Es ist noch nicht so lange her, da war Alexander Pröll regelrecht ein Phantom. Ein unscheinbarer Mitarbeiter der ÖVP, der dermaßen im Hintergrund agierte, dass Fernsehstationen Schwierigkeiten hatten, überhaupt Berichte über ihn zu gestalten, als es ihn am 5. Jänner, inmitten von Koalitionsverhandlungen, plötzlich auf den Posten des Generalsekretärs der Volkspartei katapultierte. Von Alexander Pröll existierten zwar einige wenige Fotos; Bewegtbilder, also Filmaufnahmen, jedoch gab es nicht. Dabei stieg der Bedarf nach Videomaterial, denn der Unbekannte war auf einmal nicht nur einer der wichtigsten Akteure der Kanzlerpartei, sondern auch unter denjenigen, die maßgeblich mitbestimmten, wie Österreichs künftige Regierung aussehen wird. In einer Reihe mit ÖVP-Klubobmann August Wöginger und Parteiobmann Christian Stocker selbst war Pröll einer der drei Chefverhandler der Volkspartei; zunächst in dem gescheiterten Versuch, mit der FPÖ eine Koalition zu bilden, und schließlich im zweiten Anlauf mit der SPÖ und Neos. Gerade einmal wenige Wochen im neuen Job, wartet auf Pröll nun ein weiterer Karrieresprung: Er wird als Staatssekretär ins Bundeskanzleramt einziehen.
Von Gernot Bauer,
Iris Bonavida,
Max Miller und
Clemens Neuhold
Vergangenen Montagnachmittag schreitet Alexander Pröll durch die Gänge der Wiener Lichtenfelsgasse 7. Gemächlicher Schritt, offenes Lachen, fester Händedruck. Pröll wirkt zuweilen noch etwas ungelenk bei Medienterminen, etwa wenn er fotografiert wird. „Das ist immer noch sehr ungewohnt“, gibt er zu.
Generation Türkis
Er ist zwar Generation Türkis, war auch Fachreferent im Kabinett von Sebastian Kurz für die Zusammenarbeit mit den Bundesländern, doch er ist bar jeder kurzianischen Selbstgewissheit, deren hochpolierte Professionalität zuweilen etwas Verbissenes hat. Xandi, wie ihn Verwandte, Freunde und Parteigefährten nennen, scheint das nicht nötig zu haben. Er sitzt jedenfalls gut in seiner Haut; witzelt darüber, dass er sich in den vergangenen Verhandlungswochen vor allem von Brötchen ernährt hat, die er auf Koalitionsverhandlungsbüffets abgegriffen hat; zeigt auf seinem Handy stolz Fotos seines Neffen, der nur wenige Wochen alt ist.
Alexander Pröll aufgrund seiner nahbaren Art zu unterschätzen, wäre wohl ein Fehler. Er versteht es, sein Gegenüber in Watte rennen zu lassen. Er meidet harte politische Ansagen und ideologische Gebärden und spricht lieber über die Bedeutung von „Empathie“ und „Authentizität“. Er sagt, er habe keine Vorbilder, er strebe danach, die beste Version seiner selbst zu sein.
Alexander Pröll, 34 Jahre alt, ÖVP-Generalsekretär, Staatssekretär im Bundeskanzleramt
ÖVP-Dynastie Pröll
Alexander Pröll, Jahrgang 1990, ist ein junger Mann mit einem alten Namen. Er stammt aus der niederösterreichischen Polit-Dynastie der Prölls, sein Vater Josef Pröll war von 2008 bis 2011 ÖVP-Obmann und Vizekanzler unter Werner Faymann, Großonkel Erwin Pröll, war ein Vierteljahrhundert Landeshauptmann von Niederösterreich. „Xandi“ habe bei Treffen der Polit-Familie beim Erwachsenentisch die Ohren gespitzt und alles aufgesaugt, während die anderen Kinder draußen im Hof gespielt hätten, erzählt Altlandeshauptmann Erwin Pröll im Gespräch mit profil. Der Niederösterreicher hält den Großneffen nicht nur für ein Organisations-, sondern auch für ein Polit-Talent; er dürfe nur nicht „frühzeitig verbrannt werden“, sagt Erwin Pröll. Es liege an jenen, die nun das Sagen in der ÖVP haben, sorgsam mit jungen Menschen wie seinem Großneffen umzugehen, die sich dafür entscheiden, in die Politik zu gehen, und die sich „das antun“.
