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Was ist Transzendenz? Wie eine neue Religionsgemeinschaft vor Gericht scheitert

Am Wiener Verwaltungsgericht werden höchste Fragen verhandelt, in Moskau gewinnt der Todestrieb und in Cannes wird ein österreichischer Mythos entzaubert.

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Es ist Krieg, Angst und Lebensmittelpreise steigen und im globalen Süden auch schon der Hunger. Wen kümmert da die Frage: Was ist Transzendenz?

Vielleicht ist es gerade der seit geraumer Zeit spürbare Krisenmodus und die damit einhergehende Machtlosigkeit, dass man wünscht, es würde etwas existieren, das über einen selbst hinausweist.

Wladimir Putin scheint das schon gefunden zu haben: Wobei nicht ganz klar ist, ob nicht er selbst es ist - Gott Putin sozusagen.

„Der Tod - was ist das? Er ist furchtbar! Nein, es stellt sich heraus, dass in der Welt selbst der Tod schön ist. Was heißt, ,in der Welt‘? Das heißt, für seine Freunde, sein Volk, modern ausgedrückt, für sein Vaterland zu sterben. Darin liegen die tiefen Wurzeln unseres Patriotismus.“  

Das Putin-Zitat stammt aus 2014. Schon damals war es eine Einstimmung auf den totalen Krieg. Wie der Westen damit umging, ob der österreichischen-russischen Historikerkommission auffiel, wie sehr sich die russische Geschichte für den Krieg ideologisierte?

Nun zur heimischen, gerichtsanhängigen Transzendenzdebatte: Eine Gruppe junger Leute empfindet sich als religiös, hat aber mit den herrschenden Kirchen und Religionsgemeinschaften nichts am Hut. Im Gegenteil. Sie finden, es gäbe sehr viele Gründe, aus den herrschenden Vereinen auszutreten. Im Sinne der Religionsfreiheit wollen sie als eigene Religionsgemeinschaft anerkannt werden, die auf ethische Grundsätze baut, rituelle Vorschriften entwickelt und eine institutionalisierte Gemeinschaft bildet. Sie nennen sich „Atheistische Religionsgemeinschaft“ (ARG).

Der erste Versuch ging schief. Das staatliche Kultusamt lehnte ihr Ansinnen ab. Es folgten ein Einspruch und mehrere Gutachten.

Und so wurde vergangene Woche in einem schmucklosen Raum des Wiener Verwaltungsgerichtes mehr als drei Stunden lang über Transzendenz verhandelt.

Sigmund Freud hätte sein Vergnügen daran gehabt. Für ihn war die Grundlage der Religion nicht die Transzendenz, sondern die menschliche Hilflosigkeit, die den Menschen dazu treibt einen schützenden Vater, ein schützendes System zu erfinden, seine Fantasie arbeiten zu lassen, eine Illusion zu schaffen, eine Wunscherfüllungsfantasie.

Die religiösen Atheisten können sich auf das Gutachten von Hans Hödl, eines anerkannten Wiener Religionswissenschaftlers beziehen: Hödl meint, es gäbe in den Statuten der ARG sehr wohl einen Bezug auf das sogenannte „Unfassbare“. Dazu brauche es keinen für den Kosmos letztverantwortlichen Gott.

Was ist der Grund der Welt? Was ist das Ziel der Welt? Was bedeutet unser Dasein? Gerade die letzte Frage ist meines Erachtens die zentral religiöse. Und das Programm der ARG gibt genau auf diese Frage Antworten“, so der Hauptpunkt aus Hödls Gutachten.

Die Sache ist noch nicht entschieden. Aber sie sieht nicht gut aus. Die Einwände der Gegenseite kommen samt und sonders aus dem traditionellen religiösen Umfeld. Der Amtsgutachter ist von der Evangelischen Kirche in das Kultusamt entsandt. Die zuständige Sachbearbeiterin im Kultusamt ist Pfarrgemeinderätin in der römisch-katholischen Schottenpfarre. Der Leiter des Kultusamtes war einst Pressereferent von Bischof Klaus Küng in St. Pölten. Der Zweitgutachter ist Komtur des Päpstlichen Ritterordens des heiligen Gregor des Großen.

Marie Kreutzer im Imperial Shop Vienna in der Hofburg

Eines modernen Mythos hat sich die Filmemacherin Marie Kreutzer angenommen. Mit „Corsage“, einer Studie der Kaiserin Sisi hat die Österreicherin am kommenden Freitag ihre Weltpremiere am Filmfestival in Cannes. profil-Kulturredakteur Stefan Grissemann ist dort.  Eine Kritik finden sie ab Freitagnachmittag auf  www.profil.at. Laufende Notizen zum Festivalgeschehen lesen Sie ab heute, denn der Jahrgang 2022 (David Cronenberg, Claire Denis, Ruben Östlund, Cristian Mungiu und Hirokazu Koreeda) könnte einer der stärksten werden, meint Grissemann.

Gehen Sie bald wieder ins Kino und einen schönen Mittwoch wünscht

Christa Zöchling

Christa   Zöchling

Christa Zöchling

war bis 2023 in der profil-Innenpolitik