Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Jetzt erst recht!

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Es war natürlich keine Ministerratssitzung wie immer. Schon allein die Sektflöten, die Maria Fekter auf dem Platz vorfand, an dem sie normalerweise die jüngsten, in aller Regel höchst erfreulichen Schubhaftstatistiken ablegte, wiesen darauf hin, dass es heute ein besonderer Morgen war.

Und überdies hatte Alois Stöger heute jenes Rasierwasser gewählt, bei dem drei Viertel aller Sachbearbeiterinnen in der Sektion für Arzneimittelwesen nur mehr willenlos murmeln konnten: „Auch wenn du es bist, Alois – nimm mich!“

Obwohl die Bundesregierung in den knapp zwei Jahren ihres Bestehens wahrlich oft genug Grund gehabt hätte, sich und ihre Performance zumindest in diesem intimen, aber gleichzeitig auch dem einzigen Rahmen, in dem man die Qualität dieser Performance rückhaltlos zu würdigen wusste, auch einmal kräftig zu feiern, stand äußerst selten einmal Sekt vor Maria Fekter – was sie durchaus schade fand, denn privat ließ die Mitzi durchaus einmal zwei Zwillinge ungerade sein und den Herrgott einen guten Mann.

Und im Übrigen hätte auch Alois Stöger sein Rasierwasser durchaus nicht ungern öfter aus dem Tresor geholt. Aber als besonnener Sachpolitiker hatte er gelernt, geduldig auf seine Chance zu warten.
Und heute, heute war sie da.

Heute wurde gefeiert. Wenn nicht heute, wann denn dann? Was hatte sich diese Regierung nicht alles anhören müssen! Mit keinem Wort war das ungeheure taktische Geschick, wegen der Wiener Wahl nicht nur die Budgeterstellung zu verschieben, sondern gleich mehr oder weniger jegliche Regierungstätigkeit monatelang einzustellen, von den ach so klugen Kommentatoren gewürdigt worden. Und für sie alle, für diesen summenden Haufen von reformwütigen Arbeitsbienen, war es noch dazu eine schier übermenschliche Anstrengung gewesen, nicht die ganze Zeit über zu regieren und zu handeln.

Aber jetzt, jetzt konnten sie endlich die Früchte ernten: ein gemeinsames Minus von nur zehn Prozentpunkten! Was für ein Triumph!
Maria Fekter entkorkte die erste Sektflasche und rief ­euphorisch: „Wir sind die, vor denen eure Kinder Angst ­haben!“

Werner Faymanns Stimme zitterte leicht, als er das Wort ergriff. „Liebe Freunde“, sagte er, „es ist natürlich nicht leicht, nach so einem berauschenden Erfolg einfach zur Tagesordnung überzugehen.“ Norbert Darabos, der, wie nicht nur Generäle wussten, eher nah am Wasser gebaut war, schnäuzte sich deutlich hörbar. In die sich danach wieder ausbreitende, nahezu salbungsvolle Stille hinein fuhr der Kanzler fort: „Aber uns wird es nicht allzu schwerfallen, weil wir zum Glück ja nur eines zu tun haben: unseren erfolgreichen Kurs fortzusetzen! Ich darf euch alle, liebe Freunde, zur Feier des Tages bitten, kurz die Reformhaltung einzunehmen!“

Meistens war es Reinhold Mitterlehner, der sich als Erster wieder aus der Reformhaltung löste. Er litt ein wenig unter trockenen Hornhäuten und musste deshalb nach spätestens einer Minute zwinkern – und war dann klarerweise der Reformverlierer.

Heute aber kam ihm Josef Pröll zuvor. Er hatte vor Aufregung leicht gerötete Wangen, wie man sie auch auf dem Foto von seiner Erstkommunion sehen konnte, das sich wiederum nur der Tatsache verdankte, dass Erwin Pröll in Niederösterreich nicht nur den elektrischen Strom und das Wasserklosett eingeführt hatte, sondern auch, gerade rechtzeitig für den Sepp, die Farbfotografie.

Nicht zuletzt mit diesem absoluten Killerargument war es dem Onkel gelungen, die Zusage der Bundes-ÖVP zu seinem Wunsch, alle Bundeslehrer zu Landeslehrern zu machen, nach einer hart geführten, vierminütigen Debatte doch noch zu bekommen. Doch hätte Josef natürlich nie zugestimmt, wenn er nicht wüsste, dass es genau Dinge wie diese waren, nach denen das Wahlvolk dürstete. Genau mit dem noch üppigeren Aufblasen von Föderalismus-Luftballons grub man dem Strache erbarmungslos das Wasser ab. Da hatte man auf einen Schlag Hunderttausende Eltern, die man sicher leicht davon überzeugen konnte, dass man diese großartige Bildungsreform so sehen musste: Was für Erwin Pröll gut ist, kann für Österreich nicht schlecht sein!

„Ich darf euch eine Grußadresse von Onkel Erwin überbringen und euch von ihm ausrichten, dass er sehr zufrieden ist. Jetzt noch ein Budget, mit dem die Bauern, die Beamten und die Pensionisten zufrieden sind – und alles kann weitergehen wie bisher!“

„Kein Fußbreit dem Faschismus!“, rief plötzlich Norbert Darabos dazwischen, der sich wieder erfangen hatte. Ja, auch darauf waren sie stolz. Durch das engagierte Vermeiden jeglicher Aktivität, die über die Einzementierung der Privilegien des härtesten Kerns ihrer Stammwähler hinausging, war es ihnen gelungen, die Gefahr von rechts klar unter 30 Prozent zu halten. Und wenn sie weiter so unbarmherzig kämpften, würde die FPÖ bei der nächsten Nationalratswahl möglicherweise sogar noch weit von 40 Prozent entfernt sein!

„Es gibt genug zu tun!“, schloss Josef Pröll gerührt. Und der Kanzler ergänzte: „Also – ­packen wir’s nicht an!“

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