Eine Frage der Ehre
Eva Linsinger gab gestern früh an dieser Stelle, nach ein paar recht grundsätzlichen Erläuterungen zum journalistischen Ethos dieses Magazins, überraschenderweise ihr „Ehrenwort“ ab, dass die heutige profil-Morgenpost „wieder lustiger“ werde. Nun ist es zwar – vorausgesetzt, die Kollegin wusste überhaupt, dass ausgerechnet ich heute mit der Abfassung der Morgenpost betraut sein würde – einerseits schmeichelhaft, ungefragt eine Art Basishumor unterstellt zu kriegen, dessen Unverwüstlichkeit automatisch Girlanden des Übermuts garantieren könne. Andererseits setzt mich das Aviso der Mitstreiterin naturgemäß unter Druck: Denn ich würde ihr ja, wenn mir nun partout nichts ansatzweise Amüsantes einfiele, gewissermaßen indirekt die Ehre abschneiden. Als wäre eine witzlose Morgenpost nicht schon schlimm genug.
Der sanften Nötigung zum Komödiantischen kann ich mich also nicht entziehen, es geht immerhin um eine Ehrenrettung, gleichzeitig stelle ich aber mit klammem Herzen fest, wie schon der verquälten Thematisierung dieses ungebetenen Dilemmas jede Heiterkeit fehlt. Die Situation ist verfahren, und die kapriziöse Natur des Frohsinns ist keine große Hilfe.
Nicht unsere Schuld!
Wenden wir uns also, möglichst launig, den laufenden Ereignissen zu, die uns allerdings insofern nicht entgegenkommen, als sie das Grundproblem einer starken Neigung zur Trübsal aufweisen (nicht unsere Schuld, machen Sie bitte die Welt dafür verantwortlich): Die heftige Kritik einer praktischen Ärztin in Wien etwa, die aus eigener Anschauung zu berichten weiß, dass mit dem System der Priorisierung von „Risikopatienten“ zur Impfung nicht nur Arbeitsüberlastung, sondern auch erhebliche Nachteile verbunden sind, tendiert leider ins unübersehbar Unlustige. Und die Details zum (an sich sehr begrüßenswerten) Schuldspruch des Mörders von George Floyd sind ebenfalls nicht die allerbeste Grundlage für inspirierteres Kalauern. Von den Betrachtungen zu den Massenrücktritten ratloser europäischer Gesundheitsminister und den folgenreichen Untergriffen der nationalkonservativen ungarischen Regierung gegen eine profil-Journalistin schweige ich lieber gleich.
Das Dressurpferd verweigert!
Ich sehe schon, Sie merken es: Ich scheitere. Die Worte verweigern den comedic turn wie das Turnierpferd vor dem Wassergraben, sie lassen sich nicht dressieren, wollen und werden auf Zuruf never ever ins Heitere kippen; eher wird Heinz-Christian Strache als Ehrenpräsident, seiner vielfachen parteiinternen Verdienste wegen, zurück in die FPÖ berufen.
Befugtere als ich werden sich somit über die verlorene Ehre der Eva L. Gedanken machen müssen, ich habe getan, was ich konnte. Das war, zugegeben, nicht viel, aber ich bitte um Verständnis: Ich bin Kulturjournalist, gelacht wird dieser Tage ausnahmslos und allenfalls im Keller.
Einen ernsthaft erfreulichen Donnerstag wünscht Ihnen die profil-Redaktion!
Stefan Grissemann
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