Die Demokratie und ihre Feinde
An der schwedischen Universität Göteborg gibt es ein Institut, das sich V-Dem nennt, denn es beschäftigt sich vor allem mit den diversen Varianten von Demokratien. Soeben stellte es seinen jährlichen Bericht online. 3700 Experten aus aller Welt haben dazu beigetragen.
Die Verfasser des Berichts unterscheiden liberale Demokratien von bloßen „Wahldemokratien“, in denen Bürgerinnen und Bürger zwar regelmäßig aufgerufen sind, ihre Stimmen abzugeben, davon abgesehen aber einiges im Argen liegt. Außerdem gibt es noch „Wahlautokratien“ wie beispielsweise Indien, das im 179 Länder umfassenden Liberal Democratic Index (LDI) auf Platz 93 liegt, und „abgeschottete Autokratien“.
In der Ukraine versucht der russische Präsident Wladimir Putin mit verheerender, militärischer Gewalt die gesellschaftlichen und politischen Grundlagen der Demokratie zu vernichten. Der Kampf der Ukraine um Freiheit und Unabhängigkeit erfordert einen kaum in Worte und Zahlen zu fassenden Tribut. Auch andernorts verschlechtern sich die demokratischen Verhältnisse für den durchschnittlichen Bewohner dieses Planeten seit zehn Jahren schleichend. Wesentliche Errungenschaften seit 1989 erodieren.
Welle der „Autokratisierung“
Die Feinde der offenen Gesellschaft rüsten auf. Eine Welle der „Autokratisierung“ geht um den Globus. Der Ausgleich von Standpunkten und Interessen erlahmt. Immer mehr Länder werden von einer „toxischen Polarisierung“ erfasst. So der düstere Befund. Die Demokratie hat es dringend nötig, verteidigt zu werden. Auch in Österreich, auf das die Autoren des Berichts an unerwarteter Stelle zu sprechen kommen.
Echte Verbesserungen gibt es nur aus zwei Ländern zu vermelden. Armenien und Bolivien wandelten sich im Vorjahr von einer „Wahlautokratie“ – also einer Staatsform, wo es Pseudo-Urnengänge gibt, um die sich die Herrschenden aber kaum scheren – zu einer „Wahldemokratie“. Und hier findet sich nun Österreich wieder. Allerdings: Während Armenien und Bolivien aus finsteren autokratischen Zeiten auftauchen, gehört Österreich – neben Ghana, Portugal, Trinidad und Tobago – zu jener Handvoll Ländern, denen im Ranking die zweifelhafte Ehre zuteil wird, von einer lupenreinen liberalen Demokratie zu einer bloßen Wahldemokratie abgestuft zu werden.
Als Grund dafür wird mangelhafte Transparenz ins Treffen geführt, die bekanntlich ein idealer Nährboden für Korruption ist. Das wiederum führt zum laufenden ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss. Gestern sagte hier der Investor Siegfried Wolf aus. Es war vielleicht naiv sich zu erwarten, Wolf würde etwas Erhellendes zu den Vorwürfen sagen, Thomas Schmid habe sich seinerzeit als Generalsekretär im türkisen Finanzministerium dafür verwandt, dass ihm, Wolf, vier Millionen Euro an Steuern erlassen werden. Oder zu parteipolitisch motivierten Bestellungen in den ÖBAG-Aufsichtsrat. Oder zu möglichen Parteispenden.
Gegen den Investor wird wegen Bestechung ermittelt. Es gilt die Unschuldsvermutung. Tatsächlich hat Wolf zu all dem – mit Verweis auf laufende Ermittlungen – so gut wie nichts gesagt. Stattdessen nützte er die unliebsame Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, um sowohl dem parlamentarischen Kontrollgremium als auch Medien gegenüber Verständnislosigkeit wenn nicht gar seine Verachtung auszudrücken. Damit ist er inzwischen in guter Gesellschaft. Offenbar hat ein Teil der politischen und wirtschaftlichen Elite dieses Landes verinnerlicht, dass für sie die roten Linien ausschließlich Strafparagraphen und Gerichte ziehen.
Wolf: „Glaube an den Rechtsstaat“
In einer Demokratie sollte das natürlich nicht die alleinige Norm dafür sein, was sich Mächtige herausnehmen dürfen. Und außer Streit sollte auch stehen, dass Macht kontrolliert werden muss. Eine Justiz gibt es sogar noch in Russland. Eine lebendige, kritische Zivilgesellschaft und unabhängige Medien allerdings nicht mehr. Sind das die Verhältnisse, die dem – übrigens mit dem russischen „Orden der Freundschaft“ ausgezeichneten – Investor behagen?
Wenn Wolf sagt, er „glaube an den Rechtsstaat“, meint er hoffentlich, dass dieser so funktioniert, wie er sollte: In einem Rechtsstaat steht niemand über dem Gesetz. Und die Justiz arbeitet unbeeinflusst und führt nicht – so wie in Russland – politische Schauprozesse ab, um Oppositionelle für Jahre in Arbeitslagern und Gefängnissen verschwinden zu lassen. Im erwähnten Demokratiebericht gehört Russland seit Langem zu den schlimmsten „Wahlautokratien“ der Erde.
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Herzlich,
Edith Meinhart