profil vor 25 Jahren: "Der tiefe Fall des Franz Vranitzky"
Das Ergebnis der Nationalratswahl bedeute das „Ende der Zweiten Republik, zumindest was deren Realverfassung betrifft“, schrieb Hubertus Czernin im Leitartikel vom 11. Oktober 1994. Die „Gründerparteien“ SPÖ und ÖVP seien „zu Mittelparteien geschrumpft“, die gemeinsam auf knapp 63 Prozent kämen und nicht mehr auf rund 90 Prozent wie bis in die frühen 1980er-Jahre.
"Damit habe sich „ein parlamentarisches Mehrparteiensystem etabliert“, in dem die Opposition gut ein Drittel der Wählerstimmen erreiche. Das „Beklemmende“ am Wahlausgang seien allerdings die 22,5 Prozent für Jörg Haiders FPÖ, denn „wenn jeder fünfte Wähler für jemanden stimmt, der nicht bloß den Regierungsparteien eine auf den Deckel geben will, sondern das demokratische System im Auge hat, dann muss etwas faul im Staat sein“, schloss Czernin.
Einiges faul war offenbar in der SPÖ, die mit 34,9 Prozent der Wählerstimmen ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis von 1949 um rund vier Prozentpunkte unterboten hatte. Das „Ende einer Ära“, titelte profil. Die einst „staatstragende Bewegung SPÖ“, die noch elf Jahre zuvor „Kanzler und Vizekanzler, den Bundespräsidenten und drei mit absoluter Mehrheit herrschende Landeshauptleute stellte“, sei „bis auf die Knochen abgemagert“. Eine „notwendige Watschen“, die „gerade noch rechtzeitig gekommen ist“, kommentierte der burgenländische SP-Chef Karl Stix das Wahldebakel, eine nachhaltige „Reform an Haupt und Gliedern“ sei nun zwingend. Und, so Stix, „wir müssen wieder eine Bewegung des offenen Dialogs werden.“