EU-Wahl

Rechter als rechts

Von Remigration bis Waffen-SS. Was in anderen EU-Ländern selbst Rechtspopulisten zu extrem ist, schadet der FPÖ in Österreich kaum noch. Warum?

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„Wir vertreten die Realität. Unsere Zeit ist gekommen“, sagte der Spitzenkandidat der deutschen AfD zur EU-Wahl, Maximilian Krah (47), bei seinem Besuch in Wien Mitte Februar. Geladen hatte der Spitzenkandidat der FPÖ, Harald Vilimsky. Damit die EU funktioniere, müsse man die „von der Leyens gegen die Krahs“ austauschen, streute Vilimsky seinem Gast Rosen.

Doch während EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf eine weitere Amtszeit hoffen kann, ist Krah jetzt schon Geschichte, weil er in einem Interview historisch zu weit nach rechts abbog. „Ich werde nie sagen, dass jeder, der eine SS-Uniform trug, automatisch ein Verbrecher war“, sagte er am

18. Mai gegenüber der italienischen „La Repubblica“. Und: Nicht alle Mitglieder der Waffen-SS seien Kriegsverbrecher gewesen: „Es gab sicherlich einen hohen Prozentsatz an Kriminellen, aber nicht alle waren kriminell.“

Für das Sammelbecken rechtspopulistischer bis rechtsextremer Parteien im EU-Parlament, die Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID), war dies der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die AfD war bereits wegen vermeintlicher Russland-Spionage in der Kritik gestanden, der deutsche Verfassungsschutz sieht die Partei als rechtsextremen Verdachtsfall. Die ID – allen voran der französische „Rassemblement National“ von Marine Le Pen – warf Krah und acht weitere EU-Abgeordnete hochkant aus der Fraktion. Von den neun verbleibenden Mitgliedsparteien stimmten nur die „Estnische Konservative Volkspartei“ und die FPÖ für einen Verbleib der AfD. „Es gibt keine Kollektivhaftung“, befanden die Freiheitlichen und wollten, wenn überhaupt, nur Krah ausschließen. Einzig Vilimsky bezeichnete Krahs Sager in einer ersten Stellungnahme als „indiskutabel“. Es sollte die einzige Äußerung zur Causa bleiben.

Verständlich: Denn Parteichef Herbert Kickl hatte vor 14 Jahren etwas ganz Ähnliches gesagt. Mitglieder der Waffen-SS kollektiv schuldig zu sprechen, sei ein „Unsinn“, argumentierte Kickl 2010 als Generalsekretär der Freiheitlichen in einer ATV-Fernsehdiskussionssendung. „Da werden wir uns nicht darauf verständigen können, dass ein Verein als solcher oder eine Einheit wie die Waffen-SS kollektiv schuldig zu sprechen ist.“ Historischer Kontext: Die Waffen-SS wurde nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Nürnberger Prozess wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur verbrecherischen Organisation erklärt. Ihr gehörten unter anderem die Wächter der Konzentrationslager an. Nahezu alle Divisionen begingen Kriegsverbrechen.

Die politischen Gegner empören sich heute wieder über den Kickl-Sager. Im Wahlkampfjahr versuchen sie, damit gegen die FPÖ zu punkten. Meinungsforscher wie Peter Hajek bezweifeln, dass dieser Sager oder die Eskapaden der Schwesterpartei AfD den Höhenflug der FPÖ nur ansatzweise bremsen – Hajek sieht sie weiterhin klar in Führung. Warum schadet der FPÖ in Österreich kaum noch, was in anderen EU-Ländern selbst Rechtspopulisten zu extrem ist?

Die Österreicher kennen ihre FPÖ

Zum Kickl-Sager über die Waffen-SS hatte der Fernsehsender ATV bereits 2010 eine Aussendung gemacht. Sie ist heute noch online. Die profil-Redakteure Gernot Bauer und Robert Treichler hatten den Sager in ihrer im April erschienenen Kickl-Biografie erwähnt. Es ist den Österreichern sattsam bekannt, wer die FPÖ ist und wer Herbert Kickl ist, der die Partei seit 20 Jahren prägt. Seit der Machtübernahme Jörg Haiders im Jahr 1986 ist die FPÖ eine stramm rechte Partei, die für zahllose Skandale gesorgt hat – gerade auch die Zeit des Nationalsozialismus betreffend. Die Empörungswellen wurden über die Jahrzehnte kleiner. In Deutschland gehen sie noch frischer hoch. Denn die AfD wurde erst 2013 gegründet und steckt im Selbstfindungsprozess zwischen moderaten und radikalen Politikern.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.