Die Rechtshaber: Hat Norbert Hofer schon gewonnen?
Sommerzeit ist Praktikantenzeit. In diesem Sommer 2016 könnte die FPÖ die Schlüssel zur Parteizentrale einem Volontär aus der nächstgelegenen Burschenschaft übergeben und sich bis zum Start des Bundespräsidentenwahlkampfes kollektiv nach Ibiza begeben. Anforderungsprofil an den Praktikanten, nennen wir ihn Wendelin: „Gut auf Facebook“. Solange Wendelin weiterhin erfundene oder echte Meldungen über vermeintliche Missetaten von Asylwerbern auf allen Parteikanälen postet, ist jener Daueralarm aktiviert, der die Sehnsucht nach politischem Blaulicht wach hält.
Aktuell erreichen die Zustimmungswerte zur FPÖ die Durchschnittstemperatur auf Ibiza. Der gescheiterte Putschversuch gegen Präsident Erdogan stabilisiert das Hoch. In den darauffolgenden Demonstrationen boten Austro-Türken auf Wiener Straßen „ihrem“ Präsidenten ihr Leben an, forderten die Todesstrafe und zerlegten kurdische Lokale. „Wer sich in der türkischen Innenpolitik engagieren will, dem steht es frei, unser Land zu verlassen“, sagt Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). Der Sicherheitssprecher der Grünen, Peter Pilz, wetterte gegen „türkische Verhältnisse in Wien“. Wendelin bräuchte nicht mehr zu tun, als diese Statements auf Facbeook zu teilen, mit dem Verweis: „Endlich erkennen sie, wovor die FPÖ schon immer gewarnt hat.“
Kann Alexander Van der Bellen bei dieser donnernden Großwetterlage noch gewinnen?
Der Rechtshaberei der FPÖ unter dem Motto „Wer hat’s erfunden“ scheint dieser Tage keine Grenzen gesetzt. Asyl, Islam, Integrationspannen: Ihre Themen haben Dauerkonjunktur. Zwar ist das Interesse an den Flüchtlingen laut Eurobarometer wieder gesunken, weil die Live-Bilder der Massenwanderung verblassen. Dafür nährt die Terrorwelle neue Ängste vor Fremden. Und nun leisten Wut-Türken unfreiwillig Wahlhilfe für den blauen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer. Kann Alexander Van der Bellen bei dieser donnernden Großwetterlage noch gewinnen?
Nach der reinen Lehre der Wahlforschung wird es schwer, weil Themen Sieger machen. Und die kann man sich nicht aussuchen. Nach Unfällen in Atomkraftwerken wie Fukushima sind Grüne im Aufwind, umgekehrt hilft ein Terroranschlag in Österreich oder im Nachbarland Deutschland kurz vor der Wahl am 2. Oktober Hofer.
Sollte weder eine Naturkatastrophe noch ein Terroranschlag die Wahl vorentscheiden, kommt es darauf an, wer seine Wähler erfolgreicher zur Urne treibt. Bei gleicher Wahlbeteiligung wie am 22. Mai genügt es Van der Bellen, wenn sich jeder seiner Fans wieder für ihn entscheidet. Wobei Fan relativ ist. Viele seiner Wähler wollten nicht ihn in die Hofburg bringen, sondern den Blauen draußen halten. Dies und der neue Schwung im Kanzleramt durch die Ablöse Werner Faymanns verhalfen zum Sieg. Das Hofer-Lager ist geschlossener. Der blaue Kandidat will noch zugespitzter vor Terror, Massenmigration und dem Verlust der christlich geprägten Heimat warnen, um die Anhänger zu mobilisieren.
Das wird ganz nach dem Gusto der Blauen sein – ein giftiger Themen-Cocktail für Van der Bellen.
Van der Bellen startete vergangene Woche mit einer Wanderung durch seine Heimat, das Tiroler Kaunertal, in den Wahlkampf. Auf diesen Beweis seiner Fitness folgt nun eine „Bürgerkampagne“: Sympathie-Bekundungen quer durchs Land und Internet, vom Konzernboss bis zum Hilfsarbeiter, scheinbar spontan und ungesteuert. Parallel zur Pop-up-Kampagne wird sein Team die Angst vor Hofer neu schüren. Hat er nicht nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU (Brexit) mit einem Austritt Österreichs (Öxit) geliebäugelt? Würden Unternehmen in dieser Unsicherheit noch in Österreich investieren?
Knapp vor der Wahl wird dem Professor eine Zahl zum Problem werden: Der „3er“. Die Asylbehörden rechnen für September damit, dass die Zahl der Asylanträge auf über 30.000 steigt. Damit rückt die Asyl-Obergrenze von 37.500 in Reichweite. Die ÖVP will lieber heute als morgen den Asyl-Notstand vorbereiten, um die Schotten rechtzeitig dichtzumachen. SPÖ und Grüne bremsen. Der Streit ist programmiert. Das Wort „Notstand“ in der Dauerschleife: Das wird ganz nach dem Gusto der Blauen sein – ein giftiger Themen-Cocktail für Van der Bellen.
Vielleicht irren die Wahlforscher aber auch und jeder Politiker kann bei jeder Themenlage siegen – durch Leader- ship. Vielleicht sind mögliche Erfolge Van der Bellens oder Christian Kerns, der seinen Kanzler-Sessel in spätestens zwei Jahren gegen den Angriff von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache verteidigen wird müssen, gar nicht so abhängig von der Themengemengelage.
Stellen wir uns die FPÖ als blauen Schatten vor. Ein Schatten, der umso größer wird, je mehr die anderen Parteien Probleme verdrängen, die das Wahlvolk subkutan spürt. Ein Schatten, der wieder schrumpft, sobald die Politiker die Themen hell beleuchten. Was Rechtspopulisten zuspitzen, hat manchmal einen wahren Kern: Hinter der von Praktikant Wendelin geteilten Meldung über afghanische Grapscher im Schwimmbad oder der Massenschlägerei im steirischen Flüchtlingsheim steckt nicht nur Hetze. Es schwingt auch die berechtigte Frage mit, ob sich Zigtausende männliche Afghanen oder Syrer aus konservativ-islamischen Ehrkulturen gut integrieren werden. Dass das nicht automatisch funktioniert, zeigt die vorerst über weite Strecken gescheiterte Integration von Tschetschenen.
Außenminister Sebastian Kurz hat den Mangel an Klartext erkannt und ist damit zum populärsten Minister geworden.
Soll man grundsätzliche Fragen wie das künftige Zusammenleben mit konservativen Muslimen schönfärben, wie es Wiens Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger beim Thema Islamkindergärten passiert ist? Sie stellte deren formale Existenz zuerst in Abrede. Dann musste die Stadt nach einer kritischen Studie doch mit verschärften Kontrollen und Sperren reagieren. Oder kann man Herausforderungen offen ansprechen?
Außenminister Sebastian Kurz hat den Mangel an Klartext erkannt und ist damit zum populärsten Minister geworden. Als ÖVP-Politiker fällt ihm Law & Order leichter. Dass sich aber auch Sozialismus und Klartext nicht ausschließen, bewies Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl. „Wenn Sie Ihre Tochter nicht in die Schule lassen, dann reiß ich Ihnen die Ohrwascheln ab“, richtete er 2008 einem konservativen türkischen Vater aus. Hart, aber herzlich im Sinne der Zukunft des Kindes. Bereits vor drei Jahren demonstrierten 8000 Türken in Wien mit Allahu-Akbar-Rufen für Erdogan, als dieser Demonstranten im Gezi-Park in Istanbul verprügeln ließ. Die FPÖ sah sich bestätigt. Von den anderen Parteien befand es niemand für wert, einen Bürger-Dialog mit der Community zu starten, was in Österreich geht und was nicht. Wenn überhaupt, läuft das Gespräch über religiöse Vereine – ganz im Sinne Erdogans. Warum nicht über einen türkischstämmigen Politiker neben der palästinensischstämmigen Staatssekretärin Muna Duzdar? Warum wurden nicht mehr moderne Migranten in den Staatsdienst geholt? Die tun der FPÖ am meisten weh, weil sie die Projektionsfläche für Ressentiments verkleinern.
Wie rasch der blaue Schatten schrumpfen kann, zeigt der aktuelle Wettlauf zwischen Kurz und Kern um harte Worte Richtung Erdogan. Ohne langfristigen Plan dahinter ist auch das reine Kraftmeierei. Was aber auffällt: Strache oder Hofer kommen in der Debatte kaum vor. Und sogar ein Van der Bellen kann verbal zum Terror-Bekämpfer werden, wenn er die Frage stellt, wer mehr Erfolg haben wird im Kampf gegen das IS-Netzwerk: Hofer an der Seite von EU-Gegnerin Marine Le Pen oder Van der Bellen mit dem Rest der EU? Realismus gegen Rechtspopulismus, lautet das Match. Mit ungewissen Siegern.