Freitod-Verbot: Mehrere Pflegeheimbetreiber untersagen den Bewohnern per Hausordnung, assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen. Nun schaltet sich die Volksanwaltschaft ein: Sterbehilfe sei ein Menschenrecht. Das gilt auch für konfessionelle Betreiber.
Der Notausgang hört für manche Menschen auf den Namen Natrium-Pentobarbital. „Notausgang“, so nennen Betroffene das tödliche Präparat, das seit zwei Jahren legal als Tablette, pulverisiert oder als Injektionslösung, zu bekommen ist. Nach der Einnahme sorgt die Mischung in wenigen Minuten für Bewusstlosigkeit, danach stoppt die Atmung.
Menschen mit unheilbaren Krankheiten können, nach einer Wartezeit von zwölf Wochen und zwei ärztlichen Checks, assistierten Suizid in Anspruch nehmen.
Doch obwohl das Sterbehilfeverbot mit 31. Dezember 2021 vom Verfassungsgerichtshof gekippt wurde, gibt es Orte, an denen der aufgehobene Paragraf 78 des Strafgesetzbuches weiterleben durfte. Die Verfassungsrichter hatten ihre Entscheidung damals mit dem Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung argumentiert, das auch die freie Entscheidung miteinschließt, sein Leben in Würde zu beenden.
Bei ihren unangekündigten Visiten in Pflegeheimen machten die Kontrolleure der Volksanwaltschaft einen Fund, der eben dieses Selbstbestimmungsrecht von Bewohnern stark einschränkt: In die Heimordnungen mehrerer Betreiber wurde offenbar ein Passus aufgenommen, der es den Bewohnern untersagt, im Heim assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen. Das geht aus einem Schriftsatz des Menschenrechtsbeirates der Volksanwaltschaft hervor, der profil vorliegt. Um welche Heime es sich konkret handelt, das bleibt in dem Dokument offen – aber es gibt Indizien dafür, dass es sich um konfessionelle Einrichtungen handeln könnte. Fest steht: Die betroffenen Betreiber drohten ihren Klienten mit Kündigung des Heimvertrages, sollten sie bei Vorbereitungen zur Sterbehilfe erwischt werden. Einige Heimträger dürften ihrem Personal auch untersagt haben, dass sie die Bewohner auf Anfrage über die rechtlichen Möglichkeiten beraten.
Moralische Konflikte
Darf das sein? So viel vorweg: Nein.
Wer sich unter Pflegeheimleitern umhört, merkt schnell: Das Thema ist heikel, es herrscht Verunsicherung.
Jakob Kabas leitet den Verband Lebenswelt Heim, der die Interessen aller Pflegeheime im Land vertritt. Kabas selbst ist Geschäftsführer des Pflegeverbandes Liezen in der Steiermark. Jeder Träger gehe anders mit der Sterbehilfe um. Kabas: „Bei mir in den Häusern wird Selbstbestimmung großgeschrieben, und daher ist es möglich, assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen. Nur meine Mitarbeiter sollen nicht involviert sein.“
Bisher habe es in den Liezener Heimen zwei Fälle gegeben. Ein Antrag wurde von den Ärzten abgelehnt, weil die Person kognitiv nicht als entscheidungsfähig galt. Im zweiten Fall entschied sich eine Bewohnerin im letzten Moment um.
Anders als in der Schweiz gibt es in Österreich keine Heime, die Sterbehilfe offensiv als Teil ihres Leistungskatalogs bewerben. So wie Kabas halten es viele Heimleiter: Wenn sich die Bewohner und ihre Angehörigen selbst darum kümmern, wird die Sterbehilfe bestenfalls geduldet.
Die Zurückhaltung ist zum Teil verständlich. Viel Zeit blieb den Krankenhäusern, Heimen, Apothekern und Ärzten nicht, um sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Erst Ende 2021 brachte die türkis-grüne Regierung das Sterbeverfügungsgesetz auf den Weg, ein paar Wochen später, im Jänner 2022, war es bereits gültig.
Bei einigen Heimbetreibern kamen moralische Konflikte dazu. Insbesondere katholische Orden und die Caritas, die sich traditionell stark in der Altenpflege und im Hospizbereich engagieren, lehnten Sterbehilfe öffentlich kategorisch ab.
Die Durchführung des assistierten Suizides soll nicht in unseren Einrichtungen stattfinden.
