„Protest-Acker“: Bauern und Aktivisten wollen Straßenbau stoppen
Der Landwirt Johann Gribitz soll für ein Straßenprojekt enteignet werden. „Klar werde ich entschädigt, aber ich bin Biobauer“, sagt der Mann, den im Ort alle Hans nennen. „Nur, für die Belastung meines Weizens durch Abgase und den Reifenabrieb kommt niemand auf“.
Auf knapp 1300 Quadratmetern von Gribitz‘ Grund in der Gemeinde Lichtenwörth nordöstlich von Wiener Neustadt, soll ab Herbst 2024 mit den Bauarbeiten der Umgehungsstraße B17 begonnen werden. Er sowie acht weitere Grundbesitzer und Landwirte haben einer „gütlichen“ Einigung nicht zugestimmt. Bei Zwangsenteignung soll Gribitz 10.500 Euro für seine Äcker erhalten. Er wehrt sich dagegen. Das Verfahren ist die voraussichtlich letzte juristische Hürde, die den Baumaßnahmen im Weg steht – eine Umweltverträglichkeitsprüfung ging zugunsten der Straße aus. Doch selbst wenn auch die Enteignung durchgeht, werden die Bagger nicht einfach anrollen können. Die Protestierer von Lichtenwörth sind darauf vorbereitet, Widerstand zu leisten.
Klimaprotest auf Niederösterreichisch
Bereits seit fast einem Jahrzehnt bringt sich die Bürgerinitiative „Vernunft statt Ostumfahrung“ gegen das Straßenbauprojekt in Stellung. Viele in der 2900 Einwohner zählenden Gemeinde befürchten negative Auswirkungen auf den Ort und die Natur. Denn dort, wo die Entlastungsstraße verlaufen soll, liegt ein Naturschutzgebiet. Durch die Auenlandschaft schlängelt sich der Fluss Warme Fischa.
Die lokale Bürgerinitiative machte auf sich aufmerksam. Klima- und Polit-Gruppen, die zuvor zum vorläufigen Scheitern des Lobau-Tunnel-Projekts beigetragen hatten, meldeten sich für mehr Vernetzung. Im Sommer 2023 fand ein mehrtägiges „Klimacamp“ auf Hans Gribitz‘ Acker statt. Bürgerinitiative und Protest-erprobte Aktivisten kamen miteinander ins Gespräch und entwickelten eine gemeinsame Strategie. Seit Mitte Dezember vergangenen Jahres ist die Fischa-Au symbolisch besetzt.
Die grüne EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling war vor ihrer Zeit als Politikerin „mehrere Male“ in Lichtenwörth. Laut Schilling hätten die „Menschen vor Ort die Nase voll“. Niemand wünschte „Verkehrslawinen“ und „Flächenfraß“. Die 23-Jährige beteuert gegenüber profil ihre „volle Solidarität“ mit den betroffenen Anrainern.
Zwischen Kapitalismuskritik und Jesus-Kind
An einem verregneten Samstagnachmittag im Februar laden die Besetzer ihre Unterstützer zu Musik und Getränken ein. Vorbei an schmucklosen Einfamilienhäusern und einer kleinen Andachtskapelle betreten unter den Augen einer Polizeistreife etwa 50 Personen den sogenannten Protestacker. Auf der Bühne ist gerade Soundcheck. An der Seite hängt ein großes Transparent, welches das Ende des Kapitalismus fordert. Einen i-Punkt markiert ein umkreistes A, das Kennzeichen des Anarchismus. Vor der Bühne stehen bereits ein paar jüngere Menschen, weiter hinten bei der zur Schaltzentrale und Küche umfunktionierten Scheune treffen sich die Älteren, wie der Gribitz Hans.
