Nebenvereinbarungen – Die wichtigste Nebensache Österreichs
Wer Nebensachen für nebensächlich hält, wird die Hauptsache nie verstehen. Ebenso verhält es sich mit Nebenvereinbarungen.
Seit die Investigativ-Teams von profil und ORF Ende vergangener Woche geheime Nebenvereinbarungen zwischen ÖVP und FPÖ, respektive ÖVP und Grünen zu Tage gefördert haben, wissen wir, was von den veröffentlichen Vereinbarungen zu halten ist. Eher wenig.
Die „Entpolitisierung des ORF“, das „Zurückdrängen der Parteibuchwirtschaft“, die „Objektivierung bei der Jobvergabe“ gehören zum bekannten Vereinbarungsvokabular. Wer was werden soll, steht hingegen in den – bis vor kurzem – nicht öffentlichen Nebenvereinbarungen. Diese konterkarieren die öffentlichen Beteuerungen. „Neben“ schlägt „Haupt“.
Respekt (und Mitgefühl) gebührt den Kolleginnen und Kollegen des ORF, die gemeinsam mit profil die brisanten Dokumente publiziert haben, denn sie mussten daraus erfahren, wie die Regierung ihr Unternehmen – den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und das Fernsehen – behandelt. Natürlich wussten sie es schon. Trotzdem tut es weh es schwarz auf weiß vorbuchstabiert zu bekommen. Es sollte allerdings uns allen weh tun, denn betroffen von dem parteipolitischen Postenschacher sind nicht nur die Angestellten des ORF, sondern in weiterer Folge jeder, der darauf vertraut, dass die ORF-Redaktionen ohne politischen Einfluss ihre Arbeit tun können.
Der ORF-Redakteursrat zeigt sich in einer Aussendung „empört“ und fasst die geheimen Abmachungen bitter zusammen: „Damit entsteht der Eindruck eines Staatsfunks, der Aufträge der Regierung abzuarbeiten hätte.“
Ähnlich ist es mit der Richterschaft. Der Dachverband der Verwaltungsrichter sorgt sich um das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Gerichte und verlangt, dass die Präsidenten- und Vizepräsidentenposten am Verwaltungsgerichtshof und am Bundesverwaltungsgericht in Zukunft über Vorschlag unabhängiger Gremien besetzt werden.
Nein, es ist nicht naiv, was Richter und ORF-Journalisten verlangen. Es mag naiv gewesen sein zu glauben, dass es bereits erreicht sei. (Aber wer glaubte das schon?)
Dass das Sideletter-Unwesen publik geworden ist, hat fraglos eine positive Konsequenz: Es stärkt die Zivilgesellschaft im Auftreten gegen politische Parteien, die es nicht einfach haben werden, das Vertrauen in der Bevölkerung zu gewinnen. Bei der nächsten Präsentation eines Regierungsübereinkommens wird die erste Frage lauten: „Und was steht im Sideletter?“ Gut so.
In Hollywood ist übrigens auch eine eher kuriose Art von Sideletter üblich. Produktionsfirmen sichern Schauspiel-Stars in Verträgen hohe Gagen zu – um im geheimen Sideletter das tatsächliche – viel geringere Honorar festzuhalten. Warum? So können die Stars nach außen ihren Marktwert halten, auch wenn die Studios ihnen den kaum noch zahlen.
Auf solche Gagenreduktionen stießen die Investigativkollegen in den bisher aufgetauchten Regierungssideletters allerdings nicht.
Robert Treichler
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