Radikalisierung einer Partei: Die AfD auf den Spuren der FPÖ
Anfangsmängel hat ein neues Unternehmen immer. Aber die rasant aufsteigende "Alternative für Deutschland“ (AfD) befindet sich im dritten Jahr, und man fragt sich, wo die Frauen sind. Auf ihrem Programmparteitag waren vorwiegend Männer zu sehen. Männer in gutgeschnittenen Anzügen, Männer in ausgebeulten Sakkos. Männer in Button-down-Hemden, Männer im Holzfäller-Stil. Alte Männer, mittelalte Männer, ganz alte Männer. Weit mehr als 2000 Mitglieder der AfD drängten sich am Wochenende der Vorwoche in der Messehalle in der Nähe des Stuttgarter Flughafens. Zu viele für die Sicherheitsbestimmungen des Gebäudes, sodass die Tagungsleitung die Leute aufforderte, einige mögen bitte nach draußen gehen, etwas trinken.
Gar keine Frauen? Auf der Bühne schon. Drei weibliche Vorstandsmitglieder thronen auf dem Podium. Frauke Petry, 41 Jahre alt, cooler Garçon-Schnitt, in der DDR aufgewachsen, beste Universitätsabschlüsse, vier Kinder. Wünschenswert für eine deutsche Familie seien zumindest drei Kinder, hatte sie einmal in einem Interview angemerkt. Deutsche Kinder statt Zuwanderung! Hier sagt sie, das Etikett der AfD als "deutschnationale“ Partei übernehme sie gern und mit Stolz. Am anderen Ende des Tisches: Beatrix von Storch, 45 Jahre, geborene Herzogin von Oldenburg. Laut "Gotha“, dem Nachschlagewerk für den Adel, im Rang der englischen Königin ebenbürtig. Markenzeichen: herabhängende Mundwinkel. Dahinter: Alice Weidel. 37 Jahre alt. Begabtenstipendium, Investmentbankerin. Kühl und blond wie Maria Furtwängler. Weidel sitzt stundenlang wie angewachsen auf ihrem Platz. Aus gutem Grund. Schon beim Eingang in den Saal wurde sie aufgehalten und angebraten. (Na, Sie sehen heute aber hübsch aus.) Es ist generell nicht lustig, sich als Frau durch die Halle zu bewegen. Dreiste Blicke, dumme Anmache. Die jungen Frauen am Messe-Buffet draußen parieren müde Herrenwitze: "Nein, wir haben keine süßen Schnecken mehr, und ich bin auch nicht zu haben.“
Die meisten Vorstandsmitglieder waren Gründungsmitglieder der AfD im Jahr 2013. Gegen den Euro, gegen die Euro-Rettung, gegen die "faulen“ Südländer. Für direkte Demokratie. Das waren ihre Beweggründe.
"Gegen die versifften Alt68er"
Jetzt geht es ihnen um die Rettung des Abendlandes, die deutsche Sprache, "unsere Gebräuche und Sitten“ - "Werte, die wir von unseren Großeltern und Ahnen geerbt haben“. Sie haben die Gedenkkultur satt, sind "gegen die Verengung der Erinnerungskultur auf den National-Sozialismus“, gegen das "Links-rot-grün-verseuchte Deutschland“ und "gegen die versifften Alt68er“. Sie haben humanistische Gymnasien absolviert und sprechen manchmal wie der Pöbel.
Die AfD hat sich im vergangenen Jahr im Schnelldurchlauf radikalisiert. Vor drei Jahren noch war sie eine Professorenpartei gewesen. Dann führten sie Thilo Sarrazins Thesen von der genetischen Inferiorität der Zuwanderer im Munde, und plötzlich waren Begriffe wie Islamgefahr, Überfremdung, das Überleben des deutschen Volks, Deutsche Identität und Genderwahn salonfähig.
"Wir wollen nicht, dass Deutschland in Dekadenz und Chaos abgleitet“, sagt der Co-Chef der AfD, Jörg Meuthen.
