Stummelpolitik

Rauchverbot: Österreich ist Weltmeister bei Jung-Rauchern

Tabakgesetz. Österreich ist Weltmeister bei Jung-Rauchern und EU-Schlusslicht im Nichtraucherschutz

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Die grün-blauen Fliesen an der Fassade erinnern noch an die Zeit, als hier vor dem "Gasthaus Hansy“ am Wiener Praterstern Pferdedroschken hielten. Drinnen ist das Wirtshaus schmuck herausgeputzt für die Touristen, die sich nach einem Praterbesuch stärken, und die Einheimischen, die es zu den wohlfeilen Mittagsmenüs zieht. Doch die Stammgäste bleiben seit ein paar Wochen aus - seit sich der "Hansy“-Wirt entschlossen hat, nicht noch einmal umzubauen.

„Ein paar rauchen draußen”
"Bisher durfte man an der Bar rauchen. Nach dem neuesten Gerichtsurteil geht das nicht mehr, weil Nichtraucher am Weg zur Toilette an der Bar vorbei müssen. Wer weiß, was das nächste Urteil vorschreibt - uns wurde das zu blöd“, erzählt ein Kellner. Jetzt ist das ganze Lokal rauchfrei, und zwar weitgehend problemlos: "Ein paar rauchen draußen, ein paar sind weggeblieben. Dafür gibt es neue Gäste“, weiß der Kellner zu berichten.

Derart unaufgeregt kann nachvollzogen werden, was im Rest Europas längst gang und gebe ist: Rauchverbote in der Gastronomie.

Raucherparadies
Meist aber werden große Dramen inszeniert, um eines der letzten Raucherparadiese der westlichen Welt zu verteidigen. Der Aschenbecher ist hierzulande immer noch Stammgast auf Wirtshaustischen und Bartresen - nur in Bulgarien und Rumänien sind Lokale ähnlich stark verqualmt. Auch in punkto Rauch-Prävention belegt Österreich, gemeinsam mit Griechenland, den unrühmlichen letzten Platz im EU-Ranking. Nur in einer Statistik schafft es Österreich unangefochten auf Platz eins: In keinem anderen OECD-Staat rauchen derart viele Jugendliche - jeder vierte 15-Jährige greift regelmäßig zur Zigarette, bei den Mädchen in diesem Alter überhaupt jede Dritte. Im OECD-Schnitt sind es 17 Prozent. Wenig überraschend wird Österreich wegen seiner laxen Anti-Rauch-Gesetze regelmäßig von der EU gerügt.

Lobby der Wirte und Raucher
Doch ebenso regelmäßig kneifen heimische Politiker vor der Lobby der Wirte und der Raucher. Das jüngste Beispiel: Als eines der bisher wenigen konkreten Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen haben sich SPÖ und ÖVP darauf geeinigt, endlich mit den anderen EU-Staaten gleichzuziehen und ein absolutes Rauchverbot in der Gastronomie zu verhängen. So steht es im Papier der Verhandlungsgruppe Gesundheit festgeschrieben. Bloß: Keiner der Verhandler wagt es, das laut zu sagen - aus Angst vor Protesten der Wirtschaftskammer. "Niemand weiß, ob es nicht noch ein Veto der Wirtschaft gegen das Rauchverbot gibt oder lange Verzögerungen“, so ein Koalitionsverhandler.

„Die Gastronomie braucht die Raucher”
In der Tat kommen die Proteste überaus routiniert. Man braucht Helmut Hinterleitner, den Obmann des Fachverbandes Gastronomie in der Wirtschaftskammer, bloß anzustupsen, schon redet er sich ansatzlos in Empörung: "Ein Rauchverbot würde das Aus für mindestens 5000 der 50.000 heimischen Betriebe bedeuten. Die Gastronomie braucht die Raucher als Kunden. In den vergangenen Jahren wurden von den Wirten fast 100 Millionen Euro in abgetrennte Nichtraucherräume investiert, diese Summe wäre jetzt verloren.“ Auch die Argumente, dass von Dänemark über Irland bis Italien die Rauchverbote funktionieren, wischt Hinterleitner geübt vom Tisch: Es sei im Süden Europas wärmer, dort könne im Freien geraucht werden - und bei ähnlicher Temperaturlage wie in Österreich gebe es mit den Rauchverboten nur Kalamitäten.

Das lässt sich mit einem Blick ins benachbarte Bayern nicht bestätigen. Dort hat ein Volksbegehren im Jahr 2010 das Aus für Zigaretten in Gaststätten und sogar in Bierzelten erzwungen - begleitet von grantigen Wirten und fuchsteufelswilden Festzeltbetreibern. Der Niedergang der Wirthauskultur ist nicht eingetreten, dafür ist Nichtrauchen laut einer Studie der Bundeszentrale für gesellschaftliche Aufklärung zur "gesellschaftlichen Norm“ geworden.

Das wussten die Lobbyisten der Gastronomie bisher in Österreich zu verhindern. Erst 2008, als selbst in Qualm-Staaten wie Italien oder Belgien längst Rauchverbote in Kraft waren, wurde unter Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky ein Tabakgesetz beschlossen - später und zahnloser als in anderen EU-Ländern. Seither dürfen Nichtraucher zwar, immerhin, nicht mehr in den hässlichsten und kleinsten Raum des Lokals verbannt werden, aber komplizierte Konstrukte (Wie groß ist das Lokal? Gibt es Türen zwischen Rauchern und Nichtrauchern?) machen Rauch in der Gastronomie zur Norm und nicht zur Ausnahme. "Die Rauchverbote werden nicht durchgesetzt“, merkte ein EU-Vergleichsreport kürzlich lapidar an. Laut einer aktuellen heimischen Studie verstoßen 99 Prozent der Betriebe gegen das Tabakgesetz - also so gut wie alle.

