Die ÖVP sendet mixed signals
Die Werbewirtschaft kennt das Problem, das die ÖVP jetzt hat: Wenn sich eine Marke voll und ganz ihrem Werbeträger ausliefert, dann wird sie – abhängig.
Genau in diese Abhängigkeit begab sich die ÖVP: Neuer Obmann, neuer Sprecher, neuer Anstrich, neue Volkspartei. Sebastian Kurz ist mit der ÖVP verfahren, als wäre sie ein völlig aus der Zeit gefallenes, unverkäufliches Produkt. Kurz machte die Partei wieder chic und führte sie zurück ins Kanzleramt. Zu einem hohen Preis: Er verwandelte die ÖVP zu einem Kurz-Wahlverein, übertrug sein positives Image auf die Partei. Dieses Konzept ging lange gut, brachte der Volkspartei zwei Wahlsiege auf Bundesebene und einen konstanten Erfolgslauf in den Ländern. Das Problem: Wenn der Markenbotschafter selbst in Korruptionsermittlungen, ungustiöse Chats und skrupellose machttaktische Spielchen wie die Verhinderung eines Ausbaus der Kinderbetreuung verwickelt ist, dann trägt auch die Kernmarke massiven Schaden davon. Die Spitzen in den traditionell machtbewussten ÖVP-Landesorganisationen erkannten, dass ihnen Kurz künftig mehr schaden als nutzen wird – und drängten ihn in die zweite Reihe.
Nun ist die Frage: Kann sich Kurz von dort noch einmal zurückkämpfen? Schafft er als ÖVP-Klubobmann im Nationalrat ein Comeback ins Kanzleramt? Oder ist nach vier Jahren im Machtzentrum schon wieder Schluss?
Die ÖVP wirkt so, als wäre sie sich selbst noch nicht ganz sicher. Der neue Bundeskanzler Alexander Schallenberg ließ am Montag bei seiner Angelobung keinen Zweifel daran, wo seine Loyalitäten liegen: Er werde selbstverständlich eng mit Kurz zusammenarbeiten, sagte der neue Regierungschef. Nachsatz: Er halte die Vorwürfe für falsch. Eine Loyalitätsbekundung für den alten Markenbotschafter. Dass die größten Kritikpunkte gegen Kurz auf Chats fußen, deren Existenz niemand anzweifelt und aus denen sich ausreichend Schlüsse auf Kurz‘ fragwürdiges Politikverständnis ziehen lassen, erwähnte Schallenberg nicht. Aber die ÖVP sendete auch andere Signale: Mehrere Schlüsselspieler aus Kurz‘ Kernteam zogen sich bereits am Montag zurück. Der Medienbeauftragte im Kanzleramt, Gerald Fleischmann, trat für unbestimmte Zeit einen Urlaub an. Wie auch der langjährige Kurz-Sprecher Johannes Frischmann, der ebenfalls in den Chats auftaucht und im Verdacht steht, Umfragen im Sinne von Kurz frisiert zu haben – auf Kosten des ÖVP-geführten Finanzministeriums.
Während die – von Kurz ausgewählte – türkise Ministerriege ihrem Ex-Chef die Treue schwört, ertönen aus den schwarzen Ländern teils scharfe Zwischentöne: Der Vorarlberger ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner dachte laut über einen Parteiausschluss nach, gemeint war Kurz. Sein steirischer Amtskollege Hermann Schützenhöfer behauptete gar, dass er das engste Umfeld von Kurz gar nicht gekannt habe – etwa dessen Medienzampano Fleischmann. Und er sagte: Solange die Vorwürfe gegen Kurz nicht restlos aufgeklärt seien, käme dieser für eine Kanzlerkandidatur nicht in Frage. Völlig unklar ist aus heutiger Sicht, wer die ÖVP als Frontfigur in Neuwahlen führen könnte. Denn Teil des Kurzschen Erfolgsrezepts war es, neben sich keine potenziellen Nachfolger zuzulassen.
Fast alle Schwarzen haben den türkisen Imagetransfer lange Zeit genossen – mit dem Absturz infolge der Chats wollen sie freilich ungern weiter in Verbindung gebracht werden. Und kappen deshalb die Verbindungen zum Markenbotschafter. Ob sie ihn ganz loswerden, ist offen.
Jakob Winter
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