Wenn die Politik „abarbeitet“
Können Sie sich noch an Rudolf Hundstorfer erinnern? Den Krisenmann der Gewerkschaft, der nach dem Bawag-Skandal, als Geld und Vertrauen der Mitglieder verzockt waren, frühmorgens in der Badewanne erfuhr, dass er als ÖGB-Chef einspringen muss? Der später als SPÖ-Sozialminister in die Bundesregierung kam, ausgerechnet zu einer Zeit, als nach Bankencrashs und Finanzkrise Wirtschaftsabschwung und Massenarbeitslosigkeit grassierten? Der 2019 plötzlich verstorbene Hundstorfer, das SPÖ-Urgestein, der Mann für alle Krisenfälle, schaffte es irgendwie, sich seinen trockenen Humor zu behalten. Nur seine Sprache, die wirkte immer seltsam hölzern-bürokratisch - bis zu seinem Lieblingswort „abarbeiten“.
„Abarbeiten“, ein Wort wie ein Seufzer. „Abarbeiten“, das klingt gar nicht nach energiegeladenem Gestalten, auch nicht an Freude an Veränderung, sondern nach dem quälenden zähen Bohren dicker Bretter, als das der Soziologe Max Weber Politik einmal bezeichnete. Die unerträgliche Schwere des Politiker-Seins, das schwang in Hundstorfers „abarbeiten“ immer mit – nicht ohne Grund: Als er Minister war, taumelte die SPÖ-ÖVP-Koalition ihrem vorläufigen Ende entgegen. Beide Parteien verschwendeten Energie und Tagesfreizeit damit, einander das Leben schwer zu machen – und sich in ideologische Schmollwinkel zurückzuziehen. Mehr Regierungselan als das Programm „abzuarbeiten“ kam da selten auf. Und wenig später war Türkis-Blau am Ruder.
Jetzt regiert Türkis-Grün – und das Wort, das die Grüne Klubobfrau Sigrid Maurer neuerdings am häufigsten verwendet, ist „abarbeiten“. Die Koalition liegt bei Straßenbauprojekten im Clinch? Ist völlig unterschiedlicher Meinung beim Klimaschutz? Macht nichts, Maurer will das „Regierungsprogramm abarbeiten“. Das bedeutet nicht schwungvoll neu Regieren, das bedeutet eher zähes Klein-Klein und Hick-Hack.
Spritztour und Tapetenwechsel
Heute, Mittwoch, versucht die Koalition mit einer Spritztour und mit einem Tapetenwechsel einen Neustart: In Reichenau an der Rax tagt der Ministerrat. Solche kleinen Regierungsausflüge sind ein erprobtes Mittel, Unstimmigkeiten zu übertünchen. Ob es diesmal gelingt – oder ob außer müdem „Abarbeiten“ nichts Gemeinsames zu finden ist, können Sie auf profil.at mitverfolgen.
Wenn Ihnen „Abarbeiten“ zu wenig ist, wenn Sie gerne von kreativen Ideen, lustvollem Gestalten, erfüllten Träumen und Mut zur Veränderung erfahren – dann können wir nicht mit aktuellen Beispielen aus der heimischen Innenpolitik aufwarten, dafür aber mit UnternehmerInnen. Hier und hier berichten ein erfolgreiches Salzburger Start-up und eine Unternehmerin, die in Niederösterreich „Wohnwagons“ fertigt und den Traum vom gemeinschaftlichen Dorfleben lebt. Das Wort „abarbeiten“, das käme beiden wohl nie über die Lippen.
Haben Sie einen schönen Mittwoch!
Eva Linsinger
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