Bundeskanzler Karl Nehammer
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Im Eiltempo zur Impfpflicht – trotz wachsender Zweifel

Das Gesetz, das eigentlich keiner wollte, wird heute im Nationalrat beschlossen. Eine vertane Chance für das Parlament.

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Klar, einige knorrige Zausel, unverbesserliche Aluhutträger oder weltfremde Esoterikerinnen sind dabei, genauso aggressive Menschen mit extrem rechten Weltbildern. Aber: Man muss mittlerweile zu keiner dieser Gruppen gehören, um Zweifel an der Impfpflicht zu haben. Im Gegenteil: Man kann felsenfest davon überzeugt sein, dass die Impfung vor schweren Corona-Erkrankungen schützt, dreimal geimpft sein, Maske tragen, sich auch sonst an Maßnahmen halten – und dennoch der Meinung sein, dass die Impflicht jetzt nicht die richtige Maßnahme ist.

Gerald Gartlehner etwa, Epidemiologe und wortgewaltiger Corona-Erklärbär in allen Medien, findet, dass Omikron die Karten neu gemischt hat und die Impfpflicht eine Nachdenkpause verträgt. Sein Kollege Hans-Peter Hutter, der Pandemie-Experte im Hawaiihemd, plädiert dafür, sich mehr Zeit zu nehmen und die Impfpflicht nicht über den Kamm zu scheren. Beide nachzulesen im aktuellen profil, wie viele andere, klug, nachdenklich, fundiert argumentierende Impfpflichtfans und Impflichtzweifelnde – allesamt Stimmen, die man ernst nehmen sollte. Denn alle stellen sich die Frage: Ist die Impfpflicht, der massive Eingriff in die Grundrechte, angesichts der milderen Omikron-Variante noch vertretbar? Zumal sie für die jetzige Corona-Welle ohnehin zu spät kommt und erst ab Sommer/Herbst wirkt? Ist das der richtige Zeitpunkt für diese Maßnahme?

106.266 Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf

Die Regierung will darüber nicht lange nachdenken. Am 10. Jänner endete die Begutachtung der Impfpflicht, 106.266 Stellungnahmen trudelten ein, am Sonntag präsentierte die Koalition den Entwurf dazu, heute, Donnerstag, wird die Impfpflicht im Nationalrat debattiert und beschlossen. Ein bemerkenswertes Eiltempo für ein Gesetz, das keiner wollte: Eigentlich stolperte Türkis-Grün in jener denkwürdigen Sitzung Mitte November, als noch Alexander Schallenberg Kanzler war, nur deshalb in die Impfpflicht, weil irgendwie der Zorn der Mehrheit der Geimpften über den neuerlichen Lockdown gedämpft werden sollte. Ab dann ging zwar, wie oft in der Pandemie, allerhand schief, ELGA etwa klagt über technische Hürden bei der Umsetzung, Kontrollen gibt es auch erst irgendwann später, eigentlich ist die Impfpflicht damit ein Impfpflichterl – beschlossen wird sie dennoch heute.

Das ist auch eine vertane Chance für den Nationalrat. Gerade bei einer derartig moralisch-ethischen Frage hätte eine offene Diskussion ohne Klubzwang eine Bereicherung sein können – Betonung auf hätte. Nur die Neos wagen es, Kontra-Meinungen bei der Impfpflicht zuzulassen, sonst sind Abstimmungen strikt nach Parteigrenzen zu erwarten. Schade, der Blick nach Deutschland zeigt, was möglich ist: Dort legen bewusst die Regierungsparteien keinen Regierungs-Entwurf zur Impfpflicht vor, sondern der Bundestag trifft sich zur offenen Debatte über das heikle Vorhaben. Ein interessanter Weg, mit einem kontroversen Thema umzugehen -  leider keiner, der in Österreich, einem Land mit unterentwickeltem Parlamentarismus, beschritten wird. Klar: Österreichs Regierungsparteien haben es schwerer, mit der FPÖ sitzen radikale Impf-Zweifler im Parlament.

Und vielleicht hat auch Dorothee von Laer recht. Sie sagt im aktuellen profil: „Ich bin absolut für die allgemeine Impfpflicht. Anders kann man die bis jetzt nicht geimpfte Bevölkerung nicht überzeugen.“

Welcher Meinung zur Impfpflicht sind Sie? Schreiben Sie uns an [email protected] – und: Bleiben Sie gesund!

Eva Linsinger

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Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin