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Putins Gas: Der nächste Winter wird hart

Stürzt der russische Diktator die Welt in einen Atomkrieg? Unwahrscheinlich. Aber die kommende Heizsaison wird auch so herausfordernd genug.

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Fliegt uns ein ukrainisches AKW um die Ohren? Schlimmer noch, zündet Putin Nuklearsprengköpfe - mitten in Europa? Ich sträube mich entschlossen dagegen, mir diese Fragen ernsthaft zu stellen. Allein das Aufschreiben derselben wirkt verstörend. Aber irgendwie bekommt man diese Gedanken nur schwer wieder aus dem Kopf, wenn sie einmal drin sind. Und so geht es anscheinend nicht nur mir, was die Sache nicht notwendigerweise erträglicher macht.

Wir haben in unserer aktuellen Print-Ausgabe eine Umfrage von Unique Research veröffentlicht, wonach ein Atomkrieg aktuell zu den größten Sorgen der Österreicherinnen und Österreicher zählt. 38 Prozent der Befragten gaben an, sich mit Blick auf den Krieg in der Ukraine vor dem Einsatz russischer Atomwaffen zu fürchten.

Nein, das kann nicht passieren, es wird nicht passieren; ich schiebe den Gedanken also weg, er kommt hartnäckig wieder. Ich wache neuerdings öfter einmal frühmorgens mit einer flüchtigen Sachstandserhebung auf: „Ah, Welt noch da.“

Die Volksschule meiner Tochter hat den Kindern vor einigen Tagen eine Mitteilung an die Eltern mitgegeben, Betreff: „Strahlenschutz“.

Demnach seien für den Katastrophenfall unter anderem folgende Maßnahmen beschlossen worden:

1)     Ausgabe von Kaliumjodid-Tabletten an SchülerInnen (sofern die unterschriebene Einverständniserklärung vorliegt).

2)     Das Betreten der Schule durch die Eltern ist dann nicht mehr erlaubt (Kinder verlassen das Gebäude durch eine Schleuse, die eigentlich ein Windfang ist).

3)     Die Schule legt ab sofort Nahrungsvorräte an (hauptsächlich Müsliriegel und Maiswaffeln, bei Unverträglichkeiten ist für eigene Verpflegung vorzusorgen).

4)     Die Schule stellt darüber hinaus Müllsäcke und Masken zur Verfügung, um die Kinder auf dem Heimweg zu schützen (zur Abholung wird obendrein angeregt, allenfalls Windeln als Atemschutz mitzunehmen).

Man liest das und denkt sich: Surreal, das kann nicht ernst gemeint sein. Man zwingt sich zur Tagesordnung und unterschreibt den Empfang des Zettels mit der gleichen ostentativen Gelassenheit, mit der man Schulmitteilungen sonst auch begegnet.

Ich habe ehrlicherweise keine Ahnung, wie gut Müllsäcke gegen radioaktiven Fallout schützen und will es auch gar nicht herausfinden. Ich hätte im Ernstfall wohl auch keine Windeln als Atemschutz zur Hand. So oder so: Der Gedanke, die eigenen Kinder womöglich nicht beschützen zu können, lässt einen ohnmächtig zurück. 

Russisches Gas, österreichische Abhängigkeit

Gehen wir also restoptimistisch davon aus, dass der Winter 2022/2023 kein nuklearer wird. Kalt wird es auch so – Stichwort: Gasversorgung. Rund 800.000 Haushalte in Österreich (und dazu viele Industrieunternehmen) sind auf Erdgas angewiesen – und das kommt nun einmal zu rund 80 Prozent aus Russland.

Bis heute läuft zwar Gas durch die russischen Pipelines nach Europa – aber der Kreml und sein Diktator haben nach dem roten Knopf jüngst auch mit dem Gashahn gedroht. Umgekehrt haben die USA und Großbritannien bereits Embargos auf russisches Öl angekündigt, die EU-Kommission will die Gasimporte aus Russland binnen eines Jahres um bis zu zwei Drittel drosseln. Der Frühling mag anbrechen, im Energiesektor wird es frostig.

Die Europäische Union ist gesamthaft zu 40 Prozent von russischem Erdgas abhängig, Österreich aber zu 80 Prozent. Wie das? War die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen tatsächlich alternativlos? Nein, sagt der frühere OMV-Generaldirektor Gerhard Roiss in einem viel diskutierten Interview, das ich vergangene Woche mit ihm führte. Österreich und sein teilstaatlicher Konzern seien vielmehr durch eine „Gruppe von Putin-Verstehern“ gezielt in eine Abhängigkeit von Russland gelenkt worden, berichtet Roiss. „Diese Leute haben ihre eigenen finanziellen Interessen über jede Moral gestellt.“

Keine Pipeline, kein Erdgas

So war die OMV bereits 2012 im Schwarzen Meer vor Rumänien auf ein großes Gasfeld gestoßen, das laut Roiss etwa ein Drittel des jährlichen Gasbedarfs in Österreich decken könnte. Doch bis heute strömt kein OMV-Gas aus Rumänien zu uns, weil die dafür benötigte Pipeline zwar geplant, aber niemals errichtet wurde.

Die OMV hatte sich unter Roiss’ Nachfolger Rainer Seele ab 2015 mehr und mehr Richtung Gazprom orientiert - und insgesamt rund 2,5 Milliarden Euro in russische Gasfelder und die Finanzierung der Pipeline North Stream 2 investiert. Jetzt wird die einst gefeierte Russland-Strategie notgedrungen über den Haufen geworden, kürzlich kündigte die OMV mit Blick auf die Russland-Engagements Abschreibungen in einer Größenordnung von bis zu 1,8 Milliarden Euro an.

Man könnte jetzt natürlich die Frage stellen, ob das Geld, das in Russland verdampft, nicht besser im Bau einer Pipeline zum Schwarzen Meer angelegt gewesen wäre – müßig.

Mitglieder der österreichischen Bundesregierung sind dieser Tage öffentlichkeitswirksam in die Vereinigten Arabischen Emirate geeilt, um bei den Machthabern dort (übrigens auch keine erklärten Fans der Menschenrechte) Bedarf an Flüssigerdgas anzumelden. Ob und wie viel davon tatsächlich nach Österreich kommen wird - und zu welchem Preis: abwarten.

Überhaupt: Die EU und Österreich und sowieso alle wollen jetzt noch viel schneller viel radikaler viel erneuerbarer, grüner und viel viel unabhängiger werden. Alles ganz super, hilft aber Leuten, die an den öffentlichen Gasnetzen hängen, erst einmal wenig.

Es braucht nicht viel Fantasie (und auch keinen Alarmismus), um eine euphemistische Prognose zu wagen: Billiger wird Erdgas (und Strom und Sprit) so bald nimmer. Der kommende Winter wird also auch ohne Fallout hart. Einerseits. Andererseits: Was ist das schon gegen den Horror und das Leid, dem die Ukrainerinnen und Ukrainer dieser Tage ausgesetzt sind.

Michael Nikbakhsh

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.