Polizeisoziologe Rafael Behr: „Greift uns bloß nicht an“
profil: Die Ausrüstung der Polizei wird immer martialischer. Wo führt das hin?
Behr: Lassen Sie mich die Frage zunächst umgekehrt stellen. Wo gab es gegenläufige Tendenzen? Da muss man in Deutschland bis in die 1960-er und 70-er Jahre zurückschauen, als man die Polizei deutlich vom Militär abgrenzte. Die Uniformen erinnerten an einen Dinner-Anzug mit drei diskreten Knöpfen. Außen durfte man keine Waffen tragen.
profil: Wann setzte die Gegenströmung ein?
Behr: Als in den 80-er und 90-er Jahren internationaler Terrorismus zum Thema wurde, rüstete die Polizei mehr oder weniger offensichtlich auf, begleitet von einer Debatte über Gewalt gegen Beamte. Heute hängen an ihren Gürteln immer mehr Gegenstände, die Schmerzen zufügen: Pistolen, Magazine, Pfefferspray, ein Taser. Je mehr Instrumente Polizisten zur Verfügung haben, um ihren Worten schnell Maßnahmen folgen zu lassen, desto mehr werden sie darauf zurückgreifen. Das treibt die Spirale von Gewalt und Gegengewalt an.
profil: In Österreich gehören Stichschutzwesten zur Grundausstattung von Streifenpolizisten. Besorgt sie das auch?
Behr: Es verändert nicht nur das Stadtbild, sondern auch den Habitus. Wer in einer martialischen Uniform steckt, guckt auch martialisch. Bei uns hat inzwischen sogar die Bereitschaftspolizei-Sturmhauben, wo man nur mehr die Augen sieht. Früher waren das Accessoires von Spezialeinheiten. Das vermittelt, wir müssen uns anonymisieren, weil wir sonst ausgeliefert sind.
profil: Spezialkräfte wie etwa die WEGA in Wien können da noch um einiges mehr aufbieten.
Behr: Ich sehe das auch im Zusammenhang mit einer aggressiven Form von Männlichkeit: Greift uns bloß nicht an, wir haben alles, was wir brauchen, um euch niederzumachen. Das war 2017 übrigens auch explizit die Aussage des obersten Einsatzleiters beim G-20 Gipfel in Hamburg.
profil: Gibt es das Community Policing, die bürgernahe Polizei, gar nicht mehr?
Behr: Die ziviler auftretenden Beamten sind in der Defensive. Die Älteren gehen noch manchmal zu Fuß, reden mit Geschäftsleuten und Einwohnern. Aber sie produzieren keine messbaren Erfolge und Statistiken, und weil sie nicht vorweisen können, dass sie bei einer Demo Leute überwältigt oder einen Räuber gefasst haben, genießen sie innerhalb der Polizei kein hohes Ansehen.
profil: Wie sieht das die Bevölkerung?
Behr: Der „Schutzmann“ ist eine Figur, die nicht karrieregeil oder aggressiv ist, nichts Schlimmes macht, sondern den Sorgen und Nöten der Menschen nachgeht, sodass sie nicht eskalieren. Das entspricht auch der ursprünglichen Idee des Community Policing in den USA. Probleme werden an der Wurzel bekämpft, damit man Noteinsätze gar nicht braucht. Von den Bürgern wird das geschätzt. In der Polizei nützt man diese Kollegen als Informationsgeber, weil sie über ihr Revier Bescheid wissen. Aber wenn das Personal fehlt, um die Streifenwagen zu besetzen, werden sie zuerst abgezogen. Sie sind eine heimliche Einsatzreserve, die niemals den Stellenwert hat wie eine WEGA.
profil: Sondereinheiten treten martialischer aber oft auch lässiger auf, weil sie trainiert sind und in schwierigen Situationen mehr Spielraum haben.
Behr: Die Haltung der Funktionseliten ist von dem Wissen gespeist, dass sie zu den Besten gehören. Es ist ihr Anspruch, nicht am Anschlag zu sein. Das zelebrieren sie und hilft ihnen auch, in aufgeregten Situationen unaufgeregter zu agieren, als diejenigen, die Angst haben. Die meisten Exzesse und Unfälle passieren durch Überforderungshandeln, weil dann nicht einmal zugeschlagen wird, sondern zehn Mal. Die WEGA-Leute wissen, dass sie genug Power haben und das nicht nötig haben, aber auch, dass sie kritischer beäugt werden. Die Bereitschaftseinheiten haben den Makel, die Nachschuborganisation für die Jungen zu sein. Sie würden auch gerne professioneller auftreten, müssen aber jedes halbe Jahr Männer und Frauen abgeben und neue aufnehmen. Spezialkräfte haben das Privileg, Zugänge öffnen und schließen zu können. Zu ihnen kommt man nicht automatisch, man muss sich bewerben, Prüfungen und Leistungstests bestehen.
profil: Was wäre ein gutes Männlichkeitsbild für eine Sondereinheit wie die WEGA?