Gastredner Vaclav Klaus, der autoritäre frühere Präsident Tschechiens, ruft in den Saal: "Revolutionär ist Ihre Partei“ - "Keine Aufweichung“ - "keine Angst vor dem Wort Ideologie“ - "politische Korrektheit ist abzulehnen“. Seine Worte gehen in tosendem Jubel unter. Einer der beiden EU-Abgeordneten der AfD, Marcus Pretzell, kündigt an, sich im Europaparlament der Fraktion von Marine Le Pen und der FPÖ anzuschließen. Vor einem Jahr noch hat Petry das ausgeschlossen. Zu extrem. Doch die Erfolge der FPÖ beflügeln. Pretzell verliest eine aufmunternde Grußbotschaft "des nächsten österreichischen Bundespräsidenten“ Norbert Hofer. "Mut! Den Medien trotzen! Sich nicht abbringen lassen! Grüß Gott.“
Die FPÖ als Vorbild
Der Norbert Hofer! Der Allerweltsname hat plötzlich Glanz. Die FPÖ. Das Vorbild. Man will eine "freiheitliche Politik“ betreiben, heißt es vom Podium herab. Wie in Österreich. Viele hier meinen, die Erfolge der FPÖ lägen auch an den österreichischen Medien. Die seien "nicht so feindlich eingestellt wie die deutschen“, wobei Journalisten generell unbeliebt sind. Viele seien "von der ‚Atlantikbrücke‘ gelenkt“. Atlantikbrücke? Ein Synonym für US-Verschwörung. Deshalb sollen öffentlich-rechtliche Sender keine "Zwangsgebühren“ mehr bekommen.
Es ist heiß geworden im Saal. "Mehrheiten können sich schnell ändern. Das sieht man in Österreich“, sagt Petry. Und jetzt bittet sie den Ältesten auf dem Podium, sich zu erheben. Albrecht Glaser. 74 Jahre alt. Der Kandidat der AfD für den deutschen Bundespräsidenten! Der werde vorerst noch nicht vom Volk, sondern von der Bundesversammlung gewählt. "Besonders hervorzuheben: Sein jüngstes Kind ist ein zehnjähriger Junge.“ Sagt Petry, und jetzt tobt der ganze männergefüllte Saal. Potent noch im Rentenalter, super.
2400 Mitglieder, Förderer und Gäste. Sie sitzen zwei Tage lang im Saal und schauen nach vorn auf einen riesigen Bildschirm, der den jeweiligen Sprecher zeigt. Hochkonzentriert. Jeder für sich. Kaum einer redet mit seinem Nachbarn. Es gibt keine offizielle Pause, und dennoch ist die Halle durchgehend bis zum Platzen gefüllt.
"Weil wir das nicht wollen“ ist das geheime Parteitagsmotto. Meuthen spricht es aus. Wir sind gegen den Islam, gegen Minarette, gegen Zuwanderung aus bestimmten Ländern - "weil wir das nicht wollen hier“.
"Aber was ist mit dem deutschen Dichter Ephraim Lessing? Nathan der Weise? Ringparabel?“ Der einsame Redner zieht allen Hohn auf sich. "Lächerlich“ tobt Hans-Thomas Tillschneider von der Patriotischen Plattform, eine besonders rechte Gruppe in der AfD. Man wolle keinen Islam, egal welchen. "Wenn wir keine Islamisierung wollen, dürfen wir auch keine Europäisierung des Islam fordern. Der Versuch, "den Islam an die Normen und Werte der aufgeklärten Moderne anzupassen“, sei keine Lösung, sondern die Wurzel des Übels.
"Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ So denkt hier die Mehrheit. So fällt der Beschluss.
"Der Islam gehört nicht zu Österreich“, sagte Heinz-Christian Strache bei Hofers Wahlkampffinale für den ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl.
