Psychotherapeut Stippl: "Ihr könnt unsere Demokratie nicht kaputt machen!"
Wenige Stunden nach den Anschlägen in der französischen Hauptstadt änderten zahlreiche Facebook-User ihre Profilbilder um sich solidarisch mit den Opfern zu zeigen. Weltweit fanden Mahnwachen statt. Doch wie soll man mit dem Trauma und der Angst vor dem Terror umgehen? profil hat mit Psychotherapeut Peter Stippl über Bewältigungsstrategien und Solidaritätsbekundungen gesprochen.
profil: Herr Stippl, wie soll man mit Ereignissen, wie den Attentaten in Paris umgehen? Peter Stippl: Bei solchen Attentaten geht es den Terroristen um Verunsicherung, um einen Machtbeweis und darum zu zeigen, wie schwach unsere Rechtsstaatlichkeit ist. Ein großer Teil der schädigenden Wirkung entsteht durch die Verbreitung der Anschläge in den Medien. Dadurch erfährt die ganze Welt einen Schock. Wichtig ist eine positive Diffamierung seitens der Medien, die klarstellen müssen, wie abnormal ein Terroranschlag ist. Das würde die negative Energie der Anschläge mindern. Man muss diesen Terrororganisationen zeigen, dass die Attentäter einen völlig sinnlosen Tod gestorben sind, eben weil sie unser Leben nicht so sehr beeinflusst haben, wie sie wollten.
profil: Was wäre eine bessere Lösung? Stippl: Der Überraschungseffekt und der Schock sollten nicht so verbreitet werden. Unser ganzes Mitgefühl gehört natürlich den Opfern, aber man muss den Terroristen die Propaganda entziehen und deren miese Gesinnung darstellen.
Der Blick muss vom Einzelschicksal abgelenkt und zum globalen Geschehen und dessen Strukturen hingewendet werden.
profil: Wie kann man einem globalen Trauma entgegenwirken? Stippl: Wichtig ist, die politischen Strategien des IS zu verstehen. Wenn man den Zusammenhang verstehen kann, ist der Schrecken eine Spur geringer. Es ist auch wichtig zu zeigen, dass Maßnahmen, wie zum Beispiel die medizinische Versorgung funktionieren.
profil: Wie soll man mit den Opfern und deren Angehörigen umgehen? Stippl: Wir müssen ihnen die Geschehnisse so erklären, dass sie verstehen können, dass die Attentate nichts mit ihnen persönlich zu tun haben. Damit beugt man Schuldgefühlen vor. Der Blick muss vom Einzelschicksal abgelenkt und zum globalen Geschehen und dessen Strukturen hingewendet werden.
profil: Wie kann man sich verhalten, wenn man Betroffene kennt? Stippl: Man muss sich realistisch die Unterstützungsmöglichkeiten, die zur Verfügung stehen vor Augen halten. Auch hier geht es um das Verstehen. Man kann versuchen seine Freunde und Angehörige abzulenken und in Freizeitaktivitäten einzubinden. Es ist wichtig, ihnen ein Stück Normalität zurück zu geben. Solidaritätsbotschaften tun den Opfern auch gut.
Ihr könnt unsere Demokratie nicht kaputt machen!
profil: Sind Solidaritätsbekundungen in den Sozialen Medien, wie das Ändern des Profilbilds auf Facebook sinnvoll? Stippl: Wenn es demjenigen, der sein Profilbild geändert hat, das Gefühl gibt, dass er etwas gegen die Gewalt tut, dann macht das Sinn. Wenn es den Opfern in Frankreich das Gefühl gibt, dass sie nicht alleine sind, dann ist das ebenfalls sinnvoll.
profil: Ist der beste Weg zur Bewältigung der Ereignisse weiter zu leben wie bisher? Stippl: Wenn es um die Ablenkung der betroffenen Freunde geht, sind Zuneigung und Solidarität entscheidend. Man muss vermitteln, dass Schlafstörungen und andere Auswirkungen der Attentate, völlig normale Reaktionen auf nicht normale Ereignisse sind. Es geht um das Signal, das man dem Terrorismus sendet: "Ihr könnt unsere Demokratie nicht kaputt machen! Wir lassen das nicht zu!" Dieses Signal funktioniert in beide Richtungen.
profil: Wie erklärt man Kindern die Attentate? Stippl: Eltern haben nur bedingt Einfluss darauf, womit ihre Kinder konfrontiert werden. Daher ist das Verstehen bei Kindern umso wichtiger. Die Eltern müssen wahrnehmen, wie es den Kindern geht, und aktiv als Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Das betrifft auch die Schule, die den Kindern den Raum geben sollte, ihre Eindrücke zu verarbeiten.
An Gewalt sollte man sich niemals gewöhnen.
profil: Nach dem Anschlag auf die französische Zeitung "Charlie Hebdo" im vergangenen Jänner haben Schock und Solidaritätsbekundungen wesentlich länger angedauert als nach den Attentaten in Paris. Wie beurteilen Sie das? Stippl: Das erste Mal ist immer das schlimmste Mal. Vielleicht haben die Menschen sich auch ein bisschen daran gewöhnt, dass solche Dinge vorkommen. Dadurch wird den Terroristen die Energie genommen und die Lähmung in der Bevölkerung ist nicht mehr so stark.
profil: Sollte man sich an Terror wirklich gewöhnen? Stippl: An Gewalt sollte man sich niemals gewöhnen. Es geht hier um Bewältigungsstrategien, die den Umgang mit solchen Ereignissen erleichtern. Das reicht von individuellen Maßnahmen bis hin zu Reaktionen auf nationaler Ebene, beispielsweise im medizinischen Bereich und in der Polizeiarbeit. Das nimmt dem Terror und den terroristischen Anschlägen einen Teil der Effizienz.
Zur Person: Peter Stippl engagiert sich seit 15 Jahren als Psychotherapeut beim Burgenländischen Landesfeuerwehrverband im Bereich Krisenintervention und Stressverarbeitung nach belastenden Einsätzen. Aktuell ist Stippl Präsident des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie.