Räume der Stille: Wozu braucht es an Unis Gebetsorte?
Das Tor zum Himmel öffnet sich nur mit einer Chipkarte. Das Schloss klickt, und man ist drinnen. Sofern man Studierende oder Mitarbeitende der Uni ist. Der Raum der Stille, ein Gebetsraum für alle Glaubensrichtungen an der Wiener Wirtschaftsuniversität (WU), befindet sich etwas versteckt am äußeren Rand des Campus. Im Eingangsbereich wird einerseits darauf hingewiesen, sich ruhig und respektvoll zu verhalten, andererseits wird über eine gemeinsame Yogastunde (Montags, 12.00 bis 13.00 Uhr) informiert.
Im Raum der Stille ist es an diesem Mittwochnachmittag im Februar auffallend still. Und es fühlt sich durchaus so entschleunigend an, als würde man ein Yogastudio betreten. Nur zwei muslimische Studenten errichten ihr Gebet auf zwei der vielen, bunten Gebetsteppiche, die hier ausliegen. Der stille Ort ist in insgesamt drei Bereiche durch Vorhänge aufgeteilt – hinten im Raum stehen Sessel, auf denen man meditieren könnte. Abgetrennt daneben ist ein kleinerer Gebetsbereich für muslimische Frauen, inklusive Korb mit Kopftüchern zum Ausborgen. Dann gibt es noch den größten Teil des Raums, in dem die beiden Studenten beten. Im Bücherregal liegen heilige Schriften unterschiedlicher Konfessionen auf.
WU als Wiener Vorreiter?
Die Wirtschaftsuni, seit ein paar Jahren am neuen Campus in der Nähe des Wiener Praters gelegen, versteht sich als Ort, an dem säkulare Wissensvermittlung und private Religionsausübung Hand in Hand gehen können. Und: „An dem Mitarbeitende und Studierende als ganze Menschen sein können, über berufliche und professionelle Rollen hinaus.“ Sofern man zumindest eine Chipkarte hat. Gläubigen Studierenden kommt die WU Wien mit dem Raum der Stille entgegen, wie profil in Gesprächen erfuhr. Bei anderen kommt jedoch die Frage auf: Braucht es einen solchen Raum wirklich?
Laut der Technischen Universität Wien (TU) jedenfalls nicht. Im Herbst sorgte ein Aushang vor der Bibliothek der Technischen Universität für Aufsehen. In der TU, so steht es auf dem Zettel (siehe Foto), „können an der Bibliothek keine Gebets- und Versammlungsräume zur Verfügung gestellt werden“. Religionsausübung, so der Aushang weiter, werde an der TU als Privatsache betrachtet und es sei kein Auftrag der Uni, diese Bedürfnisse abzudecken: „Versammlungen zu religiösen Zwecken und öffentliche Religionsausübung sind in der Bibliothek nicht gestattet und müssen als störendes Verhalten im Sinne der Nutzungsbestimmungen bewertet werden“, heißt es weiters. Das war nicht immer so: Der oberste Stock der Bibliothek diente jahrelang als inoffizieller Gebetsbereich der TU Wien, da es in dem Bibliotheksbereich meistens leer war und die TU-Bibliothek sich zentral am Wiener Karlsplatz befindet.
TU-Studierende fordern Raum der Stille
Bedarf für einen solchen Rückzugsort gibt es allerdings wohl: Im Herbst 2023 unterschrieben etwa 283 Unterstützer:innen eine Petition, die für einen solchen Raum am Unigelände plädierte. Passiert ist jedoch nichts, einen Raum der Stille wie es ihn in der WU Wien gibt, ist auf der TU nicht geplant. Denn die TU Wien will zwischen dem persönlichen „weltanschaulichen Engagement“ ihrer Mitarbeiter:innen und Studierenden und dem „weltanschaulichen Auftrags als Universität“ trennen, wie die Uni in einer Stellungnahme an profil festhält.
Der Aushang, der das Beten in Bibliothek verbietet, ist mit 31. Oktober 2023 datiert. Auf die Frage, ob das Verbot in einem Zusammenhang zum Israel-Palästina-Konflikt stehe, gab es keine konkrete Antwort von Seiten der TU. Nur soviel: Der Aushang sei mittlerweile wieder entfernt worden, weil er „nicht ausreichend jene aufklärende und zugewandte Tonalität aufwies, die dem neuen Rektorat und den Kolleg:innen in der Bibliothek bei der Thematik so wichtig sind“.
Inoffizieller Uni Wien-Gebetsraum
Kompliziert ist die Sache auch an der Universität Wien. Denn einen ausgewiesenen Raum der Stille oder Gebetsraum gibt es in keinem Unigebäude. Auch die Uni Moschee Iqraa, die zwar nicht Teil der Universität war, aber von Studierenden genutzt werden konnte, gibt es seit 2022 nicht mehr.