Der große, schlanke Mann mit grauem Bart und schelmischem Blick nimmt es mit Humor, als Aktivistin Marlene H. von der Gruppe „System Change not Climate Change“ zugibt, dass sie „früher über die Felder strawanzt“ sei und „dem Hans die Erbsen gefladert habe“. Marlene H. wünscht sich, dass „auch mein kleines Patenkind weiter Erbsen findet und in der Fischa baden kann.“
Der 13 Monate alte angesprochene, der davon allerdings wenig mitbekommt, ist der Sohn von Michaela Daniel, eine der Sprecherinnen der Bürgerinitiative. „Wir freuen uns über den heterogenen Protest und die Unterstützung von außerhalb“, sagt die junge Frau, die auch nichts von alternativen Streckenführungen der Straße halten würde, selbst wenn diese ernsthaft geprüft worden seien. „Mehr Straßen bringen mehr Verkehr, das ist in der Wissenschaft mittlerweile unumstritten,“ antwortet die Sprecherin. Ein Argument, das auch aus dem Klimaministerium von Leonore Gewessler zu hören ist.
Die Frage, ob das Protestcamp in Lichtenwörth von Klimaaktivisten aus der Hauptstadt gekapert worden sei, verneint Daniel. „Viele hier waren voriges Jahr zum ersten Mal während des Klimacamps da und haben dann ihren Support angeboten. Jetzt helfen sie uns, die Au und die Felder zu beschützen. Es ist ein großer Gewinn, quer durch die Bevölkerung von ‚Katholischer Aktion‘ bis hin zur Klimabewegung aufgestellt zu sein und für ein gemeinsames Ziel zu kämpfen“.
„Rückhalt der Bevölkerung“
„Katholische Aktion“-Generalsekretär Christoph Watz erklärt am Telefon, dass man sich im Umweltbüro der Erzdiözese Wien, das zur KA gehört, „intensiv mit der Schöpfungsverantwortung“ auseinandersetzt. Für den Wiener Neustädter „war es nur logisch, Worten Taten folgen zu lassen“. Mit Menschen aus Pfarren sei man regelmäßig vor Ort, doch gehe „es nicht um eine Missionierung“, betont Watz. Vielmehr versuche man, auch die Anwohner für den Protest zu sensibilisieren. Und da gebe es laut Watz noch einiges zu tun: Denn viele Lichtenwörther würden nicht wirklich an den Erfolg des Protests glauben, doch drückten gerade „Ältere ihre Hochachtung vor dem Engagement der jungen Leute aus.“ Ob beim Bäcker oder bei Gesprächen im Garten, Watz hält den „Rückhalt der Bevölkerung für größer als erwartet“.
Weniger groß ist der Rückhalt der Politik. KA-Generalsekretär Watz beobachtet, dass „versucht wird, Gesprächen aus dem Weg zu gehen“. Nach langem Bitten stellte Stephan Pernkopf, Landeshauptfrau-Stellvertreter für Landwirtschaft (ÖVP), einen Termin für April in Aussicht. Auch bei vorangegangenen Terminen wollte beispielsweise der Wiener Neustädter Bürgermeister Klaus Schneeberger (ÖVP) „keine Grundsatzfragen besprechen, sondern nur über etwaige Entschädigungen der Bauern debattieren“. In das Schema passt, dass Schneeberger 2020 den Wiener Weihbischof Franz Scharl öffentlich scharf kritisierte, nachdem dieser Zweifel an der Ostumfahrung geäußert hatte.
Alternativloses Projekt
Eine profil-Anfrage beantwortet Schneeberger hingegen umfangreich. Der „Ringschluss“ durch die Ostumfahrung sei der Stadtverwaltung zufolge aus vielerlei Gründen alternativlos. „Erste Details einer aktuellen Studie, die gerade in Ausarbeitung ist“, sollen den Rückgang des Durchzugsverkehrs „um rund 30 Prozent“ beweisen. Diese Entlastung käme der Lebensqualität der Anrainer zugute, die sich die Entlastung „längstens verdient“ hätten.