Pröll der Dritte jedenfalls wird sowohl von Schwarzen als auch von jenen wenigen aus den anderen politischen Fraktionen, die einen Eindruck von ihm gewinnen konnten, als „angenehm im Umgang“, „verbindlich“ und „fleißig“ bezeichnet. Als Pröll sei er zwar ein Polit-Aristo, der Politik von klein auf mitbekommen hat und deshalb ein intuitives Gespür für politische Prozesse und Dynamiken vor allem innerhalb der ÖVP hat. Sein politisches Emporkommen habe er jedoch nicht nur seinem Namen und seiner Sozialisation zu verdanken – das sagen Parteifreunde ebenso wie politische Gegner. Innerhalb, aber auch außerhalb der Volkspartei prophezeien ihm viele eine lange Karriere. Weniger als sein politisches Geschick und Talent wird dafür der Mangel an Alternativen ins Treffen geführt.
Denn der Aufstieg des Alexander Pröll offenbart auch eine strukturelle Schwäche der ÖVP: Sie ist personell ausgedünnt. Jemand, der lange organisatorisch im Hintergrund tätig war, gilt in dieser Situation zwangsläufig als Zukunftshoffnung – auch wenn er keinerlei repräsentative Erfahrung hat. Pröll kennt zumindest die Partei in- und auswendig.
Berufswunsch Architekt
Seit 2017 hat Pröll mehrere Stationen innerhalb der schwarz-türkisen Machtsphäre durchlaufen, war zunächst Mitarbeiter des damaligen ÖVP-Generalsekretärs und späteren Bundeskanzlers Karl Nehammer, Mitarbeiter im Kabinett von Sebastian Kurz, später auch in jenem von Alexander Schallenberg. Im Dezember 2021 wurde er schließlich, zeitgleich mit der nunmehrigen Wiener Gemeinderatsabgeordneten Laura Sachslehner, die Generalsekräterin wurde, zum Bundesgeschäftsführer der ÖVP ernannt.
Dass er dereinst so sehr im politischen Geschehen stehen würde, hatte er selbst – trotz seiner frühen politischen Prägung – weder kommen sehen noch herbeigesehnt, wie er sagt. Lange Zeit interessierte er sich nicht für einen Job in der Politik. Alexander Pröll wächst behütet in Wien-Währing mit zwei Schwestern auf und hegt als Kind lange den Wunsch, Architekt zu werden. Als Schüler zeichnet er gerne Straßenzüge und Häuserzeilen, erzählt er; im Büro eines Architekten, der mit den Prölls befreundet ist, absolviert er auch berufspraktische Tage, entscheidet sich nach der Matura am Gymnasium in der Schopenhauerstraße dann aber doch für ein Studium an der WU im Fach Wirtschaftsrecht.
Alexander Pröll wächst zwar sorglos auf, in den Ferien steht er dennoch am Fließband in der Ottakringer Brauerei und dreht acht Stunden lang im Akkord Bierdosen um. „Danach habe ich gewusst, warum ich studiere.“ Den Eltern sei es wichtig gewesen, den Kindern den Wert von Arbeit und von Geld zu vermitteln, sagt er. „Meine Reisen musste ich mir immer selbst bezahlen und dafür arbeiten gehen.“ Einen Sommer lang verdingte er sich als Entertainer beim Tourismusunternehmen Magic Life im türkischen Bodrum .
Von der Party zur Partei
Zwar ist Pröll mit Politik aufgewachsen und hat auch nie etwas anderes gewählt als die ÖVP, wie er sagt, aber den klassischen Weg durch die schwarzen Jugendorganisationen sparte er sich. In Wahrheit hatte er lange keine Lust auf Politik. „Ich habe bei meinem Vater gesehen, was das bedeutet und wie viel Zeit das in Anspruch nimmt.“ Und wie erbarmungslos es sein kann, derart exponiert in der Öffentlichkeit zu stehen.
Als Teenager erlebte er, wie sein Vater auf offener Straße von einem Fremden als „Arschloch“ beschimpft wurde. „Das war wirklich ungut“, sagt Pröll. „Es tat vor allem mir richtig weh.“
Der Politikersohn fliegt zu Clubbings nach Tel Aviv und eröffnet den Opernball. Weggefährten erzählen von einem Alexander Pröll, der gerne und oft fortging und Party machte. So gerne, dass er mit zwei Freunden auch ein kleines Unternehmen gründete, mit dem er Feste organisierte, zum Beispiel im Wiener WUK. Es waren ebendiese Partys, die ihn 2017 schließlich auch in die Politik führen. In dieser Zeit organisierte er Veranstaltungen im Rahmen des Wahlkampfs von Sebastian Kurz und rutschte so in die ÖVP; eine Struktur, in der er ohnehin gut vernetzt war. Der Rest ist ÖVP-Geschichte. Und womöglich ist Alexander Pröll die ÖVP-Zukunft.