Aktuell können gläubige Studierende nur am ehemaligen Afro-Asiatischen Institut den muslimischen Gebetsraum oder die Kapelle nutzen, die sich in der Nähe zu Hauptuni und Votivkirche befindet. Anruf bei Nikolaus Heger von der Erzdiözese Wien, die für den Erhalt der Gebetsräume mitverantwortlich ist. „Man wollte dabei den Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen fördern und Studierenden einen Rückzugsort bieten“, so Heger zu profil. Die Räumlichkeiten gibt es bereits seit den frühen 1960er-Jahren, erzählt er. Bis 2016 gab es in dem Gebäude ebenfalls einen Hindu-Tempel, der aber nicht mehr betreut werden konnte. „Die Gebetsräume werden gerne genutzt“, meint Heger. Mittwochs versammelt sich zum Beispiel immer eine Gruppe chinesischer Studierender in der Kapelle zum Bibellesen. „Und im muslimischen Gebetsraum findet jede Woche ein großes Freitagsgebet statt.“
Aber wie hält es sich generell mit Gebets- oder Räumen der Stille an Österreichs Universitäten? Nachfrage bei der Ombudsstelle für Studierende, die sich um Anliegen von Studierenden kümmert und dem Bildungsministerium unterstellt ist. Eine gesetzliche Grundlage gebe es für die konfessionsfreien Räume der Stille nicht, heißt es von Seiten der Ombudsstelle. Und: „Aus Sicht der Ombudsstelle für Studierende liegt es im autonomen Entscheidungsbereich der Hochschulen, nach Bedarfsanalyse entsprechende Räume für Angehörige der jeweiligen Hochschule einzurichten.“
Die Frage, inwiefern Religionen und Religionsausübung an säkularen Bildungseinrichtungen wie Universitäten einen Platz haben sollen, ist bisher nicht abschließend geklärt. Bereits 2014 hieß es in einem deutschen Paper des Journals für Wissenschaft und Bildung, verfasst vom Religionspädagogen Martin Rötting mit dem Titel „Postsäkulare Universität? Religiöse Vielfalt an Hochschulen“, dass sich an vielen Universitätsstandorten deutlich zeige, „dass Räume der Stille allein keine adäquate und vor allem nicht abschließende Antwort auf die Pluralisierung der Religionen am Campus sind, wohl aber ein guter erster Schritt.“ Denn: „Vielerorts wird bald deutlich, dass die Universitätsleitung mit der Frage, wer in den Räumen der Stille was genau anbieten oder verrichten darf, nicht der richtige Ansprechpartner ist.“ So entstehen oft Vereine oder Runde Tische der Religionen, die beratend oder entscheidend bei der Gestaltung und Organisation mitwirken. Idealerweise entstehen durch die Planung von Räumen der Stille bereits „interreligiöse Lernfelder“ am Campus.
Platzmangel und fehlender Bedarf
An anderen Universitäten wurde das Angebot wegen mangelndem Interesse der Studierenden eingestellt. So gab es an der Universität Klagenfurt einen Ort der Stille und der Meditation. Nachdem der Raum von den Studierenden aber nicht wirklich angenommen wurde, wurde er vor mehreren Jahren aus Platzgründen aufgegeben. Heute gibt es die Möglichkeit, bei der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG), die an die Universität angrenzt, einen Raum zu nutzen. Unabhängig von Religion, Alter und Geschlecht, wie die Uni betont. Zudem gibt es für Studierende Programme zur Entspannung, Meditation und Spiritualität. Ähnlich verhält es sich am Campus der Universität Graz: Auch hier gibt es keinen eigenen Raum der Stille. Dafür teilen sich das Afro-Asiatische-Institut und die Katholische Hochschulgemeinde einen Gebetsraum im Univiertel.
Gebetsräume sind für Unis eine Abwägungsfrage: Ist der Bedarf groß genug - oder nutzt man den knappen Platz an der Hochschule lieber anderweitig? Die Uni Innsbruck entschied sich für zweiteres, einen Gebetsraum leistet man sich hier nicht. Alternativen gibt es in Campusnähe zumindest für Katholiken: Unweit der Uni betreibt die katholische Hochschulgemeinde ein Café und eine Uni-Pfarre. Für alle anderen Konfessionen gibt es Initiativen der islamischen Religionspädagogik, die mit der katholischen Fakultät zusammengeführt wurden.
Während Räume der Stille oft ausgelagert oder aus Platzgründen nicht weitergeführt werden, gibt es aber auch neue Projekte. Zum Beispiel in der Steiermark. Die Montanuniversität Leoben setzt gerade die Errichtung eines Raumes der Stille um. Ein „neutraler und heller Raum“, wie die Uni mitteilt, der vor allem als geschützter Rückzugsort allen Mitgliedern der Universität als „Raum der Ruhe, Einkehr und des stillen Gebetes“ offenstehen soll.