Der Kanzler und die Sternenfrau
Es ist ruhig geworden um die Taliban-Herrschaft in Afghanistan. Laut World Food Programm der Vereinten Nationen droht eine Hungersnot. Für 8,7 Millionen gäbe es nicht mehr genug zu essen, um diesen Winter zu überleben. Unzählige Regimegegner verstecken sich bei Freunden, in Kellern und verlassenen Häusern. Eine 25-jährige Astronomin aus Herat, die vergangene Woche von einer Jury der BBC zu den hundert inspirierendsten Frauen auf der Welt gewählt wurde, schien es fast geschafft zu haben. Doch sie sitzt fest. In Pakistan.
Amena Karimyan ist Afghanistans einzige Astronomin. Sie liebt die Sterne und sie liebt die Klarheit der Mathematik. Sie studierte Ingenieurswissenschaften und gründete den Klub Kayhana, übersetzt heißt er: „Kleines Universum“. Sie und ihre Klubmitglieder gingen in Schulen und zeigten den Kindern an Hand von selbst gebastelten Modellen, wie sich Planeten um die Sonne bewegen und erzählten, wie das entstanden sei. Schon vor der Herrschaft der Taliban war die Theorie des Urknalls bei frommen Muslimen nicht gern gehört, jetzt ist es eine Gotteslästerung. Welch ein Glück, dass Karimyan Anfang August, als die Taliban eine Stadt nach der anderen eroberten, eine Einladung nach Wien bekam. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften hatte drei Forschungsmonate, Austausch und Zusammenarbeit angeboten. Der Flug war gebucht, eine schriftliche Visa-Bestätigung von der österreichischen Botschaft in Islamabad (Pakistan) in Aussicht gestellt. Karimyan reiste nach Kabul.
Sie fühlte sich in Freiheit
Am 24. August - die Taliban hatten die Hauptstadt eine Woche zuvor überrollt - versuchte die junge Frau das erste Mal auf dem Landweg nach Pakistan zu gelangen. Zwei Tage harrte sie an der Grenze aus, wurde geschlagen, gedemütigt, zurückgeschickt. Am 10. September, der zweite Versuch. Am Taliban-Checkpoint in Turkham zeigte sie das Mail der Österreicher vor, kontaktierte vor den Augen der bärtigen Männer die österreichische Botschaft; es wurde mit den Taliban verhandelt. Sie durfte passieren. Sie fühlte sich in Freiheit. Am 16. September war sie das erste Mal an der österreichischen Botschaft in Islamabad zu einer Vorsprache geladen. Sie dachte, sie bekäme das Visum in den Reisepass gestempelt. Der Flug war in der Zwischenzeit verfallen, aber die Einladung galt noch immer. Sie wurde ausführlich befragt und vertröstet. Es brauche Zeit. Sie werde benachrichtigt. Drei Wochen später der zweite Termin. Noch einmal ein Interview. Beim dritten Termin am 13. Oktober wurde ihr gleich im Vorzimmer die schriftliche Ablehnung in die Hand gedrückt. Es sei nicht garantiert, dass sie nicht in Österreich bleibe.
Die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat das kalte Vorgehen der Behörden für das „Zeit-Magazin“ so kommentiert: „Das Schlimmste, das ich mir vorstellen kann, ist, einem Menschen, der am Ertrinken ist, die Hand hinzuhalten und sie dann im letzten Moment wegzuziehen.“
Was aber hat die Geschichte vom Sternenmädchen mit dem neuen Kanzler Karl Nehammer zu tun? Mein Kollege Gernot Bauer hat sich für ein Porträt über Nehammer auf dessen Spuren begeben, mit alten Freunden und Kollegen gesprochen. Alle sagen, Nehammer sei ein „gläubiger Mensch“, ein Demokrat, ein Mann mit Herz, mit dem man lachen könne; abseits der Öffentlichkeit viel weniger Hardliner als gedacht.
Amena Karimyan sitzt nun schon seit Wochen in Pakistan in einem billigen Guesthouse fest. Gäbe es nicht eine Grazer Initiative rund um die Journalistin und Autorin Evelyn Schalk, wäre die junge Frau wohl schon auf der Straße gelandet und müsste betteln. Leute spenden, helfen. WissenschafterInnen melden sich. Die Grazer Universität prüft derzeit gemeinsam mit der Technischen Universität, ob sich nicht ein Studienplatz organisieren ließe. Dann könnte die afghanische Ingenieurin in Graz ein Doktorratsstudium beginnen. Ob das gelingt und die Entscheider milde stimmt? Man weiß es nicht.
Schöne Weihnachten wünscht Ihnen,
Christa Zöchling
PS: Falls Sie Amena Karimyan helfen wollen, wenden Sie sich an:
ausreißer. Grazer Wandzeitung.
IBAN: AT34 1200 0500 9409 4554
Referenz: Stimmen aus der Krise - Amena K.
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