Aber auch ein anderer Aspekt ist dem Neustädter Stadtoberhaupt wichtig: Sollte die Straße nicht kommen, würde die Zufahrt zum bis voraussichtlich 2028 fertiggestellten Neubau des Landesklinikums „über 13 Ampelanlagen erfolgen“. Mit dem Ringschluss wären es hingegen „nur ein oder zwei“ Ampeln. „Das kann Leben retten“, heißt es aus dem Rathaus. Auch verhindere der Ausbau den „totalen Verkehrskollaps“ der Stadt, wenn es auf der Autobahn zu Unfällen kommt. Im Gegenzug erarbeite man zahlreiche Konzepte, um mehr Menschen zur Öffi-Nutzung, aufs Rad oder zur E-Mobilität zu bewegen. Auch einen „Masterplan Gehen“ habe man konzipiert.
Ähnliche Argumente führt der in Niederösterreich für Infrastruktur zuständige Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer (FPÖ) ins Feld. Auch für Landbauer stehen Lebensqualität, Verkehrsentlastung und -Sicherheit im Fokus. Enteignungen sieht der freiheitliche Mandatar als absolute Ausnahme. Man sei „immer bestrebt eine gütliche Einigung mit den Grundbesitzern zu erreichen“, heißt es aus seinem Büro. Im Fall des Wiener Neustädter Ringschlusses hätte man diese auch mit 43 von 44 sogenannten Eigenbewirtschaftern, also Landwirten auf eigenem Grund, erreicht. Am geplanten Baubeginn will man daher festhalten, schließlich sei das Projekt durch „alle Instanzen geprüft“ und habe eine positive Umweltverträglichkeitsprüfung erhalten.
Viele gute Gründe für Wiener Neustadt, hinter denen die Gemeinde Lichtenwörth zurückstecken muss. Ob man sich deshalb nicht zu den Plänen äußern möchte, ist unklar. Aus dem Büro von Bürgermeisters Manuel Zusag (ÖVP) heißt es, dass man nichts sagen könne, da „es sich um ein laufendes behördliches Verfahren“ handelt, „welches nicht im Wirkungsbereich“ der Gemeinde liege.
Denkbar ist, dass sich Zusag nicht gegen seinen mächtigen Parteifreund Schneeberger stellen mag, der als früherer ÖVP-Klubobmann im niederösterreichischen Landtag bestens vernetzt ist. Um ein rein türkisenes Phänomen scheint es sich dabei jedoch nicht zu handeln. Auch drei Lichtenwörther SPÖ-Gemeinderäte mussten bereits gehen, weil sie sich gegen das Projekt ausgesprochen hatten. Darunter auch Ex-Umweltgemeinderat Daniel Hemmer.
Erbsen statt Gewerbegebiet
Da der Bau unumstößlich scheint, verschärfen die Klimaaktivisten den Protest. Etwas abseits der Felder, am Ufer der Fischa, wurde ein freischwebendes Baumhaus errichtet, in dem Klimaschützer übernachten. Zu erreichen ist die Behausung nur mit Kletterausrüstung, wodurch eine Räumung mit einfachen Polizeieinheiten schwieriger durchzuführen wäre. Weil in diesem Fall aber nicht auf Privatgrund „gebaut“ wurde, kann jederzeit geräumt werden.
Mira Kapfinger blickt auf das Baumhaus, das die Rodung der Au verhindern soll. Dass es mittelfristig nur beim Bau der Straße bliebe, bezweifelt die ausgebildete Umweltmanagerin. „Ich gehe davon aus, dass entlang der Straße weitere Gewerbegebiete entstehen.“ Abwegig ist diese Vermutung nicht. Wiener Neustadt gehört derzeit zu den am meisten flächenversiegelten Orten Österreichs.
Kapfinger geht es dabei aber nicht „nur um diese eine Straße“. Sie engagiere sich, weil die Ostumfahrung für „eine Welt der Profite“ stehe, in der „mit Gewerbegebieten unsere Lebensgrundlage, die fruchtbarsten Böden der Region, versiegelt werden“.
Emanuel U. pendelt einmal die Woche aus Mödling auf den Protestacker. Der Ansatz des enthusiastischen Mannes in hellblauer Outdoorjacke ist dabei praktischer Natur: Zusammen mit seiner Gartenbau-Gruppe gräbt, pflügt und sät der 39-Jährige. Auch Erbsen sind geplant. Damit sie bald „wieder jemand fladern kann“.