Raubkunst-Fall

Raubkunst-Fall bei den Wiener Philharmonikern

Kunst. Wiener Philharmoniker besitzen seit 1940 geraubtes Gemälde

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Die Öffentlichkeit hat von dem Raubkunst-Gemälde der Wiener Philharmoniker nie erfahren. Auch im Vorjahr, als das Orchester bei einem großen Auftritt in der Wiener Staatsoper den neuen Umgang mit seiner NS-Geschichte präsentierte, wurde die heikle Angelegenheit mit keinem Wort erwähnt: jenes Ölgemälde, welches das Orchester als Geschenk von einer Konzertreise im besetzten Frankreich mitgebracht hatte. Dass es sich bei dem Werk des französischen Neo-Impressionisten Paul Signac um geraubte Beute handelte, musste von Beginn an deutlich gewesen sein: Dem Vernehmen nach bekamen die Philharmoniker es von einem General der Feldpolizei überreicht. Anfang August 1940, also in jener Zeit, als die Truppe französische, meist jüdische, Privatsammlungen in großem Stil plünderte. Orchestervorstand Clemens Hellsberg bestätigte in der Vorwoche die profil exklusiv vorliegenden Informationen über die verschwiegene Existenz des Gemäldes: "Es ist bei uns unter Verschluss. Und endlich wissen wir, wem es gehört hat.“

Hellsberg erklärt, er habe als Orchestervorstand die Wiener Provenienzforscherin Sophie Lillie vor einem Jahr mit der Spurensuche beauftragt. Der Vorwurf sollte bis zum Schlussakt streng vertraulich bleiben. Einen Beschluss des Vereinsvorstands der Philharmoniker gab es dafür nicht. Hellsberg: "Ich wollte mit einem Resultat herauskommen und sagen können: ‚Wir haben die Erben in Frankreich gefunden und geben ihnen das Bild zurück.‘“ Mit der "New York Times“ war Exklusivberichterstattung über den aufsehenerregenden Fall und sein Finale nach beinahe 75 Jahren vereinbart worden.

Warum die Geheimnistuerei? Warum wurde nicht längst die Provenienzforschungskommission des Bundes eingeschaltet, die seit 15 Jahren international anerkannte Arbeit über NS-Raubkunst in Österreichs öffentlichen Museen leistet? Clemens Hellsberg, der in seiner 1992 erschienenen Geschichte der Philharmoniker "Demokratie der Könige“ erstmals offengelegte, dass jeder zweite Orchestermusiker NSDAP-Mitglied war, hat eigenen Angaben nach "seit drei Jahrzehnten Anwälte mit der heiklen Causa befasst“. Erfolglos. Den Entschluss, "die Sache jemandem Erstklassigen anzuvertrauen“, habe er im Vorjahr gefasst, als das Orchester wegen der Verleihung des Philharmoniker-Ehrenrings an Baldur von Schirach nach dessen Haftentlassung 1966 massiv unter Druck gekommen war.

Laut Hellsberg war das Bild, das eine Hafenszene zeigt, immer im Orchesterarchiv verschlossen: "Es gab nie das Gefühl, dass es uns gehört.“

Mitglieder der Wiener Philharmoniker haben, nach profil vorliegenden Informationen, untereinander den klandestinen Raubkunstfall immer wieder kritisch hinterfragt. Es soll hinter diesem Bild eine tief berührende Geschichte gefunden worden sein.

Die Konzertreise, bei der das Gemälde übernommen worden ist, hatte die Wiener Philharmoniker Anfang August 1940 in die französischen Städte Salins-les-Bains im Jura, Besançon und Dijon geführt. Dijon, die Hauptstadt des Burgund, war beim deutschen Einmarsch sechs Wochen davor bombardiert worden. Das offizielle Programmbuch des Orchesters meldete, selbst nach Ende der Salzburger Festspiele habe es keine Ferien gegeben: "Denn es war unterdessen eine neuerliche Einladung des Oberkommandos der Wehrmacht eingetroffen, nach dem inzwischen weit nach Frankreich hinein verlegten Sitz des Generalfeldmarschalls List zu kommen.“ Das Orchester sei "den noch kaum verwischten Spuren des siegreichen Vormarsches gefolgt“: "In jeder der drei Städte jubelten die als Publikum gebetenen Truppen (…) den Darbietungen zu.“ Als die Philharmoniker aufspielten, war die Feldpolizei bereits auf Beutezug. Angeordnet hatte ihn der deutsche Botschafter in Paris, Otto Abetz. Die Feldpolizei war auf Härte getrimmt. Sie sorgte innerhalb der Truppen für Ordnung und verfolgte Deserteure, gegenüber der Zivilbevölkerung in den eroberten Gebieten war sie zur Spionageabwehr und gegen Partisanen eingesetzt, im Osten beim Zusammentreiben von Juden. Ihre französische Kunstbeute wurde mit Beschriftungen wie "Feldpolizei Gruppe 540“ markiert. Insgesamt ließ das "Deutsche Reich“ aus Frankreich 138 Waggons voll mit Kunst abtransportieren. Von mindestens 100.000 der geraubten Kunstwerke wurden 60.000 in den ersten Nachkriegsjahren zurückgebracht.

Wann die Wiener Philharmoniker ihr "Geschenk“ zurückgeben werden, ist unklar: Die jüdischen Besitzer des Bildes sind nicht mehr am Leben, und ihre ausgeforschten Verwandten wissen bisher nichts von ihrem Glück. Sie bekommen erst jetzt von den Philharmonikern Post, dass es in einem Tresor in Wien ein Bild gibt - und sie es sind, denen es zusteht.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling

war bis 2023 in der profil-Innenpolitik