Sie geben sich alle Mühe mit der Demokratie. Es gab 1450 Änderungsanträge zum Leitantrag. Hätte man jeden Antrag einzeln abgestimmt, hätte das mindestens neun Tage gedauert, so die Berechnung der Tagungsleitung. So wurde abgestimmt, über welche Themen abgestimmt werden sollte, und über deren Reihenfolge. Die Anträge waren durch Nummern gekennzeichnet, und bald schwirrten Zahlen durch die Halle. Alle 20 Sekunden wurde an einem der beiden Saal-Mikrophone ein neuer Geschäftsordnungsantrag gestellt, weil jemand der Meinung war, dass sein Thema nicht die nötige Aufmerksamkeit erfuhr. Es war nicht immer klar, was nun abgestimmt wird. Der Kongress glich zeitweise einem Aerobic-Event. Hände rauf, Hände runter. Im Sekundentakt. Rote Karten, blaue Karten.
Bei der heiklen NATO-Abstimmung herrschte größte Verwirrung, ob es nun für oder gegen den Austritt ging. Wäre Ex-CDU-Urgestein Alexander Gauland nicht ans Rednerpult gehechtet und hätte sich auf Bismarck berufen, hätte sich die AfD in ihrem neuem Parteiprogramm wohl auf den Austritt aus der Nato verpflichtet.
Pro Putin
Links, rechts? Oft kaum zu unterscheiden. Linke, deren Weltbild zur Paranoia neigt, können sich hier schon heimisch fühlen. Es herrscht eine Anti-Amerika-Stimmung, und man ist pro Putin. Beschlossen hat die Afd den Abzug aller ausländischen Truppen - also der US-Truppen - und den Abzug aller Atomwaffen aus ihrem Land. "Wir sind doch nicht die Friedensbewegung“ - ruft ein Mitglied verzweifelt in den Saal. Schnauze.
Ähnlich gespalten war der Parteitag in der Sozialpolitik. Etwa 51 zu 49 stand es für die Beibehaltung des Mindestlohns und für die Abschaffung von Erbschafts- und Vermögensteuern.
Am Abend des ersten Tages: eine aufgekratzte Männer-Runde in der Hotellobby, freundlich, diskutierfreudig."Ich hatte selbst mal langes Haar, war bei jeder Vietnam-Demo. Jetzt AfD. Der Islam. Man hat Freunde unter Muslimen. Die sind nett und fleißig. Aber wehe, die werden mehr, dann ist Schluss mit lustig. Dann geht es uns an den Kragen. Dann werden wir geschlachtet.“ Und wieder der Refrain: Der Islam gehört nicht zu Deutschland - weil wir das nicht wollen.
Knapp ist der Kongress am Verbot der Abtreibung vorgeschrammt. Abtreibung, das sei ein Relikt der Alt-68er, so tönte es vor allem aus den Reihen der "Jungen Alternativen“, die derzeit eine Kooperation mit der Putin-Jugend ausloten. Das neue Programm beschwört Familienidylle, ist gegen die "Verstaatlichung“ von Kindern in Krippen und gegen den "Genderwahn“. Doch wenn man sie so anschaut, dann muss man annehmen: Hier sitzen viele geschiedene, frustrierte Männer. Die mögen Frauen nicht.
Sie sehnen sich nach Disziplin, Autorität, Tradition. In der Erziehung der Kinder schwebt ihnen vor, was man im Haneke-Film "Das weiße Band“ gesehen hat. Sie wollen nur nicht hören, wohin das geführt hatte. Sie betrachten sich als mündige Bürger, aber sie wollen mit dem Geist der Aufklärung nichts zu tun haben. Sie scheuen jeden rationalen Diskurs. Sie leugnen wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel. Ja, sie leugnen den menschengemachten Klimawandel. Sie vertreten eher Stimmungen als konkrete Interessen. Sie akzeptieren nur Ansichten und Menschen, die zu ihren emotionalen und weltanschaulichen Präferenzen passen. Eine Partei, geboren aus gekränkten Gefühlen. Stark in den sozialen Netzwerken. Wie die FPÖ. Modern und gefährlich zugleich. Denn solche Zusammenschlüsse hebeln die Demokratie aus.