Das Politikum Wolf: Isegrim und seine rechten Feinde
Von Moritz Ablinger
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Am markantesten ist der Schädel. Die kleinen, aufgerichteten Ohren, das starke Gebiss, das zweigeteilte Fell. Oberhalb der Schnauze ist das Fell eines Wolfes grau, unterhalb meist viel heller, manchmal gar weiß. Die Tiere können mit ihrem Geheul unwirkliche Töne von sich geben, die Laute sind hoch und lang gezogen. Wenn es schnell gehen muss, rennen Wölfe mit bis zu 60 Stundenkilometern durch Felder, Wälder oder über Almwiesen. Wenn der Wolf will, dann kann er ziemlich jedes Tier, das ihm in die Quere kommt, erlegen. Er beißt seiner Beute meist in die Kehle, dann öffnet er die Bauchhöhle und macht sich an die Gedärme.
Es ist kein Wunder, dass den Wolf so viele Mythen umgeben, er ist ein beeindruckendes Tier. Doch ins Reich der Legenden gehört er schon lange nicht mehr. Fast 15 Jahre ist es her, da sind die ersten Wölfe aus den Nachbarländern nach Österreich eingewandert – gut 100 Jahre nach ihrer lang ersehnten Ausrottung.
Was Tier- und Umweltschützer freut, ist für viele Jäger und Landwirte ein ziemliches Problem. Der Wolf frisst so manchem Bauern die Nutztiere weg, den Jägern bringt er die Wildbestände durcheinander. Sie fürchten um ihre Kulturlandschaft. Was vor knapp zehn Jahren als Kleinkonflikt der Lokalpolitik begonnen hat, hat sich zur Grundsatzfrage ausgewachsen: Schießen oder schützen?
Die FPÖ bespielt das Thema, wo es nur geht, im ganzen Land lädt sie zu Stammtischen und Referaten, in Salzburg macht sich Landeshauptmann-Stellvertreterin Marlene Svazek für eine härtere Gangart im Umgang mit dem Tier stark, mittlerweile lässt auch die ÖVP kein gutes Haar mehr am Wolf. In Kärnten beriet der Landtag erst am Donnerstag über ein neues Gesetz, das Abschüsse erleichtern soll und ein Prestigeprojekt von ÖVP-Landesrat Martin Gruber ist.
Doch im EU-Wahlkampf ist der Umgang mit dem Tier ein Dauerbrenner. Die Europäische Volkspartei fordert in ihrem Wahlprogramm die Senkung des Schutzstatus, in Bad Aussee trafen sich Mitte April Politiker aus nah und fern und beschlossen eine Wolfs-Deklaration, die an die Kommission und das EU-Parlament gerichtet ist.
Grund genug für eine Spurensuche in alten Zeitungsartikeln, wissenschaftlichen Studien und Landgasthäusern, die zeigen soll, wie der Wolf vom Mythos zum Ärgernis und vom Ärgernis zum Wahlhelfer der Rechten wurde.
Habsburger Wolfspolitik
Der Wolf war schon zu einer Zeit ein Politikum, aus der es kaum mehr schriftliche Aufzeichnungen gibt. Aus dem Dezember 1559 ist ein kaiserlicher Befehl überliefert. Darin heißt es, dass in Hütteldorf – heute Stadtteil, damals Vorort von Wien – ein „Wolfsgarten“ zu errichten sei. Dabei wird ein Holzzaun entlang einer Geländesenke aufgestellt, von außen können Wölfe ohne Weiteres einspringen, die Flucht aber ist unmöglich. Es ist eine Zeit, da hat nur der Adel Schusswaffen, den einfachen Leuten bleiben Holzprügel, Fangnetze und das Gebet. Noch heute erinnert der „Wolfersberg“ im 14. Wiener Bezirk an den Wolfsgarten von damals.
Im Kampf gegen den Wolf erbaten die Wiener auch göttlichen Beistand. Im Stephansdom wurde wohl ab dem 14. Jahrhundert der „Wolfssegen“ gebetet, immer nach der Christmette, spät in der Nacht auf den 25. Dezember. Dabei wurde „in einem absonderlichen Ton unter Läutung der großen Glocken“ das Matthäusevangelium gesungen, wie es in einem Kodex aus dem Jahr 1580 heißt. Noch bis ins 18. Jahrhundert hielt sich der Brauch.
„Energischer Vernichtungskrieg“
Es dauerte bis ins späte 19. Jahrhundert, bis die Angst abnahm. Der Wolf wurde immer mehr zurückgedrängt. Das hatte zum einen mit der Industrialisierung und der wachsenden Bevölkerung zu tun, die immer mehr Raum für sich beanspruchte, Wälder roden und Sümpfe austrocknen ließ. Damit verschwanden Gebiete, die den Tieren jahrhundertelang als Lebensraum dienten.
Zum anderen lag es an der größeren Verbreitung von Schusswaffen und der systematischen Bejagung. In den von Österreich-Ungarn besetzten Provinzen Bosnien und Herzegowina wird den Tieren ein „energischer Vernichtungskrieg“ erklärt, wie die „Wiener Presse“ im Mai 1891 schreibt: Zwischen 1880 und 1889 seien in den beiden Provinzen 8230 Wölfe geschossen worden.
Es dürfte wohl seit Menschengedenken nicht mehr der Fall gewesen sein, dass in Oberösterreich und noch dazu in unmittelbarer Nähe einer Stadt das Auftreten von Wölfen beobachtet wurde.
Danach sind Sichtungen eine Rarität – das merkt man auch an einem Bericht der Linzer „Tages-Post“ vom 25. Februar 1909: „Es dürfte wohl seit Menschengedenken nicht mehr der Fall gewesen sein, dass in Oberösterreich und noch dazu in unmittelbarer Nähe einer Stadt das Auftreten von Wölfen beobachtet wurde.“ Die „Jaga-Fritzl“, die Jägerstochter Friederike Bohuslav, stellte sicher, dass das so schnell nicht wieder vorkommt. Sie brachte ein 20 Kilo schweres Exemplar mit einem „wohlgezielten Kugelschusse zur Strecke“, wie es in dem Artikel heißt. Schon damals waren die Tiere für Schlagzeilen gut. Vom Abschuss berichteten nicht nur die Medien in Linz, auch im „Ischler Wochenblatt“, der „Steirischen Alpenpost“ und dem „Erlafthal Boten“ fand der Vorfall Eingang.
Stargast Slavko
Danach war beinahe 100 Jahre Ruhe. Erst zu Beginn des neuen Jahrtausends erholten sich aufgrund der Naturschutzbemühungen der EU die Bestände wieder. Aus dem Süden und Osten Europas, wo das Tier nie ganz ausgerottet worden war, näherte es sich Österreich immer weiter – bis es schließlich die Grenze überschritt.
Als einer der ersten kommt „Slavko“. Er streift über einen Campingplatz, der direkt an der Möll in Kärnten liegt. Es ist der 24. Jänner 2012, in Obervellach liegt Schnee. Die Anlage hat geschlossen, der Betreiber entdeckt die Spuren nur zufällig. Tags davor hat der Wolf eine Rehgeiß im Wald gerissen, auch in den Abfallcontainern der benachbarten Fischzucht findet er Futter.
„Slavko“ ist dennoch Stargast, schon zweieinhalb Wochen streift das Tier durch Kärnten, die Steiermark und Salzburg. Das Tier ist eigentlich in Slowenien ansässig und eines der ersten, das die Grenze nach Österreich überschreitet. „Niemand muss Angst haben“, schreibt die „Kronen Zeitung“, „Wolf ‚Slavko‘ ist auf Österreich-Tour“ die „Kleine Zeitung“. Die Wiederansiedelung aus den Nachbarländern, in denen er schon länger wieder heimisch geworden ist, ist nur eine Frage der Zeit, zum Politikum taugt der Wolf 2012 noch nicht.
