emotionalisieren, die nicht mehr zur Wahl gehen wollen oder zwischen Hofer und Van der Bellen schwanken.“
Die politischen Debatten verlagern sich ins Internet. Sie sind hochemotional, anfällig für Manipulation, und sie geben dem einzelnen Nutzer so viel Macht wie nie zuvor. Gerade jetzt machen sich österreichische Politiker die Mechanismen der sozialen Netzwerke zu eigen, versuchen Stimmungslagen in ihre Richtung zu drehen, agieren unter falscher Flagge und investieren viel Geld. Wer die Klaviatur der Empörung im Netz am besten zu bedienen weiß, wird geteilt, geliked und kommentiert – und beherrscht so das Meinungsklima. Der machiavellistische Grundsatz „divide et impera“ (teile und herrsche) bekommt eine neue Bedeutung.
Jeder zweite Österreicher nutzt soziale Medien als Nachrichtenquelle, wie aus dem Digital News Report des Reuters Instituts hervorgeht. Vor allem Facebook, 3,7 Millionen Österreicher sind dort registriert. Das stellt die politische Kommunikation auf den Kopf: Politiker und Parteien können direkt mit ihren Wählern in Kontakt treten – vorbei am Filter von kritischen Journalisten.
Da erscheint es reizvoll, sich wie ein Pfau aufzuplustern und eine Größe zu suggerieren, die man gar nicht hat. Mit wenigen Klicks kann heute jeder positive Kommentare und Tausende Fans kaufen – ganz legal. Wie das Magazin „Datum“ aufdeckte, erledigte die österreichische PR-Agentur Mhoch3 solche Dienste für Unternehmen und Parteien, etwa für die ÖVP Wien: Zigtausende Kommentare von falschen Accounts, von Studenten als Nebenjobs betrieben, beeinflussten in Foren von Tageszeitungen und auf Facebook die Stimmung.
Vorlage für die Politik liefert die Wirtschaft: Wer auf Amazon einkauft oder Hotels über Portale wie booking.com bucht, verlässt sich auf die Bewertungen anderer Kunden – längst haben das die Unternehmen erkannt und investieren viel Geld für positives Feedback. Warum sollte das im politischen Wettstreit anders sein?
Der Einsatz von sock puppets (Sockenpuppen), wie die Fake-Accounts genannt werden, ist allerdings finanziell aufwendig und hochriskant: Fliegt der Schwindel auf, ist das PR-Desaster perfekt. Ex-Bundeskanzler Werner Faymann wurden einst falsche Facebook-Fans zum Verhängnis, der US-Präsidentschaftskandidat Mitt Romney blamierte sich mit gefälschten Twitter-Followern.
Zumindest beim Start einer Facebook-Site sind Fake-Accounts Eisbrecher. Ein Social-Media-Manager, der für den Aufbau bekannter News-Sites die Hilfe von Trollfabriken gebucht hat, erklärt anonym die Logik dahinter: „Wenn Sie einen Vortrag halten, kann es helfen, wenn drei Freunde im Publikum sitzen und die ersten Fragen stellen. Danach fragt das ganze Publikum.“
Inzwischen wurden die von Menschen gesteuerten Fake-Profile großteils von computergesteuerten Social Bots abgelöst, die mittels künstlicher Intelligenz eigenständig Inhalte erstellen und Postings in sozialen Netzwerken absetzen. Nach der ersten TV-Debatte im US-Wahlduell zwischen Clinton und Trump, stammte ein Drittel der Kurznachrichten auf Twitter, die Trump befürworteten, von solchen Bots – bei Clinton waren es 22 Prozent.
Ein Like ist um circa 50 Cent zu haben. Um 200.000 Euro könnte Kern Strache überholen
Ab einem gewissen Punkt sind gefälschte Identitäten nicht mehr nötig, weil die Emotion zum Selbstläufer wird. Über diesen Punkt sind die Fansites der Polit-Stars auf Facebook wie Heinz-Christian Strache oder Sebastian Kurz längst hinaus.
FPÖ-Chef Strache hält aktuell bei 450.000 Facebook-Fans, gefolgt von ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz mit 360.000 und SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern mit knapp über 100.000 Fans. Neben dem direkten Draht zu den Wählern sind Facebook-Likes Ausdruck von Stärke. Im Boulevard treten Like-Rankings längst in Konkurrenz zu klassischen Meinungsumfragen. Wie käuflich und steuerbar dieses „Gefällt mir“ auf Facebook ist, bleibt den Lesern verborgen. Ploner bricht das auf eine Faust-Formel herunter: „Ein Like ist um circa 50 Cent zu haben. Um 200.000 Euro könnte Kern Strache überholen.“ Natürlich spielen die Beliebtheit des Politikers, die intensive Pflege der Anhängerschaft und der langfristige Aufbau eine Rolle. Ohne Finanzaufwand kann Spätstarter Kern jedoch die jahrelang gewachsene Fangemeinschaft von Strache kaum aufholen.