Behr: Ich würde sagen, der Krieger. Wenn man dieses Wort verwendet, muss man es allerdings von seiner negativen Anmutung befreien. In meinem Buch über „Cop Culture“ habe ich ihm konstruktive Eigenschaften zugeschrieben, weil ich betonen wollte, dass er eher als andere Polizeitypen in der Lage ist, seinen Körper einzusetzen und auch Schmerzen in Kauf zu nehmen. Während der Schutzmann reflektierter ist und den Waffeneinsatz so lange wie möglich rauszögert, weiß der Krieger, dass Gewaltanwendung im Spektrum des Alltäglichen ist. Wenn er zum Einsatz kommt, ist eben nichts mehr zu erzählen. Seine Haltung hat eine ethische Grundlage. Er entscheidet sich, für eine gute Sache zu kämpfen. So eine reflektierte Kriegermännlichkeit ist jedenfalls besser als ein Schläger oder jemand, der aus Angst vor Autoritätsverlust agiert, weil er die Situation nicht überblickt. Szenarien zu üben braucht Zeit und Gelegenheit, normalen Streifenpolizisten wird das verwehrt.
profil: Erstaunt es Sie eigentlich, dass das martialische Auftreten dem Vertrauen in die Polizei bisher kaum schadet? Es ist sowohl in Deutschland als auch in Österreich sehr hoch.
Behr: Wenn nach dem Ansehen des Berufes gefragt wird, ist es ähnlich hoch wie von Krankenschwestern oder der Feuerwehr, weil die Institution den Ruf hat, berechenbar und wenig korrupt zu sein. Wir haben ja keine Polizei, die außer Rand und Band ist. Deshalb gibt es hohe Zustimmung von Leuten - das muss man mitdenken -, die persönlich kaum mit der Polizei zu tun haben. Völlig anders sind die Auskünfte von People of Color, Jugendlichen mit Migrationshintergrund oder Demonstranten.
Wenn es nicht mehr möglich ist, sich inhaltlich mit Fehlverhalten und Gewaltexzessen auseinanderzusetzen, wird die Polizei sakrosankt. Und dann macht sie, was sie will.
profil: In Deutschland wird polizeiliche Gewalt gerade wissenschaftlich untersucht. Das lässt die Wogen hochgehen. Warum?
Behr: Es geht quasi um eine Kundenbefragung der anderen Art. Man hat Leute gesucht, die von Polizeihandlungen negativ betroffen waren. Die Gewerkschaften sind gegen solche Untersuchungen immer schon vorgegangen. Nun wird die Studie auch von einer Hochschule diffamiert, aber nicht inhaltlich, sondern man unterstellt den Personen, die angeben, falsch behandelt worden zu sein, dass sie lügen. Auch die Untersuchenden werden angezweifelt. Mir zeigt das, mit welcher Polemik und Energie alles abgewehrt wird, was gegen den guten Ruf der Polizei sprechen würde, wie selbstbewusst und brutal Funktionäre mit Kritik umgehen. Das ist ein Alarmsignal. Wenn es nicht mehr möglich ist, sich inhaltlich mit Fehlverhalten und Gewaltexzessen auseinanderzusetzen, wird die Polizei sakrosankt. Und dann macht sie, was sie will.
profil: Führt die äußere Aufrüstung auch zu einer inneren?
Behr: Diesen Zusammenhang sehe ich durchaus. Äußerlich betrachtet ist die Polizei nicht militärisch, weil sie kein explizites Feindbild hat und das Töten nicht im Selbstverständnis liegt. Doch Schwarzweiß-Abgrenzungen – wir sind die Guten, draußen sind die Bösen – nehmen zu. Polizisten agieren zunehmend aus der Angst heraus, nicht überlegen zu sein und erfinden Mechanismen, um sich auf aggressive Weise in diese Superiorität zurückzubringen. Damit erkläre ich auch rassistische oder diskriminierende Kontrollen. Man glaubt, das Heft aus der Hand zu verlieren und hält ständig neue Personenkreise in Schach, um zu demonstrieren, dass man Herr der Lage ist. Die Narrative sind auswechselbar: Linksextremismus, organisierte Kriminalität wird dafür hergenommen, in Deuschland sind es sogenannte Clans, jetzt kommen gerade wieder andere Migrantengruppen ins Visier. Die Botschaft, die man damit in die Gesellschaft hineintransportiert, lautet: Die Polizei steht mit dem Rücken zur Wand. Das Böse ist übermächtig. Damit schürt man eine Angst, die jede Kritik an ihrer Arbeit verhindert.
profil: Worin unterscheidet sich das soldatische vom polizeilichen Denken?
Behr: Im Zentrum des soldatischen Denkens steht der Schutz der Heimat und der Bevölkerung, der notwendig damit verbunden ist, dass man andere Kräfte eliminiert. Im polizeilichen Denken geht es um den Schutz der jeweiligen lokalen Gemeinde, aber auch um den Rechtsschutz aller an einem Konflikt Beteiligten. Sowohl Tätern, als auch Opfern und Zeugen gegenüber besteht für die Polizei die Verpflichtung, Menschenleben zu schützen. Sie darf nur ausnahmsweise in das Recht auf Leben einzugreifen. Außerdem funktioniert die militärische Logik nach einem strengen Hierarchieprinzip, das bei der Polizei zumindest in guten Zeiten aufgeweicht ist. Ich nehme allerdings wahr, dass die Polizei in Westeuropa wieder vermehrt in hierarchischen Dimensionen denkt. Wir hatten in den 90er-Jahren eine Aufbruchstimmung. Die Polizei hat sich dezentralisiert, es gab im Inneren mehr Mitbestimmung. Da sehe ich einen Rollback.
profil: Sie sprechen von einer polizeilichen Dominanzkultur. Gehört dazu auch die Beherrschung der öffentlichen Debatte?
Behr: Die Polizei überrollt die öffentliche Auseinandersetzung, indem sie selbst journalistische Rollen einnimmt, sowohl auf Social Media als auch in der täglichen Berichterstattung, wo ihre Berichte teilweise eins zu eins übernommen werden. Da sind aber Wertungen drin. Die Polizei schätzt die Teilnehmerzahl der Demonstranten geringer ein als die Veranstalter. Oder: Verletzte Polizisten werden minutiös gezählt, die Zahl der verletzten Demonstranten hingegen vermisst man oft. Es entsteht ein skandalöses Ungleichgewicht, wenn die Polizei ihre Aufgabe nicht neutral erfüllt, sondern sich als meinungsbildendes Organ betätigt.
profil: Umgekehrt wird bei Demos Beamten mitunter mit der Handykamera aus nächster Nähe ins Gesicht gefilmt.
Behr: Das verunsichert natürlich. Die Polizisten müssen lernen damit umzugehen, dass sie selbst zum Objekt von Beweissicherung im weitesten Sinne oder sogar lächerlich gemacht werden. Das fällt ihnen sehr schwer, was dazu führt, dass auch die eigene Beweissicherung gesteigert wird. Dieses Filmen beruht durchaus auf Gegenseitigkeit.
profil: Mit Videos etwa von der Festnahme einer 65-jährigen, die Passanten zuruft, dass sie zwei Enkelkinder hat, wird gezielt Stimmung gemacht: Neben einer Oma macht die Polizei in der martialischen Montur keine gute Figur.
Behr: Diese Form, die Arbeit der Polizei bloßzustellen, hat eine lange Tradition. Die Ikonografie ist natürlich stärker geworden. Die Polizei unterliegt heute einer nicht mehr kontrollierbaren Bebilderung. In dem geschilderten Fall würde ich ihr zugestehen, dass sie offensiv kommuniziert und einen größeren Ausschnitt wahrnehmbar macht, etwa indem sie eigenes Filmmaterial zur Verfügung stellt. In Deutschland wird so etwas häufig von Social Media Abteilungen erwidert.
profil: In Österreich empfindet sich die Polizei als gesellschaftlich eher gut eingebettet. Sehen Sie hier Unterschiede zu Deutschland?
Behr: Ich war einige Jahre als Berater beim Projekt „Polizei. Macht. Menschen. Rechte“ tätig. Da hat man sich aufrichtig bemüht, Menschenrechte vom lästigen Übel zum Kernauftrag umzuwidmen. Es gibt in der österreichischen Polizei – nicht anders wie in Deutschland – eine große Gruppe hochangepasster Menschen, die ein sehr ziviles Auftreten haben und sich in einem Schutzberuf für den sozialen Frieden sehen. Fehlverhalten zu individualisieren, statt strukturelle Mängel zu thematisieren – sprich: unser Laden ist in Ordnung, wir brauchen keine externe Kontrolle – ist aber in beiden Ländern üblich. In einem Punkt würde ich die Polizei in Österreich dennoch anders sehen: Man reagiert auf Impulse von außen bereitwilliger und schneller. In Deutschland wird die Legimität von Reformen erst einmal in Frage gestellt. In dieser Hinsicht habe ich die Atmosphäre in Österreich als aufgeschlossener empfunden.