profil-Morgenpost: Das Meersau-Willi-Prinzip

Guten Morgen!

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Wenn ich an Österreich und seine Corona-Politik denke, kommt mir neuerdings häufig das Hausmeerschweinchen in den Sinn. Genauer gesagt: jenes Exemplar der Gattung Cavia porcellus form. Domestica namens Willi, das im Kabarettfilmklassiker "Muttertag" sein possierliches Leben aushaucht, weil es schicksalhaft zwischen die Sitzfläche eines Gartensessels und dem sich darauf niederlassenden Großvater gerät.

Das mag weit hergeholt klingen, zumal die österreichische Corona-Politik zunächst einmal weniger an Kabarett-, als an Gruselkino denken lässt: "Angstmache" attestiert Kollegin Linsinger der Bundesregierung in ihrem aktuellen Leitartikel, den es hier zu lesen und hier zu hören gibt.

In dem Kommentar findet sich aber auch ein Satz, der meine Meersau-Willi-Assoziation erklärt: Das "leidige Prinzip 'Wir haben keine Fehler gemacht, schuld sind immer die anderen' prägt derzeit das Covid-19-Krisenmanagement", lautet er. Als Kollegin Linsinger diese Erkenntnis Ende vergangener Woche formulierte, ahnte sie nicht (wobei: vielleicht doch, sie kennt ja ihre Pappenheimer), dass sie keine 48 Stunden später vollinhaltlich bestätigt werden würde.

In der Nacht zum Sonntag  – als profil in gedruckter Form bereits auf dem Weg zu denjenigen von ihnen war, die es abonniert haben; die anderen können das ganz leicht nachholen – trat eine neue, erst am Freitag veröffentlichte Corona-Einreise-Verordnung des Gesundheitsministeriums für Kroatien-Heimkehrer in Kraft, die nicht nur von Touristik-Fachleuten als "überzogener Aktionismus" gewertet wird. Das dadurch verursachte Chaos an den österreichischen Grenzübergängen in Kärnten führte dazu, dass tausende Urlauber bis zu 15 Stunden auf der Autobahn festsaßen. 

Seither schieben sich die Verantwortlichen gegenseitig die Schuld dafür zu: Die Kärntner Landesregierung dem Bund (weil sie ohnehin davor gewarnt habe, dass die rigorose Umsetzung der Verordnung zu Probleme führen würde), die Bundesregierung wiederum dem Land (weil dieses die Verordnung überschießend interpretiert habe).

"Bitte I såg's glei, I håb mi ned auf eam draufg‘setzt", stellt der Großvater nach dem Hamster-Tod in "Muttertag" vorsorglich fest, und dieses Meersau-Willi-Prinzip zieht sich tatsächlich durch die österreichische Politik: nicht nur in Kärnten, auch in Ischgl und im Kleinwalsertal; nicht nur im Hinblick auf Corona, sondern ganz allgemein. Verantwortlich sind im Zweifelsfall immer andere – wer, das findet sich dann schon; und wenn nicht, dann gibt es immer noch die Flüchtlinge.

Wenn Sie heute den Gartensessel heranziehen, um den Spätsommer zu genießen, dann achten Sie jedenfalls darauf, dass dort nicht bereits ein Meerschweinchen sitzt.

Einen schönen Tag!

Martin Staudinger

PS: Gibt es etwas, das wir an der „Morgenpost“ verbessern können? Das Sie ärgert? Erfreut? Wenn ja, lassen Sie es uns unter der Adresse [email protected] wissen.