„Seit einem Monat schalten wir Werbung in finanziell überschaubarem Ausmaß“, heißt es aus der Parteizentrale in der Wiener Löwelstraße. 50 Cent pro Like: Das ist nicht der Schwarzmarkt-Preis für einen falschen Facebook-Freund, sondern für die offiziell erworbene Reichweite. Was viele Nutzer nicht wissen: Eine durchschnittliche Facebook-Site erreicht mit einem Posting nur ca. zehn Prozent ihrer Fans. Das nennt sich „organische“ Reichweite. Wer höher hinaus will, muss seine Site gewerblich betreiben und zahlen. Mit der gekauften Reichweite macht der Konzern Milliarden. „Facebook ist ein börsennotierter Konzern, das vergessen wir oft. Deren Geschäftsmodell beruht darauf, dass Betreiber von Fansites Geld in die Hand nehmen, um ihre Zielgruppen zu erreichen“, erklärt Kampagnen-Profi Maderthaner. Für die Politik, die direkt zum Bürger will, bedeutet das: Wer zählen will, zahlt.
Für einzelne Beiträge investieren wir bis zu 1000 Euro
„Für einzelne Beiträge investieren wir bis zu 1000 Euro“, gibt der Leiter des FPÖ-Kommunikationsbüros, Alexander Höferl, Einblick in die Praktiken hinter der erfolgreichen Strache-Site. Die monatlichen Ausgaben will Höferl nicht nennen, Ploner schätzt sie auf rund 10.000 Euro. Peanuts im Vergleich zu klassischen Plakatkampagnen, enorme Summen im Vergleich zur Konkurrenz. Die NEOS geben im Monat 500 Euro für das Bewerben von Facebook-Beiträgen aus. In der Parteizentrale der ÖVP ist von „dreistelligen“ Beträgen im Monat die Rede. „Wir haben etwa die Budgetrede des Finanzministers mit 99 Euro gesponsert.“
Wie aussagekräftig sind Likes und Fanzahlen? „Wenn da für ein Posting 1000 Euro in die Kassa geworfen werden, dann gibt es keine Möglichkeit mehr zu unterscheiden, ob das gut ankommt oder ein Inserat ist. Insofern muss man es so bewerten, als wäre es eine Werbeschaltung“, empfiehlt PR-Berater Stefan Sengl. Allerdings: „Ob die Leute wegen des Freibiers oder den tollen Inhalten kommen, ist auch bei einer Freiluft-Veranstaltung nicht gesagt.“
Die Möglichkeiten, über Facebook neue Menschen anzusprechen, sind vielfältig. Wer nur Witwen in Vorarlberg will: kein Problem. Der Konzern weiß durch das Klickverhalten seiner Nutzer, wer jung, alt, links, rechts, schwul, depressiv, wütend, glücklich, alleinerziehend ist.
Das digitale Klinkenputzen für Politiker illustriert Ploner anhand eines Beispiels: Die Regierung baut einen Grenzzaun in Spielfeld, Steiermark. Strache weist in einem Posting darauf hin, dass die Regierung nur seine alte Forderung umsetzt. Bewirbt er das Posting mit 1000 Euro, kann er gezielt 100.000 steirische Facebook-User im Grenzgebiet ins Visier nehmen, die ihm noch nicht folgen – oder gleich SPÖ-Sympathisanten. Für die steirischen Frauen kann er ein weniger hartes Bild verwenden als für Männer. Wer hinter einem Zeitungsinserat oder Plakat steht, muss gekennzeichnet werden. In welchen Facebook-Teichen die Parteien gezielt nach Wählern fischen, ist für einen Außenstehenden nicht mehr einsehbar.
Ebenso verborgen laufen geheime Facebook-Kampagnen der Parteizentralen. Nach dem Muster des Empfehlungs-Marketings betreiben Sites, die scheinbar aus dem einfachen Volk kommen, die Agenda der Partei. Das erhöht die Glaubwürdigkeit um ein Vielfaches. Im Wien-Wahlkampf 2015 beauftragte dem Vernehmen nach die SPÖ Wien die Site „Strache verhindern“. Das Ziel: Mit einem Feuerwerk an Anti-FPÖ-Postings auch Anhänger der NEOS, Grünen und ÖVP für SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl zu mobilisieren. Die Site hat in kurzer Zeit Zigtausende Menschen erreicht. Dahinter soll der PR-Berater Rudolf Fußi gestanden haben. Von ihm heißt es dazu: „Kein Kommentar.“
Im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf macht die Site „Freunde der Wahrheit“ seit August Stimmung gegen den Blauen Norbert Hofer. Mit hochprofessionellen Videos, die bis zu 200.000 Menschen klicken. Die Site stammt aus dem Umfeld von Alexander Van der Bellens Team. Andere Kampagnen-Sites wie „Ja zu Österreich“, „Nein zum Islam“ oder ähnlich sprechende Namen sind einfach zu erstellen und versammeln im Nu Tausende Gleichgesinnte. Den Treibstoff für diese Sites liefern oft Geschichten aus klassischen Medien, die mit den richtigen Kommentaren versehen erst so richtig zünden: „So sind sie unsere Politiker!“ Oder: „Flüchtlinge verprügeln eine Frau, da haben wir es!“ Themensites lassen sich nur schwer konkreten Parteien, Verbänden oder Unternehmen zuordnen, weil Facebook nicht herausrückt, wer die Administratoren sind.
Königsdisziplin beim Tarnen und Täuschen im Netz sind parteieigene Medien, die nicht als solche erkennbar sind. „unzensuriert.at“ erweckt vordergründig den Eindruck einer unverdächtigen Nachrichten-Website und erzielt enorme Klickraten, betrieben wird es von führenden FPÖ-Mitarbeitern – eine Parteizeitung des 21. Jahrhunderts. Artikel, in denen über „Asylanten“ hergezogen wird, bieten für FPÖ-Chef Strache die ideale Steilvorlage für Postings auf Facebook. Inzwischen ziehen die übrigen Parteien nach: Mitarbeiter des roten Parlamentsklubs bespielen seit Sommer den „Kontrast-Blog“ und liefern neben Giftpfeilen gegen den Neoliberalismus auch „5 Gründe, warum Frauen nicht Hofer wählen sollten“.
Owned media, wie die parteieigenen Medien genannt werden, bestärken die eigene Anhängerschaft und dringen zu neuen Zielgruppen vor – unter dem Deckmantel der Objektivität.
Die sozialen Medien sind eine gewaltige Echo-Kammer: Wer reinbrüllt, kann den Widerhall in Echtzeit messen. Wer aufmerksam zuhört, weiß allerdings schon vorher, was gut ankommt. Es klingt seltsam, wenn ein junger Social-Media-Experte wie David Obererlacher den Stammtisch beschwört: „Politiker waren erfolgreich, wenn sie hier zugehört haben. Das macht jetzt keiner mehr.“ Die Übung gestaltet sich auch schwieriger, seit sich die Wirtshausrunden ins Netz verlagert haben.
In der Sprache der Wiener Kommunikationsagentur Milestones heißt dem Stammtisch zuhören mit mächtiger Software 40.000 Begriffe pro Sekunde „abgreifen“. Wann immer irgendwo auf der Welt ein bestimmtes Wort im Internet fällt, hat es das Unternehmen wenige Minuten später auch schon registriert. Dieses flächendeckende Monitoring verkauft das Unternehmen an Parteien, Verbände und Unternehmen, um in ihrem Auftrag „aufziehende Shitstorms zu verhindern, Debatten zu hören und Trends herauszulesen“, sagt Milestones-Geschäftsführer Werner Benninger.
Warum die Social-Media-Berater auch in Zukunft gut verdienen werden? Das Netz bleibt unberechenbar, weil letztlich jeder User selbst zum Meinungsmacher avancieren kann: Vergangenen Mittwoch ist das Renate Pühringer passiert. Die Krankenpflegerin sah Norbert Hofers Auftritt in der „ZIB2“ und hämmerte daraufhin wütend in die Tasten: „Sie sind ein Lügner, Herr Hofer.“ Der FPÖ-Mann hatte behauptet, er kenne keine muslimischen Pflegerinnen, die Patienten die Windeln wechseln würden. Pühringer schrieb sich immer mehr in Rage, insgesamt sieben Absätze, die bis Redaktionsschluss knapp 6000 Mal geteilt wurden, 17.000 Likes inklusive: „Morgen oder übermorgen treffe ich wieder meine Kollegin muslimischen Glaubens. Und dann werden wir – wie immer – Seit’ an Seit’ Menschen nach Stuhlgang fachlich kompetent und menschlich mitfühlend versorgen.“
Echte Menschen mit echten Geschichten funktionieren immer noch am besten – auch im Internet.