Rabbiner Goldschmidt kritisiert Rechtsparteien in Europa
Rabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, veröffentlichte am Vorabend des Internationalen Holocaust-Gedenktages anlässlich eines Treffens mit dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Oskar Deutsch, folgendes Statement:
"As the last witnesses of this greatest of crimes are leaving the land of the living, and revisionist voices in Europe together with "Kellernazis" travel again this dangerous road, every decent human being with a conscience should stand up for the sacred memory of the six million Jews murdered and make sure that never again such a crime will be perpetrated by the human race. We support fully the decision of the European Jewish Communities to refuse any contact with those forces."
Lesen Sie dazu:
- Israelitische Kultusgemeinde Wien will weiterhin keine Kontakte zur FPÖ
- Artikel aus 2016: Wie hälts du's mit der FPÖ?
- Interview aus 2016: "Kein Kosher-Stempel für die FPÖ"
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Wie hälts du's mit der FPÖ? (Artikel aus 2016)
Nun schwelt auch in der jüdischen Gemeinde in Wien der Konflikt über den richtigen Umgang mit der Rechtspartei.
Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, ist ein unerschrockener Mann, auch wenn er es vermeidet, Frauen die Hand zu geben. Einer seiner Urgroßväter war Rabbiner in der Leopoldstadt. Die Wiener Verwandten kamen in Auschwitz ums Leben. Im Alter von 24 Jahren übernahm er ein Rabbinat in Moskau. Unangenehme Auseinandersetzungen ist er gewohnt. Mit seiner Wortmeldung, eine nicht unbeträchtliche Zahl europäischer Juden gebe Parteien der extremen Rechten ihre Stimme, hat er heimische Funktionäre in größte Verlegenheit gebracht.
In Frankreich und Belgien, wo Juden mit Kippa sich kaum noch auf die Straße wagen und sich nicht mehr sicher fühlen, nachdem islamistische Terroristen tödliche Anschläge auf deren Einrichtungen, Synagogen und Supermarkte verübt hatten, sei dies schon länger bekannt. Doch habe es ihn überrascht, zu hören, dass nicht wenige österreichische Juden den freiheitlichen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer gewählt haben, meinte Goldschmidt am Rande einer Rabbinerkonferenz in Wien.
In der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) ist man nun peinlich berührt. Im Gemeindeparlament am vergangenen Donnerstag kam es zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen den verschiedenen Fraktionen. Die einen kritisierten, dass IKG-Präsident Oskar Deutsch vor der Wahl Sympathie für Alexander Van der Bellen geäußert habe, die anderen beschwerten sich, dass er sich nicht klipp und klar von der FPÖ distanziert hatte.
Einig ist man sich darin, dass antisemitische Pöbeleien nicht nur von rechtsextremer Seite kommen, sondern zusehends auch muslimischen Hintergrund haben. Eine jüdische Einrichtung, die sich in der Nähe eines Flüchtlingsheims befindet, wird seit dem Frühjahr 2016 verstärkt bewacht.
Der ehemalige Vorsitzende der IKG und derzeitige Vizepräsident des Europaen Jewish Congress, Ariel Muzikant, sagt: "Auch wenn die Linke immer israelkritischer wird und bisweilen die Grenze zum Antisemitismus überschreitet, während sich die Rechte immer israelfreundlicher gibt, darf man sich nicht verbiegen."
Der amtierende Präsident der IKG, Oskar Deutsch, ließ profil zu dem schwelenden Konflikt eine Stellungnahme zukommen: "Das Wahlgeheimnis gilt auch für Jüdinnen und Juden. Abgesehen davon teile ich nicht die Einschätzung, dass ein 'nicht unwesentlicher' Teil der jüdischen Gemeinde Norbert Hofer gewählt hat. Es ist umgekehrt: Ich denke, dass ein wesentlicher Teil aus einer Vielzahl guter Gründe nicht die FPÖ gewählt hat." Allerdings sollte die Politik islamistischen Judenhass ernst nehmen.
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"Kein Kosher-Stempel für die FPÖ" (Interview aus 2016)
Interview mit Rabbiner Pinchas Goldschmidt aus dem Jahr 2016, über die Verführung der Juden durch die extreme Rechte und muslimische Zuwanderung:
profil: Hätten Sie die Rabbinerkonferenz auch dann in Wien abgehalten, wenn Österreich einen rechtsnationalen Präsidenten gewählt hätte? Pinchas Goldschmidt: Ich glaube schon. Im Jahr 2000, als Jörg Haiders Partei in die Regierung kam, verlegten wir die europäische Rabbinerkonferenz aus Protest nach Bratislava. Aber die Lage in ganz Europa hat sich heute zugespitzt. Ich habe gehört, dass sehr viele Gemeindemitglieder in Wien Norbert Hofer ihre Stimme gegeben haben. In Frankreich wählen nicht wenige Juden den Front National.
