Wohlstand Gutreichs Angebot
Guten Morgen!
Am vergangenen Samstag erhielt ich gegen Mittag elektronische Post. Sie las sich vielversprechend, irgendwie zugewandter als die meisten E-Mails, die üblicherweise im Minutentakt bei mir einlangen. Sie ließ mich aufhorchen, denn in der mir in Versalien entgegenspringenden Betreffzeile hieß es: „Ich habe eine gute Nachricht für Sie.“ Ein gewisser Wealth Goodrich wandte sich darin vertrauensvoll an mich, um mir in allerdings ein wenig undeutlichen Worten mitzuteilen, dass man mir „die Zusammenfassung von 1.500.000,00 Millionen Euros als Covid-19-Relief“ spenden wolle.
Das warf ein paar Fragen auf. Da war zunächst der Name des Absenders: Wealth Goodrich. Mit ihm konnte man nur Positives assoziieren, und ich meine: Von welcher Person in Ihrem Umfeld könnten Sie rein namensphonetisch Ähnliches behaupten? Hier gab es Wohlstand, Güte und Reichtum, verpackt in eine wunderbare anglophone Klangfolge, die vor meinem geistigen Auge einen integren, schon etwas graumelierten Ranch-Besitzer in einem Hollywood-Western der 1950er-Jahre auftauchen ließ. Während ich also bereits mit dem Gedanken spielte, mich bei dem lieben Goodrich für seine so trostvolle Präsenz in meinem Postfach zu bedanken, fiel mir etwas anderes auf: Wie sähe ein aus anderthalb Millionen Euro gebautes Covid-19-Relief aus? Um das englische Wort relief, also um Linderung und Unterstützung nach den, ja, auch für mich recht harten Covid-Monaten, konnte es nicht gehen, der Satz war ja in Deutsch gehalten. Es musste sich also um eine Art taktile Plastik handeln, um ein aus der Fläche herausgearbeitetes, dreidimensionales künstlerisches Werk, um ein Relief eben. Eine Geldskulptur zur Erklärung der Ära Corona?
Konfusion!
Ich war verwirrt. Und dann waren da noch diese dramatischen Tippfehler, die ich mit dem Bild, das ich mir von Wealth, diesem sonst so verantwortungsbewussten Großgrundbesitzer, nicht vereinbaren konnte: Die beigefügte E-Mail-Adresse, an die „alle Antworten weitergeleitet werden sollten“, stellte in ihrem ersten Teil offenbar eine Stiftungsanschrift dar: fransiceandpatrickfundation stand da vor dem @, und das sollte sich wohl auf jenes nordirische Paar beziehen, das vor ein paar Wochen angekündigt hatte, seinen Lotto-Jackpot von ungerechnet rund 128 Millionen Euro mit Familie und Freunden zu teilen. Die beiden aber heißen doch Frances und Patrick Connolly, nicht Fransice und Patrick? Konnte es sein, dass Goodrich nebenberuflich für die Connolly-Foundation arbeitete, aber die E-Mail dazu doppelt falsch aufgesetzt hatte? Eine Fransice-Fundation? Schwer vorzustellen.
Am Ende verdichteten sich dann aber doch die Hinweise darauf, dass das verlockende Angebot, das diese Zuschrift mir machte, weniger Gültigkeit besaß, als es den Anschein hatte. Ganz unten fand sich nämlich noch der Verweis auf einen BBC-Online-Artikel. Davor stand, man möge bitte dringend den untenstehenden Link besuchen, „wenn Sie Zweifel an uns haben, um weitere Informationen über unseren Gewinn zu erhalten“. Da hatte das Unbewusste gewohnt hart zugeschlagen: Denn Infos über Goodrichs eigenen Gewinn interessierten mich nun nicht brennend. Ich überlegte fieberhaft noch ein, zwei Minuten lang – hatte ich etwas Entscheidendes übersehen? –, dann löschte ich die E-Mail, ohne den Link zu benutzen. Wer weiß, vielleicht hätten mir 1,5 Millionen Euro charakterlich auch gar nicht so gut getan.
Klingt nach viel, ist aber vor Steuer!
Andererseits beweisen auch sehr reiche Menschen da und dort Charakterstärke: Das knapp Zehnfache der oben avisierten Summe wird beispielsweise, wenn man Medienberichten trauen mag, Österreichs Fußballheld David Alaba bei Real Madrid ab sofort jedes Jahr beziehen – aber klar, vor Steuer. Und das erinnert uns wiederum daran, dass eine Fußball-Europameisterschaft läuft, mit einem Jahr Verspätung zwar, aber immerhin, sie läuft. Sebastian Hofer blickt in seinem EM-Tagebuch gewohnt launig auf deren Einstiegsphase zurück. Wie Alabas Team seine jüngste Runde gemeistert (oder eben: vermasselt) hat, wissen Sie vermutlich besser als ich, denn dieser Text entstand mit einer diesbezüglich kontraproduktiven Deadline: Montag, 17.30 Uhr.
Daher hier noch etwas, das wir auch gestern schon wussten: Es gibt hierzulande keine Impfpflicht – und doch scheint der Druck auf Arbeitnehmer in vielen Berufssparten derart zu steigen, dass manche schon von einem De-facto-Zwang zur Corona-Schutzinjektion sprechen. Eine Recherche zu diesem heiklen Thema finden Sie hier. Sie entwirft ein plastisches Bild von den Widersprüchen, mit denen unsere Gesellschaft auf die Zumutung dieser Viruskrise reagiert. Vielleicht hat Mr. Goodrich mit dem versprochenen Covid-Relief ja auch dieses Bild gemeint? Ich werde es nie erfahren.
Einen formidablen Dienstag wünscht Ihnen die profil-Redaktion!
Stefan Grissemann
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