Kanzler Kurz, Kommissionspräsidentin von der Leyen
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Letzte Ausflucht Brüssel

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Es gibt einen eingängigen Spruch, der zum Ausdruck bringt, dass Regierungen in EU-Hauptstädten gern zweitrangiges Personal schicken, um EU-Institutionen in Brüssel und Straßburg zu bestücken: „Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa.“ Unabhängig davon, ob der Witz stimmt (in dieser Pauschalität nicht) - man könnte ihn jedenfalls durch einen zweiten Spruch ergänzen: „Hast Du ein politisches Problem, ist Brüssel als Ausflucht angenehm.“

Chaos Pandemie-Management

Wie diese Strategie in der Praxis funktioniert, ist derzeit am Beispiel Österreich gut zu beobachten. Da regiert in Sachen Pandemie-Management das Chaos, wie Eva Linsinger in ihrem dieswöchigen Leitartikel ausführt. Ein paar Schlagworte: Bürgermeister-Vordrängler, Skilehrer-Ausbildungen, Verschwendung von wertvollem Corona-Impfstoff aufgrund mangelnder Impf-Strategien in Bundesländern (was konkret bei Österreichs Impfstoffverteilung unrund läuft, analysieren Gernot Bauer, Edith Meinhart und Jakob Winter).

Die allgemeine Unzufriedenheit schlägt sich immer stärker im Vertrauen nieder, das Österreichs Bevölkerung führenden türkisgrünen Politikern entgegenbringt, die mit dem Management der Krise befasst sind. ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz verliert ebenso wie der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober und der türkise Bildungsminister Heinz Fassmann.

Kurz‘ Kritik an der EMA

Und was macht Kurz? Er schießt sich seit Tagen auf die EMA ein, die unabhängige EU-Arzneimittelagentur mit Sitz in Amsterdam. Ihm reiße „der Geduldsfaden“, weil diese Behörde bei der Zulassung des heißersehnten Corona-Impfstoffs des schwedisch-britischen Konzerns AstraZeneca derart langsam und bürokratisch agiere, erklärte Kurz gegenüber dem Privatsender Puls4. Ähnliche Statements des Kanzlers ließen sich die ganze vergangene Woche lang vernehmen.

Wir haben recherchiert, was an dem Vorwurf in Richtung EMA dran ist und wie die Behörde darauf reagiert, lesen Sie hier. Spoiler: nichts. Der Zulassungsprozess dauert nach heutigem Stand der Dinge gezählte 18 Tage, vom 12. bis 29. Jänner. Wohlgemerkt, die Rede ist von einem medizinisch und organisatorisch hochkomplexen Zulassungsprozedere, das potenziell Auswirkungen auf 450 Millionen EU-Bürger hat. Fazit: Österreichs Regierung sollte die EMA nicht kritisieren, sondern sich vielmehr manch effizienten Ablauf von ihr abschauen.

Andere sind schneller

Was sagt die ÖVP dazu? Dazu hat Eva Linsinger Klubobmann August Wöginger befragt. Warum kommen Politiker auf die Idee, Wissenschaftern vorzuschreiben, wann der Impfstoff zu genehmigen ist? Wögingers Antwort: In Israel und Großbritannien werde der AstraZeneca-Stoff „seit Wochen verimpft“. Angesichts dessen verstehe niemand „warum er nicht auch in der EU verwendet werden kann“.

Versteht es wirklich niemand? Vielleicht sollte Wöginger auch noch erwähnen, dass das frühe Vorgehen Israels und Großbritanniens nicht an der EU liegt, sondern an AstraZeneca. In Großbritannien etwa hat der Konzern seinen Zulassungsantrag bereits vor Weihnachten gestellt, während er in der EU erst am 12. Jänner erfolgte. Jegliche Prüfung kann selbstverständlich erst beginnen, sobald der Antrag eingetroffen ist.

Aber so ist das eben mit der Strategie „Hast Du ein politisches Problem, ist Brüssel als Ausflucht angenehm“. Soll sie funktionieren, muss das eine oder andere Detail unauffällig unter den Tisch verschwinden.

Joseph Gepp