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner hat schon vor zwei Jahren offen zugegeben, dass das "Tabakgesetz ein Fehler war. Man hätte sofort ein generelles Rauchverbot in der Gastronomie einführen sollen.“ Denn früher oder später werde ohnehin die EU das endgültige Aus für Zigaretten an den Wirtshaustischen verordnen, und zwar über den Umweg des Schutzes der Kellnerinnen und Barkeeper.

Darauf will sein Parteifreund, ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger, nicht warten. "Alle Gesundheitsminister haben bisher beim Nichtraucherschutz versagt“, seufzt er. Und argumentiert, warum Rauchverbote gesundheitspolitisch und ökonomisch hoch an der Zeit wären: "Wir haben ein ausgezeichnetes System der Reparatur- und Akutmedizin, die Präventionspolitik in unserem Land ist aber eine Katastrophe. Es ist nicht leistbar, jedem Österreicher ein Spitalsbett zu finanzieren - aber die wichtigste Präventionsmaßnahme, die Antiraucherpolitik, kläglich zu missachten.“

Rauchverbote sind Gewohnheitssache. Es ist nicht einmal zwei Jahrzehnte her, dass in Flugzeugen, Büros und Zügen wie selbstverständlich gepofelt wurde. Anfang der 1990er-Jahre begann, ausgehend von den USA, die Gegenbewegung: Zigaretten wurden verteuert und verbannt, zuerst vom Arbeitsplatz, dann aus den Lokalen. In New York darf nicht einmal mehr in Parks geraucht werden. Ist diese Tyrannei des Guten gerechtfertigt? Darf man Menschen derart bevormunden? In den USA werden diese Fragen mittlerweile mehrheitlich mit Ja beantwortet. Seit Rauchen geächtet wird, hat sich der Anteil der jugendlichen Raucher auf 8,5 Prozent reduziert - mit dem Verweis auf diese Statistik blockte New Yorks oberster Raucher-Jäger, der kürzlich abgetretene Bürgermeister Michael Bloomberg, alle Einwände ab, dass Rauchverbote die Freiheit einschränkten.

In den USA gilt Rauchen als uncool, in Österreich ist die Diskussion noch in einem ganz anderen Stadium. Stefan Gergely ist dafür ein gutes Beispiel. Er führt ein kleines Wirtshausimperium im fünften Wiener Bezirk und hat sich zu einem Wortführer in der Abwehrschlacht der Raucher aufgeschwungen. "Ich bin gegen die Verbotsgesellschaft, Zwang funktioniert nicht“, sagt er. Und: "Ich mache in meinen Lokalen die Erfahrung, dass Raucher mehr konsumieren und kommunikativer sind.“

In dieser Argumentationslinie schwingt noch viel von der Zeit mit, als die Zigarette zum Bohème-Chic gehörte. In der Tat war Rauchen zuerst elitär, dann ein Akt der Rebellion - und nicht zuletzt sogar ein wenig antifaschistisch.

Christoph Kolumbus hatte den Tabak aus Amerika nach Spanien gebracht und prompt die heilige Inquisition auf den Plan gerufen: Wer wie Satan Rauch ausstoße, müsse einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben, befanden Kirchentreue. Soldaten verbreiteten den Tabak trotzig dennoch quer durch Europa, sein erstes Hoch erlebte er in England: Dort gehörte feines Rauch-Ausblasen zu den Tugenden Adeliger, die sich von Rauchlehrern in der Kunst unterweisen ließen. In Deutschland bekam Rauchen mit Demonstrationen für "Rauchfreiheit“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen rebellischen Hautgout: Rauchen galt als Auflehnung gegen die Staatsgewalt, als Geheimzeichen eines von der Obrigkeit verpönten Demokraten und, insbesondere bei Frauen, als emanzipatorischer Akt. Den Nationalsozialisten oblag es, erstmals die gesundheitlichen Gefahren des Rauchens zu thematisieren. Adolf Hitler selbst war fanatischer Nichtraucher - während die Alliierten von Winston Churchill bis Franklin D. Roosevelt begeistert qualmten.

Von dieser Kulturgeschichte - Rauchen bedeutet Freiheit - löst sich Österreich offenbar besonders schwer.

34 Prozent der Österreicher rauchen, im EU-Schnitt liegt der Raucheranteil nur mehr bei 29 Prozent. Aus Brüssel kommen immer strengere Auflagen für Zigarettenpackungen und die klare Zielvorgabe: "Wir müssen die Attraktivität des Rauchens verringern.“

So weit ist Österreich noch nicht: Selbst wenn sich die Koalition zur Verhängung eines Rauchverbots in der Gastronomie durchringen sollte, wird erwartet, dass es jahrelange Übergangsfristen dafür gibt. Der letzte Kampf der Raucher ist noch lange nicht ausgefochten.

Im benachbarten Deutschland hingegen stellten sich selbst die hartnäckigsten Raucher auf strenge Antiraucher-Gesetze ein. Der deutsche Altkanzler Helmut Schmidt etwa hortet in seinem Haus 200 Stangen seiner Lieblingsmarke. Wenn der 94-Jährige täglich eine Schachtel Zigaretten raucht, kommt er bis zu seinem 100. Geburtstag mit dem Vorrat aus, Verbot hin oder her.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin