Interview

Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung: „Auf Dauer sehe ich die effektive Strafverfolgung gefährdet“

Wie die Staatsanwaltschaften politische Einflussnahme verhindern und warum sie dennoch um effektive Ermittlungen fürchten, erklärt Elena Haslinger, Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung.

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Die Weisungsspitze der Staatsanwaltschaften liegt noch immer bei der Justizministerin. Wie unabhängig können die Staatsanwaltschaften überhaupt gegen Parteien ermitteln?

Elena Haslinger

Wir sind streng an das Gesetz gebunden. Das Strafgesetzbuch gibt vor, welches Verhalten strafbar ist und die Strafprozessordnung regelt, wie das Verfahren dazu abläuft. Das ist der Rahmen, in dem wir uns bewegen und der ist unabhängig von der Weisungsspitze. Werden Weisungen erteilt, müssen diese schriftlich zum Akt genommen werden und sind damit für alle Verfahrensparteien einsehbar. Daher ist es falsch zu sagen, es seien keine unabhängigen Ermittlungen möglich.

Aber wenn die Justizministerin sagt: „Dieses Verfahren ist einzustellen!“, sind die Ermittlungen beendet.

Haslinger

Es ist kein Geheimnis, dass wir als Standesvertretung seit Jahrzehnten für eine unabhängige staatsanwaltschaftliche Weisungsspitze eintreten, weil wir die Problematik sehen, dass der Anschein besteht, der oder Justizminister oder die Justizministerin könnte aus sachfremden Motiven, nämlich politischen Motiven, Einfluss auf Ermittlungsverfahren nehmen.

Justizministerin Alma Zadic (Grüne) hat ein Konzept einer unabhängigen Weisungsspitze ausarbeiten lassen. Statt der Justizministerin würden dann Dreier-Senate die wichtigsten Entscheidungen in heiklen Verfahren treffen. Sind Sie auch für dieses Modell?

Haslinger

Ja. Es hat sich bei den Gerichten bewährt, dass wichtige Entscheidungen in Senaten getroffen werden.

Ex-Justizminister Clemens Jabloner sagt: Die Senatslösung wäre am besten, am zweitbesten wäre es, wenn weiter wie bisher der Justizminister entscheidet und am schlechtesten wäre ein einzelner Generalstaatsanwalt, der die Entscheidungen alleine fällt. Letzteres wünscht sich die ÖVP. Wie sehen Sie das?

Nur mit einer Senatslösung wäre eine echte Verbesserung und Etablierung einer unabhängigen staatsanwaltschaftlichen Weisungsspitze möglich.

Elena Haslinger

Haslinger

Nur die Person an der Spitze auszutauschen, die dann womöglich wieder ein politisches Label hat und die betreffend wieder der Anschein der Einflussnahme aus sachfremden Motive entstehen kann, wäre aus unserer Sicht keine Verbesserung. Da ist es besser, wir bleiben bei dem jetzigen System. Nur mit einer Senatslösung wäre eine echte Verbesserung und Etablierung einer unabhängigen staatsanwaltschaftlichen Weisungsspitze möglich.

Noch steht der Justizminister oder die Justizminister an der Weisungsspitze. Braucht es überhaupt Weisungen oder leisten die Staatsanwaltschaften vorauseilenden Gehorsam und ermitteln gegen ihre Weisungsspitze weniger aktiv?

Haslinger

Ganz und gar nicht. Wir Staatsanwältinnen und Staatsanwälte durchlaufen dieselbe Ausbildung wie Richterinnen und Richter und sind darauf trainiert, unabhängig zu agieren. Insofern hat die Besetzung des Justizministeriums auf unsere Ermittlungsarbeit keinen Einfluss.

Egal, welche Partei den Justizminister oder die Justizministerin stellt: Sie machen sich keine Sorgen um die Unabhängigkeit von Ermittlungen?

Haslinger

Wir haben ein sehr starkes System, in dem die einzelnen Akteure ihre Verantwortung kennen und wissen, welchen Normen sie entsprechen müssen. Die Gesetze geben klar vor, welches Handeln strafbar ist. Und die Gesetze gelten für alle gleich. Auch für Weisungen gibt es klare Vorgaben, die Transparenz sichern sollen.

Die rechtswidrige Weisung wäre im Akt. Aber müsste sie befolgt werden?

Haslinger

Erachtet man als Staatsanwältin oder Staatsanwalt eine Weisung als strafrechtswidrig, kann man die Ausführung der Weisung verweigern. Und selbstim Fall einer Weisung zur Einstellung des Verfahrens könnten Opfer eine Fortführung der Ermittlungen verlangen. Dann entscheidet ein unabhängiger Richtersenat, ob die Ermittlungen fortgeführt werden müssen.

