Wendeorte Teil 7

Rauris: Der Wolf und die sieben Meinungen

Rauris im Salzburger Pinzgau wurde im Frühjahr von einem „Problemwolf“ heimgesucht. Der Eindringling wurde innerhalb kürzester Zeit erlegt und zu politischem Kleingeld gemacht. Wie geht es der Gemeinde damit?

Drucken

Schriftgröße

Es war einmal ein Wolf, der war groß und mächtig, und eines Frühlings, als er zwei Jahre alt wurde, kam er ins schöne Raurisertal. Die Bauern hatten ihre Tiere schon auf die Almen getrieben, Schafe, Ziegen, Rinder standen auf den Hochweiden zwischen Felswänden und Wäldern. Der Wolf bekam Hunger. Er riss ein Schaf, dann noch eines, am Ende waren es 23, manche aß er, mit anderen spielte er nur, bis sie tot waren. Die Tiere wurden unruhig, die Bauern wütend, bis die Jäger kamen und den Wolf totschossen. Und weil er nun gestorben ist, leben sie in Rauris wieder glücklich und zufrieden.

Das Märchen vom Rauriser Wolf spielt im Frühjahr 2024, es ist eine wahre Geschichte, aber auch eine politische Story. Denn der Wolf ist zum Bekenntnistier geworden, an dem sich politische Verbindungen orientieren: Bist du für ihn, sind wir gegen dich. Und umgekehrt. Für die rechtspopulistischen Parteien in Österreich und Deutschland wird mit dem Wiederaufkommen des Wolfs in Mitteleuropa ein Märchen wahr: Über 100 Jahre nach seiner Ausrottung zeigt sich der Wolf auch in Österreich wieder, und wo er auftritt, stehen sich Lokalpolitik und EU-Richtlinie, Umweltschutzvorschrift und traditionelle Lebensweise einigermaßen unversöhnlich gegenüber, lassen sich die da oben (auf der Alm) von denen da oben (in Wien und Brüssel) sicher nichts vorschreiben. Auch in Rauris in Salzburg war das in diesem Frühjahr so. Aber wie ist es jetzt? Eine Spurensuche zwischen roten Bullen, jungen Ziegen und tollkühnen Bergfexen.

Der besagte Bulle ist aus Kunststoff und steht auf einem Fenstersims im Rauriser Gemeindeamt, Marktstraße 30, ein imposantes Steinhaus aus dem Jahr 1540. Seit 2014 amtiert hier als Bürgermeister Peter Loitfellner, das rote Rindviech steht in seinem Büro, er hat es von seinen Parteifreunden zur Wiederwahl im Frühjahr geschenkt bekommen: 79 Prozent, ein respektables Ergebnis, vor allem, wenn man die Farbe der Skulptur in Betracht zieht: Ja, Loitfellner ist ein Roter, in einer jahrzehntelang tiefschwarzen Gemeinde, „aber ich bin nicht so der Parteimeier, das kannst du nicht vergleichen mit Wien oder Salzburg, die Ideologie spielt hier nicht so eine große Rolle“. Im Zuerwerb führt Loitfellner einen der größeren Bauernhöfe im Ort, klassische Milchwirtschaft, er ist auch Jäger und hat definitiv einen Draht zu den Leuten, denn er ist einer von ihnen. Ungefragt hebt er beim Thema Wolf die Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreterin Marlene Svazek (FPÖ) auf den Schild, „da hat sie schnell gehandelt. Da haben die Leute gesehen, wozu die Politik imstande ist, wenn man eine klare Linie hat.“

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.