Politologin Scholz über Frauenmorde: "Im Käfig aus Ehre und Gewalt"
Nina Scholz wuchs in der DDR auf, studierte in Berlin Politikwissenschaft und lebt in Wien. Sie war für das Ludwig Boltzmann Institut tätig und publizierte zu den Themen Nationalsozialismus, Antisemitismus, Menschenrechte und Islam. 2016 war Scholz Herausgeberin des Buchs "Gewalt im Namen der Ehre". Im März erscheint ihr gemeinsam mit Heiko Heinisch verfasstes Buch "Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert".
INTERVIEW: ROSEMARIE SCHWAIGER
profil: Innerhalb weniger Wochen wurden zwei junge Mädchen vom eigenen Freund getötet. Die mutmaßlichen Täter waren Flüchtlinge. Was ist da los? Scholz: Es gibt eine Häufung von Morden und anderen Gewalttaten wie etwa Vergewaltigungen, bei denen die Täter Asylwerber waren. Viele dieser jungen Männer kommen aus extrem patriarchalischen, frauenfeindlichen, gewaltaffinen Strukturen. Die Ehre der Familie spielt eine große Rolle und ist an das sexuelle Wohlverhalten der Mädchen und Frauen gekoppelt. Die Burschen wurden oft zu Sittenwächtern ihrer Schwestern und Cousinen erzogen. Das ist eine Rolle, die sie selbst überfordert. Auch sie sind dann im Käfig aus Ehre und Gewalt gefangen. Solche Männer sind mit eigenständigen Frauen, die selbst entscheiden, wie sie leben, ob sie eine Beziehung führen oder diese beenden wollen, massiv überfordert. In ihren Augen sind das keine ehrbaren Frauen, sondern Huren.
profil: Aber wenn sich jetzt alle fürchten, bringt das auch nichts, oder? Scholz: Natürlich wurde nicht jeder junge Mann aus diesen Ländern gleich sozialisiert. Es gibt auch andere Milieus und selbstverständlich individuelle Unterschiede. Aber die Verunsicherung in der Bevölkerung ist groß. Ich weiß aus Gesprächen, sowohl hier als auch in Deutschland, dass wieder mehr darauf geachtet wird, Mädchen abends abzuholen, damit sie nicht alleine unterwegs sind.
Es gibt solche, die unsere pluralistische Gesellschaft schätzen. Aber es gibt auch jene, die einen konservativen, zum Teil fundamentalistischen Islam pflegen und die Gesellschaft, in die sie kommen, verachten.
profil: Das ist auch eine übertriebene Reaktion. So viele Fälle waren es ja nicht. Scholz: Es reichen einige solcher Fälle, um Verunsicherung auszulösen. Das Problem ist auch, dass in der Öffentlichkeit fast nur Gruppen junger Burschen unterwegs sind, also keine gemischtgeschlechtlichen Cliquen, wie wir sie kennen. Ich war vor Kurzem in einer deutschen Kleinstadt. Dort sitzen diese Gruppen dann zum Beispiel beim Springbrunnen am Marktplatz, sprechen Mädchen an, umzingeln und belästigen sie. Als Reaktion wurde nun die Polizeipräsenz erhöht. Das macht das Klima einfach unangenehm. Es erhöht die Unsicherheit der Mädchen und die Besorgnis der Eltern. Da muss gar kein Gewaltverbrechen passieren. Es geht um die offensive, oft auch aggressive Männlichkeit im öffentlichen Raum. In der Kriminalitätsstatistik sind Asylwerber leider auch deutlich überrepräsentiert: 2017 geriet einer von 48.000 Österreichern unter Mordverdacht, aber jeder 457. Asywerber.
profil: Eigentlich war die Hoffnung, dass Zuwanderer und Flüchtlinge froh sind über die Freiheiten, die unsere Gesellschaft bietet. Waren wir naiv, das zu glauben? Scholz: Ich habe das nie umstandslos angenommen, weil ich Menschen in ihrer kulturellen Prägung ernst nehme. Die Menschen kommen mit unterschiedlichen Vorstellungen hier an. Es gibt solche, die unsere pluralistische Gesellschaft schätzen. Aber es gibt auch jene, die einen konservativen, zum Teil fundamentalistischen Islam pflegen und die Gesellschaft, in die sie kommen, verachten. Das ist historisch ein neues Phänomen: In verschiedenen Einwanderungswellen zuvor kamen immer Menschen, die für sich und ihre Kinder genau die Gesellschaft wollten, die sie hier vorfinden. Dann kam erstmals eine größere Gruppe, die die westliche Gesellschaft als sündhaft und als Gefahr für die eigenen Kinder betrachtet. Wir bemerken zum Teil auch eine Verstärkung konservativer Moral und Geschlechterbilder in der zweiten und dritten Generation von Zuwanderern. Eigentlich können wir in diesen Fällen nicht mehr von einem Migrationsproblem sprechen.
profil: Falls Ihr Befund stimmt: Was wäre die Konsequenz daraus? Scholz: Wir sollten aufhören, zu tabuisieren. Ich höre oft aus dem linken oder liberalen Spektrum: „Strikte Regeln sind nicht nötig, weil alle Eltern doch nur das Beste für ihre Kinder wollen.“ Aber wer definiert, was das Beste ist? Manche Eltern glauben, es sei für ihre Tochter das Beste, sie früh zu verheiraten. Man sollte schon so kultursensibel sein, die Werte und Vorstellungen von anderen zu erkennen und sie ernst zu nehmen.
Die Meinungshoheit wurde lange der Rechten überlassen. Wenn Probleme tabuisiert werden, hilft das nur einem: dem Tabubrecher.
profil: Wie sollte die Politik auf die Probleme reagieren, die Sie schildern? Scholz: Ich denke, dass es darum geht, unsere Bedingungen ganz klar zu vermitteln: Wir werden nicht Dinge neu verhandeln, die längst ausverhandelt sind. Wir werden nicht akzeptieren, dass Mädchen weniger wert sind als Buben. Häufig hört man das Argument, dass Verbote nichts brächten und man lieber mit den Eltern sprechen solle. Aber das ist ja kein Gegensatz. Wir haben uns zum Beispiel irgendwann darauf geeinigt, das Schlagen von Kindern in der Schule und im Elternhaus zu verbieten. Im Laufe der Zeit hat dieses Gesetz in Verbindung mit Aufklärung eine grundlegende Veränderung in der Gesellschaft gebracht.
profil: Die öffentliche Diskussion über die Straftaten von Ausländern läuft sehr emotional. Warum ist es so schwer, einigermaßen vernünftig darüber zu reden? Scholz: Die Debatte bewegt sich zwischen Aufregung, Instrumentalisierung bis hin zu Hetze auf der einen Seite und Tabuisierung, Relativierung auf der anderen Seite – aus Angst, rechten Ressentiments in die Hände zu spielen. Politik und Behörden müssen differenziert vorgehen. Die Meinungshoheit wurde lange der Rechten überlassen. Wenn Probleme tabuisiert werden, hilft das nur einem: dem Tabubrecher. Das passiert aber nach wie vor, wenn ich mir die jüngsten Aussagen von Sigrid Maurer anschaue.
profil: Die ehemalige Abgeordnete der Grünen machte auf Twitter das Patriarchat und ganz grundsätzlich die Männer für die Frauenmorde verantwortlich. Scholz: Es ist eine mehr als dürftige Analyse, zu sagen: Es sind die Männer. Pauschalisierender wäre nur noch: Es sind Menschen, die Menschen umbringen. Das bringt keinerlei Erkenntnisgewinn. Wie sollen Präventionsmaßnahmen und politische Reaktionen erfolgen, wenn wir aus Angst vor Rassismus nicht einmal präzise analysieren? Da geht es nicht bloß um Morde und andere schwere Straftaten. Es geht auch um die Mädchen in solchen sehr konservativen Familien, die wir jahrzehntelang im Stich gelassen haben. Deshalb habe ich das Gesetz gegen Zwangsverheiratungen unterstützt und plädiere auch für ein Kopftuchverbot in der Pflichtschule.
profil: Das Gegenargument lautet, dass es kaum kleine Mädchen mit Kopftuch gibt. Scholz: Erstens ist nicht klar, wie viele es sind. Einige Lehrerinnen und Lehrer bestätigen aber, dass es mehr geworden sind. Zweitens sollte die Zahl kein Argument sein. Es geht um Prävention. Das ist in anderen Bereichen ja auch unser Anspruch. Wir warten nicht, bis die rechtsradikale oder Dschihadisten-Szene so gewachsen ist, dass sie zur Gefahr für die Demokratie wird. Ich glaube, dass diejenigen, die so argumentieren, eigentlich wollen, dass man überhaupt nicht über das Problem spricht.