Die ÖVP ist als Partei beschuldigt, gegen FPÖ-Chef Herbert Kickl wird ermittelt. Sehen Sie ein Spannungsverhältnis für die Staatsanwaltschaften bei einer blau-schwarzen Regierung?

Haslinger

Für uns Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nicht. Für uns zählt allein das, was das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung vorgeben. Anders haben wir es in der Ausbildung nicht gelernt.

Die ÖVP hat von „linken Zellen“ in der WKStA gesprochen. Die FPÖ meint, die Ermittlungen gegen Kickl seien beim „tiefen ÖVP-Staat“ bestellt worden. Was machen diese Angriffe mit den Staatsanwaltschaften?

Haslinger

Sachliche Kritik kann man natürlich äußern. Bei unsachlicher Kritik, die im Rahmen von Litigation-PR teilweise gegen Kolleginnen und Kollegen persönlich gefahren wird und die das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Arbeit der Staatsanwaltschaften schwächt, ist eine Grenze überschritten. Politiker sollten mit einem guten Beispiel vorangehen und ihre Worte sorgfältig wählen. Besonders dann, wenn Aussagen geeignet sind, das Vertrauen in die Justiz als Ganzes schwächen.

Haben Sie Sorgen, dass diesen Worten der Parteien auch Taten folgen?

Haslinger

Einmal werden wir ins linke, einmal ins rechte Eck gestellt. Das zeigt recht gut, dass wir gegen alle gleich ermitteln. Es liegt an den Betroffenen, wie sie auf diese Ermittlungen reagieren. Aber ich bin überzeugt, dass unser System so ausgestattet ist, dass wir keine Interventionsversuche von politischer Seite zu befürchten haben.

Also gehen Sie davon aus, dass das leere Worte der Parteien sind?

Haslinger

Ich hoffe es!

Gibt es innerhalb der Staatsanwaltschaften Sorgen?

Haslinger

Unsere Sorgen beziehen sich derzeit vorwiegend auf die mangelnde Ausstattung mit Personal. Das ist für uns derzeit das größte Thema. Mit Anfang Jänner wurde mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz ein riesiges Reformpaket umgesetzt und bislang haben weder wir noch die Gerichte dafür eine einzige zusätzliche Planstelle bekommen. Das gesamte Gesetzespaket dient laut seinen Erläuterungen der Verfahrensbeschleunigung. Aus unserer Sicht findet sich aber keine einzige Bestimmung, die die Arbeit der Staatsanwaltschaften beschleunigen oder erleichtern würde. Fehlt das Personal, sind effiziente und effektive Ermittlungen nicht mehr gesichert. Und da reden wir noch nicht von den Einsparungen, die offenbar alle Ministerien treffen sollen.

Ohne zusätzlichem Personal gibt es keine effektive Strafverfolgung mehr?

Haslinger

Auf Dauer sehe ich die effektive Strafverfolgung gefährdet. Die Staatsanwaltschaften bekommen immer mehr Aufgaben, aber nicht im selben Ausmaß mehr Personal. Das wird sich irgendwann nicht mehr ausgehen. Derzeit in Diskussion ist auch eine Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre. Da läuten bei uns die Alarmglocken.

Warum?

Haslinger

Wir wissen, dass Haft die Betroffenen aus dem sozialen Gefüge reißt und gerade junge Menschen im Gefängnis mit Personen in Kontakt kommen, die keinen positiven Einfluss haben. Es gibt daher schon jetzt strenge Vorgaben, wann eine Haft bei Jugendlichen überhaupt in Betracht kommt. Dazu kommt, dass in Verfahren gegen 14- bis 16-Jährige häufig jugendpsychiatrische Sachverständige feststellen müssen, ob die Jugendlichen reif genug sind, das Ausmaß ihrer Tat zu verstehen. Senkt man das Strafmündigkeitsalter, ist zu erwarten, dass sich betreffend zwölf- und 13-jährigen Kinder häufig die Frage stellt, ob sie reif genug waren, die Tragweite ihres Handeln zu verstehen. Das bewirkt einen massiven Mehraufwand für die Staatsanwaltschaften und enorme Mehrkosten bei den Sachverständigen – von denen es gerade im Bereich der Jugendpsychiatrie zu wenig gibt. Ganz abgesehen von der Frage, wo man künftig zwölfjährige Kinder unterbringen soll. Die vorhandenen Gefängnisse eignen sich dafür aus meiner Sicht nicht.

Elena Haslinger

ist seit Mai 2024 Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung. Von 2017 bis 2019 arbeitete die gebürtige Oberösterreicherin bei der Staatsanwaltschaft Wien, 2019 wechselte sie an die Staatsanwaltschaft Salzburg, wo sie von 2021 bis 2024 die Medienstelle leitete.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.