Schafsrisse entwickelten sich schon bald nach der Wiederansiedelung der Wölfe zum Problem.
Ermittlungen im Drautal
Zwei Jahre danach nimmt der Konflikt langsam seinen Lauf. 18 Jungschafe hat der Drautaler Bergbauer Michael S. in den Wochen vor dem 21. Mai 2014 verloren, auch an diesem Mittwochabend entdeckt er zwei tote Lämmer auf seinem Hof in Greifenburg im Bezirk Spittal an der Drau. Er geht in den Stall und erkennt in der Dunkelheit ein Tier. Der Vater des Bauern, ein Jäger, kommt herbeigeeilt, schießt – und tötet den Wolf. Den Medien erzählt der Schütze danach, er habe das Tier nicht genau erkennen können und es für einen Fuchs gehalten
Monatelang wird der Vorfall die Behörden beschäftigen. Die Klagenfurter Staatsanwaltschaft beschlagnahmt den Kadaver. Umweltorganisationen melden Zweifel an der Version der Landwirte an. „Es kann nicht sein, dass ein streng geschütztes Tier abgeschossen wird und der Schütze unbescholten davonkommt“, sagt Christian Hölzl, Obmann des Österreichischen Tierschutzvereins, der Anzeige einbringt.
„Streng geschützt“ ist der Wolf seit 1979 tatsächlich. Dieser Status ist in der Berner Konvention, dem „Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wild lebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume“, festgeschrieben. Der Passus soll zumindest so lange gelten, bis der „günstige Erhaltungszustand“ gesichert, der Wolf also nicht mehr vom Aussterben bedroht ist. Die EU hat die Erklärung ratifiziert, sie gilt in allen Mitgliedstaaten.
Die Konvention verbietet jede Form des absichtlichen Fangens, des Haltens und der mutwilligen Tötung der „streng geschützten“ Tiere, zu denen auch Bären und Marder gehören. Nur in Extremfällen ist der Abschuss erlaubt, wer sich daran nicht hält, macht sich – auch in Österreich – der Tierquälerei strafbar. S. und sein Vater kommen ungeschoren davon, im Oktober 2014 stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein.
Statt Abschusserleichterungen zu fordern, machen sich Tier- bzw. Naturschutzorganisationen wie „Vier Pfoten“ oder der WWF seit dem Comeback des Wolfs für ein anderes Konzept stark: den Herdenschutz. Es ist so etwas wie die Schlüsselfrage des Konflikts: Abschusserleichterungen oder Elektrozäune, Hirten und abgerichtete Herdenschutz-Hunde, die Wölfe abhalten sollen. „Natürlich sind diese Dinge in Höhenlagen schwerer umzusetzen“, sagt WWF-Wolfsexperte Christian Pichler. „Aber es gibt genug Bauernhöfe, wo das funktioniert. Wir müssen endlich damit anfangen.“ Pichlers Einschätzung: Der Wolf wird bleiben – selbst wenn der Schutzstatus gesenkt wird. Es gilt, sich damit zu arrangieren.
Staller Erdrutsch
Doch das Arrangement misslingt. Bestes Beispiel dafür ist das Ergebnis der Kärntner Landtagswahlen im März 2023. Zwar fällt das landesweite Plus der Freiheitlichen mit 1,5 Prozent moderat aus, in Stall im Mölltal aber ereignet sich ein Erdrutsch. 23 Prozent gewinnt die FPÖ hier dazu und fährt 53,8 Prozent ein.
Oberflächlich betrachtet ist Stall mit seinen 1500 Einwohnern relativ austauschbar, ein kleines Ortszentrum, eine Möbelfabrik und oben auf den umstehenden Bergen hektarweise Almwiesen, wo zwischen Mai und September Schafe und Rinder weiden. Die Almwirtschaft gehört zur Identität des Mölltals, viele Familien haben Tiere, der Auf- und Abtrieb sind Fixpunkte im Kalender.
Der Wolf bringt das alles durcheinander. Dutzende Schafe sind in Stall im Frühjahr 2022 von den Raubtieren gerissen worden, im ganzen Tal macht sich die Angst breit. FPÖ-Landesparteivorsitzender Erwin Angerer greift die Stimmung auf, in einer Aussendung erklärt er, dass es bei Wolf und Weidehaltung nur ein „Entweder-oder“ gebe. „Die ÖVP muss sich endlich entscheiden, was sie will“, sagte Angerer. Der Kärntner Volkspartei aber sind die Hände gebunden, die rechtlichen Bedingungen sind, wie sie sind, mehr könne man nicht herausholen, sagt Parteichef und Landwirtschafts-Landesrat Martin Gruber. Von Herdenschutz ist keine Rede mehr.
Das Kalkül der FPÖ geht zumindest im Mölltal voll auf. Nicht nur in Stall ist das Ergebnis sensationell, auch in den Nachbargemeinden Rangersdorf, Mühldorf, Flattach und Reißeck fährt die FPÖ zweistellige Zugewinne ein. „Viele Bauern wollen sich von der ÖVP nicht mehr verarschen lassen“, sagt der Staller Schafbauer Michael Kerschbaumer vergangenen Sommer zu profil.
profil traf den Staller Schafbauer Kerschbaumer im Juli 2023.
Der Wolf auf der Uni
Anselm Hager muss lachen, als er das hört. „Das ist interessant“, sagt er dann. Hager ist Juniorprofessor am Institut der Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität in Berlin – auch dorthin hat der Wolf mittlerweile seinen Weg gefunden. Hager forscht zu Mobilisierungen und Erfolgen rechtspopulistischer Parteien. 2022 hat Hager mit dem Politikwissenschafter Bernhard Clemm von Hohenberg einen Aufsatz im renommierten Journal „PNAS“ publiziert. Er trug den Titel „Wolf attacks predict far-right voting“, zu Deutsch: Wolfsangriffe sagen Zugewinne der extremen Rechten voraus.
Die Untersuchung zeigt, wie in jenen deutschen Gemeinden, in denen es zu Wolfsangriffen gekommen ist, die Alternative für Deutschland (AfD) überdurchschnittlich dazugewinnt. In Orten, wo Wölfe zugeschlagen haben, gewinnt die Partei bei Landtagswahlen seit 2013 fünf Prozent mehr dazu als in Orten, wo Angriffe ausgeblieben sind. Hager und von Hohenberg haben auch nach anderen möglichen Ursachen für diese abnormen Zugewinne gesucht, aber keine gefunden. „Mit Sicherheit können wir die Kausalität in der Wissenschaft nie behaupten, aber der Zusammenhang ist schon sehr auffällig“, sagt Hager zu profil.
Grund für die Wählerströme sei seiner Meinung nach, dass die AfD bis 2022 die einzige deutsche Partei gewesen sei, die sich explizit gegen den Wolf gestellt hat – und das mit Ressentiments gegen die EU und Naturschützer verknüpft habe. Für Österreich gibt es keine vergleichbare Studie. Ein Blick auf die Daten der Landtagswahlen des Vorjahres lässt aber ähnliche Ergebnisse vermuten. In vielen Gegenden, in denen die FPÖ 2023 besonders stark dazugewonnen hat – im Waldviertel, im Pinzgau, im Lungau, im Mölltal –, weist das zuständige „Österreichzentrum Bär Wolf Luchs“ auch Wolfssichtungen aus. Der aktuelle Höhenflug der Freiheitlichen hat stark mit den Zugewinnen im ländlichen Raum zu tun, sie wildert erfolgreich im klassischen ÖVP-Milieu. Gut möglich, dass das auch mit der blauen Wolfspolitik zu tun hat.
Der Wolf versteht nur eine Sanktion: die Kugel.
„Wolfstopp“ im Gasthaus
Wer wissen möchte, wie die FPÖ das Thema bespielt, kann das am 10. April im Gasthaus „Angerer“ in Stixendorf im südlichen Waldviertel erleben. Das „Freiheitliche Bildungsinstitut“ hat am Abend des 10. April 2024 dorthin zu einem Vortrag geladen, Titel der Veranstaltung: „Wölfe in Österreich“.
Etwa 45 Leute sind gekommen, viele von ihnen Jäger, einige Bauern, ein paar Neugierige. Die Gäste sind fast alle über 50 Jahre alt und bis auf fünf Ausnahmen männlich. „Weidmannsheil“, sagt der freiheitliche Volksanwalt Walter Rosenkranz zur Begrüßung, dann übergibt er das Wort dem Hauptredner: Gerhard Fallent. Er ist Obmann des Vereins „Wolfstopp“, den er im Februar des Vorjahres gegründet hat. Da haben drei Wölfe acht Schafe des „Hobby-Landwirts“, wie er sich selbst nennt, gerissen.
Der 64-Jährige, das merkt man, ist es gewohnt, vor vielen Leuten zu sprechen. Von 2000 bis 2002 saß er für die FPÖ im Parlament, sein Handwerk hat der Umwelttechniker davor als ÖVP-Lokalpolitiker gelernt. Fallent kennt seinen Text, fast monatlich referiert er im Auftrag des „Freiheitlichen Bildungsinstituts“, fast immer am Land, beim Kirchenwirt in Aigen im Ennstal, im Romantikhof Eibiswald oder im Veranstaltungszentrum Weistrach.
90 Minuten dauert sein Referat beim „Angerer“, es gelingt ihm, die Spannung mit Pointen und den dramatischen Bildern seiner Präsentation aufrechtzuerhalten. Man sieht Schafskadaver oder Videos, die zeigen, wie ein Wolf über einen Zaun springt, der fast zwei Meter hoch sein soll. Herdenschutz, das merke man doch, bringe nichts. Zum Ende seines Vortrags hin sagt Fallent einen Satz mit Nachdruck: „Der Wolf versteht nur eine Sanktion: die Kugel.“
Wenn man Fallent sprechen hört, bekommt man es mit der Angst zu tun. Es geht um Eskalationsstufen, denen wir uns nähern und an denen der Wolf den urbanen Raum „erobert“ und der Mensch zur Beute wird. Im Gespräch mit profil stellt Fallent klar, was er damit meint: Eroberung bedeute, dass sich der Wolf manchmal in Siedlungsgebieten aufhalte. „Und natürlich steigt das Risiko für den Menschen, wenn sich das Tier verbreitet.“
Eingebettet sind Fallents Ausführungen in ein bekanntes Narrativ: „Es kann nicht sein, dass uns eine Minderheit sagt, wie wir zu leben haben“, sagt der Ex-Politiker während seines Referats. Er meint damit die EU, die die „Berner Konvention“ ratifiziert hat, und die Umweltorganisationen, die die den strengen Schutzstatus beibehalten wollen.
Die da oben, die in den Städten gegen uns einfache Menschen: Es ist eine rhetorische Figur, die die FPÖ und andere rechtspopulistische Parteien gerne bespielen. Ganz egal ob es um den Wolf, Gendern oder den Umstieg auf E-Mobilität geht. Der Wolf ist im oft beschworenen Kulturkampf ein Fixstarter geworden.
© Alexandra Unger
Schilder mit der Aufschrift "Wolfsgebiet" Achtung Lebensgefahr!" lagen bei der Veranstaltung in Stixendorf auf.
Schilder mit der Aufschrift "Wolfsgebiet" Achtung Lebensgefahr!" lagen bei der Veranstaltung in Stixendorf auf.
Symposium im Salzkammergut
Acht Tage später hat Fallent einige prominente Gäste, „Wolfstopp“ hat zum „Transnationalen Frühlingssymposium“ in Bad Aussee geladen. 170 Stühle und 18 Tische sind im großen Saal des „Kur- und Congresshaus“ aufgestellt, rund ein Viertel davon ist am
18. April 2024 belegt. Susanne Rosenkranz ist da, niederösterreichische FPÖ-Landesrätin für Naturschutz, am selben Tisch sitzt auch ihr Parteikollege Roman Haider, freiheitlicher EU-Parlamentarier, und der ÖVP-Nationalratsabgeordneter Andreas Kühber-ger. Dazu versammeln sich im Saal Landtagsabgeordnete aus Salzburg, Niederösterreich und der Steiermark, mit etwas Verspätung kommt auch der neue Präsident des Gemeindebundes, Johannes Pressl (ÖVP).
Die Politikerinnen und Politiker der zweiten und dritten Reihe hören sich an diesem Donnerstagnachmittag eine Vielzahl an Vorträgen an. Fallent spricht nur kurz, aber er hat Vertreter aus Tschechien, den Niederlanden, Südtirol und der Schweiz eingeladen, um die Situation der Wölfe in ihren Heimatländern zu schildern. Ein Politiker der rechtsextremen VOX aus Spanien hat eine Videobotschaft geschickt, ein EU-Abgeordneter der italienischen Rechtspartei Lega wird für ein Interview per „Skype“ zugeschaltet. Sie alle unterstützen die „Ausseer Deklaration“, die Fallent erarbeitet hat und die dem Ruf nach einem „raschen Regimewechsel auf europäischer Ebene sowie den nationalen Ebenen Nachdruck verleihen soll“. Die zentralen Forderungen: Abschusserleichterung und Senkung des Schutzstatus.
Einer der Teilnehmer des „Syposiums“ kam mit vorgefertigter Auffassung und Botschaft.
Die Veranstaltung beweist zwei Dinge. Erstens: Der Wolf ist nicht nur in Österreich und Deutschland ein Thema, er hat es europaweit zum Wahlkampfthema gebracht. Die EVP setzt sich in ihrem Programm für die EU-Wahlen im Juni dafür ein, die Abschüsse zu erleichtern. Bereits im Dezember hat die EU-Kommission, der die EVP-Politikerin Ursula von der Leyen vorsitzt, vorgeschlagen, den Schutzstatus in der „Berner Konvention“ von „streng geschützt“ auf „geschützt“ zu senken. Das Argument dahinter: Mit knapp 22.000 Exemplaren ist der anvisierte „günstige Erhaltungszustand“ der Wölfe bereits erreicht.
Zweitens beweist die Gästeliste des Symposiums, dass die ÖVP ihre Zurückhaltung bei den Wölfen aufgegeben hat. Gegen 17.30 Uhr, die Veranstaltung dauert schon zweieinhalb Stunden, erhebt sich der Abgeordnete Kühberger und merkt an, dass man doch die Situation nicht andauernd schlechtreden solle. Man brauche doch nur schauen, welche Gesetzesvorschläge es in Kärnten und in Salzburg gebe. „Da geht was weiter“, sagt Kühberger.
Kärntner Novelle
Tatsächlich beschloss der Kärntner Landtag bei der letzten Sitzung am 25. April einstimmig das neue Alm- und Weideschutzgesetz. Es ist ein Prestigeprojekt von Landesrat Gruber, der wohl die Lektion der Wahlergebnisse des Vorjahres gelernt hat. Das Gesetz sieht, vereinfacht gesagt, die Einführung von Schutzgebieten rund um Almwiesen vor, in denen es sehr viel leichter werden soll, den Wolf zu erschießen. In der Begutachtungsphase meldeten zwar Bundeskanzleramt als auch das Umweltschutzministerium aufgrund der „Berner Konvention“ europarechtliche Bedenken an, diese stellen für Gruber aber kein Problem dar. „Es waren aufgrund der Stellungnahmen nur formale Anpassungen notwendig“, erklärt er auf Anfrage von profil. In der rot-schwarzen Landesregierung wurde das Gesetz bereits beschlossen, die Zustimmung des Landtags ist Formsache.
Kräfte wie die grüne Umweltschutzministerin Leonore Gewessler stehen so ziemlich allein dar. Aus ihrem Büro heißt es auf profil-Anfrage, dass es sich bei dem Vorschlag der EU-Kommission zur Senkung des Schutzstatus um „Wahlkampf-Populismus“ handle. Man solle sich stattdessen um eine „ordentliche Unterstützung für den Herdenschutz“ kümmern. Aus Grubers Büro heißt es dazu, dass im Ressort dafür aktuell keine Förderungen aufliegen.
Ich kann nicht garantieren, dass es zu keinen Wolfsangriffen auf Menschen kommt. Aber es ist die absolute Ausnahme.
Ein Wildschwein ist gefährlicher
Gewessler und WWF-Experte Pichler bedauern die mangelnde Differenzierung der Debatte und den allzu starken Fokus auf die Erleichterung der Abschüsse. Dazwischen liegt die Einschätzung von Aldin Selimovic. Der Wildtierökologe ist Österreichs oberster Wolfsbeauftragter der Wiener „Veterinärmedizinischen Universität“ („Vetmed“), der im Auftrag des Bundes arbeitet.
Wenn Tiere gerissen werden, obliegt es ihm, mithilfe ausgebildeter Rissbegutachter und Laborproben herauszufinden, ob ein Wolf dafür verantwortlich gewesen ist. Wenn bei den Behörden der Bundesländer Meldungen oder Fotos von vermeintlichen Sichtungen eingehen, ist es die Aufgabe von Selimovic, sie richtig einzuordnen. Handelt es sich tatsächlich um einen Wolf, trägt er es in der Datenbank des „Österreichzentrum“ ein – damit die Verbreitung des Tieres nachvollziehbar bleibt.
Natürlich bemerke er die stärkere Verbreitung, sechs Rudel habe man im Vorjahr gezählt, auf etwa 100 Wölfe schätzt er den Bestand in Österreich. Es brauche, sagt Selimovic, bei Risiko- und Problemwölfen, die eine Gefahr für den Menschen darstellen, die Möglichkeit, schnell eine Abschusserlaubnis zu bekommen. Und für die Zukunft werde es ohne ordentliche Herdenschutzmaßnahmen und ein noch besseres Monitoring nicht gehen, nur so könne man Nutztiere schützen.
Eines der österreichischen Wolfsrudel ist am Truppenübungsplatz in Allentsteig heimisch geworden.
Von Panikmache hält der 35-Jährige allerdings nichts. „Ich kann nicht garantieren, dass es zu keinen Wolfsangriffen auf Menschen kommt“, sagt Selimovic an seinem Arbeitsplatz im „Forschungsinstitut für Wildtierkunde“ im 16. Wiener Gemeindebezirk. „Aber es ist die absolute Ausnahme.“ Zum Beweis ver-weist er auf eine Studie dreier US-amerikanischer Wissenschafter, die im Vorjahr erschienen ist und zu folgendem Ergebnis kommt: Zwischen 2000 und 2020 kam es weltweit zu 28 tödlichen Wolfsangriffen, also 1,4 jährlich. Zum Vergleich: Beim Hai beträgt die Zahl 5,4, beim Braunbären 6,3 und beim Wildschwein 8,6.
Doch obwohl die Zahlen für sich sprechen, verstehe Selimovic, wenn Landwirte über die Risse klagen oder sich Menschen nach Sichtungen in Siedlungsnähe um ihre Sicherheit sorgen. „Es ist schwer, diese Debatte emotionslos zu führen“, seufzt er. „Die Angst vor dem Wolf ist in uns schon sehr lange verankert.“
Moritz Ablinger
war bis April 2024 Redakteur im Österreich-Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.