profil: Sind Juden anfällig für solche Parteien, weil sie sagen, der Islam gehöre nicht zu Europa? Goldschmidt: Die Antwort ist nicht einfach. Die heutige Gefahr lässt uns die Geschichte vergessen. Viele Menschen haben ein ziemlich kurzes Gedächtnis. Ich sehe die politische Allianz zwischen der extremen Rechten und verschiedenen Teilen der jüdischen Gemeinde äußerst problematisch. Ich glaube nicht, dass diese Parteien für die jüdischen Gemeinden Gesprächspartner sein sollen.
profil: Die Rechte in Europa - bis auf die ungarische Jobbik oder die griechische Partei Morgenröte - gibt sich sehr israelfreundlich. Goldschmidt: Es ist auch eine moralische Frage. Ich glaube nicht, dass wir Parteien wie der FPÖ den Kosher- Stempel geben sollen. Falls solche Parteien doch einmal ans Ruder kommen und ein europäisches Land regieren sollten, werden wir das neu überdenken müssen. Eine jüdische Gemeinde ist immer verpflichtet, alles Unmögliche zu erwägen, mit der Macht einen Dialog zu finden, falls es möglich ist. Aber heute stellt sich die Frage, wie weit man uns benützt, um diese Parteien salonfähig zu machen.
profil: Fürchten Sie die verstärkte Zuwanderung von Muslimen? Goldschmidt: Gibt es ein Recht auf Migration? Haben Sie als Österreicher das Recht, in die USA zu emigrieren? Ein Flüchtling aber, der um sein Leben rennt, vor Krieg, Hungersnot oder Verfolgung, der hat das Recht. Dem müssen wir helfen. "Du kannst nicht zuschauen, wie das Blut deines Nächsten vergossen wird", heißt es in der Thora.
profil: Haben Sie den Eindruck, dass durch den starken Zuzug nach Europa ein neuer Rassismus entsteht? Goldschmidt: Wenn wir im Internet surfen, sehen wir Rassismus aus Hass, aber auch Rassismus aus Angst. Es herrscht eine riesengroße Angst, überrannt zu werden, eine Angst, dass es in Brüssel oder Paris bald so aussieht wie in Beirut oder Damaskus. Es stellen sich viele Fragen: Braucht Europa nicht eine kontrollierte Einwanderung? Warum begeistern sich Kinder und Enkel der Zuwanderer für IS-Propaganda? Dieser Hybrid Europa ist nicht gebaut für große Sicherheitsrisiken. Deshalb werden extrem rechte Parteien so populär.
profil: Wollen Sie mehr Dialog mit Muslimen? Goldschmidt: Wir versuchen es seit Jahren. Das Problem ist: Wer spricht für die Muslime? Sind ihre Organisationen wirklich repräsentativ? Wir haben vor zwei, drei Jahren allen europäischen Innenministern vorgeschlagen, dafür zu sorgen, dass die Geistlichkeit in Europa studiert haben sollte und nicht aus dem Ausland finanziert werden dürfe, aus Ländern, die den Radikalismus fördern. In Österreich wurde das umgesetzt.
profil: Warum gingen Sie im Jahr 1989 als Rabbiner nach Moskau, wo doch die russischen Juden nur auswandern wollten? Goldschmidt: Als ich dorthin ging, kam noch niemand raus. Als ich nach Moskau kam, lebten dort mehr als eine Million Juden, doch sie hatten kein jüdisches Leben. Für mich war das eine Herausforderung. Ich hatte immer wieder Schwierigkeiten. Russland ist nicht Europa. Man hat versucht, mich aus Russland hinauszuwerfen. Gott sei Dank ist ihnen das nicht gelungen. Es ist eines der großen Wunder unserer Zeit, dass wieder drei Millionen Juden Teil des jüdischen Volkes geworden sind, die überhaupt keinen Kontakt mit Israel und mit dem Judentum hatten.
profil: Wie erklären Sie sich, dass Wladimir Putins Partei rechtsradikale Parteien in Europa finanziert? Goldschmidt: Es gibt Sanktionen gegen Russland. Russland versucht ganz einfach, die Einheit der europäischen Länder zu schwächen. Das machen sie mithilfe der extremen Rechten.
profil: Sehen Sie durch muslimische Zuwanderung eine Gefahr für die Religionsausübung? Goldschmidt: Juden leben seit 1000 Jahren in Europa. Wir hatten nie Probleme mit der Beschneidung. Aber jetzt wird das plötzlich ein Thema, und zwar deshalb, weil auch Muslime ihre Knaben beschneiden und Tiere schächten. Das sind populistische antimuslimische Initiativen. Wir Juden sind nur der Kollateralschaden.
profil: Vor wem müssen Juden mehr Angst haben? Vor einem Europa der extremen Rechten oder vor muslimischem Antisemitismus? Goldschmidt: Juden fürchten sich vor Gott.
profil: Und was sagt Gott? Goldschmidt: Fragen Sie ihn.
profil: Sie haben da mehr Kontakt. Goldschmidt: Aus der Thora: "Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott."
Interview: Samuel Laster (Herausgeber der Internetzeitung "Die Jüdische") und Christa Zöchling