Aus einem Leitfaden der katholischen Heimträger
Stand: Jänner 2023
Auf profil-Anfrage übermittelt die Ordenskonferenz ihren „Orientierungsrahmen für den Umgang mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid“ (gültig ab Jänner 2023). Darin heißt es: „Am Ende des Lebens, so unser Glaube, kehren wir Menschen zu Gott, unserem Ursprung, zurück: in die Liebe, aus der wir kommen. Aus diesem Vertrauen heraus verpflichten wir uns zu einem umfassenden Schutz des Lebens.“ Daraus folgt: „Der assistierte Suizid kann niemals Teil unseres Angebotsspektrums sein, weil dies nicht den Werten entspricht, für die wir einstehen. Wir schließen für unsere Mitarbeiter*innen jedwede Mitwirkung an der Vorbereitung oder Durchführung eines assistierten Suizids aus. Wenn eine andere Person die Handlung, die zum Tod führt oder diesen zum Ziel hat, vollzieht oder bei dieser assistiert, können Mitarbeiter*innen nicht zugegen sein – auch um das Missverständnis auszuschließen, die Einrichtungen und Dienste von katholischen Träger*innen würden an dieser Stelle das Bekenntnis zum Schutz des Lebens relativieren.“
Wenn sich jemand dennoch für den assistierten Suizid entscheide, sei das zu „akzeptieren“. Nur eben nicht in den Heimen selbst, denn: „Die Durchführung des assistierten Suizides soll nicht in unseren Einrichtungen stattfinden. Für einen möglichen Ort der Durchführung und den Transport dorthin hat die*der Betroffene (…) selbst zu sorgen.“
Auf neuerliche profil-Anfrage rudert die Ordenskonferenz zurück: Die Möglichkeit eines assistierten Suizids bestehe „auch für Bewohner*innen unserer Einrichtungen“. Man schließe allerdings für Mitarbeiter „jedwede Mitwirkung an der Vorbereitung oder Durchführung eines assistierten Suizids aus“.
Das Sterbehilfe-Verbot im „Orientientierungsrahmen“ der Ordensheime wäre dem Gesetz zuwidergelaufen.
Stellungnahme bringt Klarheit
Um Klarheit zu schaffen, beauftragte die Volksanwaltschaft ihren Menschenrechtsbeirat mit einem Gutachten. Das zehnseitige Ergebnis, das mit 20. Dezember 2023 datiert ist, liegt profil vor und ist eindeutig: Das Expertengremium kommt zum Schluss, dass „das Sterbeverfügungsgesetz den Betreibern von Alten- und Pflegeeinrichtungen zwar keine Mitwirkungspflicht (iS von aktiven Hilfeleistungspflichten), jedoch Duldungspflichten bezüglich der im Gesetz verankerten Rechte auferlegt“. Soll heißen: Bewohner, die einen Sterbewunsch äußern, „müssen sich dazu austauschen und informieren können, sie müssen die im Hinblick auf das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben verankerten Rechte und Hilfeleistungen auch in der Einrichtung, in der sie wohnen, wahrnehmen können“.
Die Passagen in den Heimordnungen, die Sterbehilfe untersagen, sind aus Sicht des Menschenrechtsbeirats „nichtig“: „Betreibern von Einrichtungen steht es nicht frei, die Ausübung bzw. Wahrnehmung eines Menschenrechtes (der Sterbehilfe, Anm.) in ihren Räumlichkeiten vertraglich zu untersagen, bzw. mit der Kündigung zu drohen. Vertragliche Ansprüche haben ihre Grenzen, wo sie die Selbstbestimmungsfähigkeit einer Vertragspartei durch unzumutbare Einschränkungen negieren.“
Der Menschenrechtsbeirat hält es außerdem für „nicht zulässig“, wenn Heimbetreiber ihrem Pflegepersonal verbieten, die Bewohner über die Möglichkeit der Sterbehilfe aufzuklären. Denn die Klienten seien „mangels Mobilität darauf angewiesen, sämtliche Informationen direkt in der Einrichtung zu erhalten“.
Die Heimträger müssen die Möglichkeit des assistieren Suizids aus Respekt vor der freien Entscheidung der Bewohnerinnen und Bewohner akzeptieren.
Bernhard Achitz
Volksanwalt
Der Fokus der Volksanwaltschaft auf die Pflegeheime hat mehrere gute Gründe: Die Bewohner haben oft mit chronischen Krankheiten zu kämpfen und erfüllen damit die Kriterien für assistierten Suizid. Noch schwerer wiegt aber, dass die Menschen im Heim in ihren Lebens- und Sterbeentscheidungen stark von der Einrichtung abhängig sind, in der sie wohnen.
Volksanwalt Bernhard Achitz fordert die Heimbetreiber in einem schriftlichen Statement an profil dazu auf, „die im Sterbeverfügungsgesetz vorgesehene Möglichkeit des straflosen assistieren Suizids aus Respekt vor der freien Entscheidung der Bewohnerinnen und Bewohner zu akzeptieren“. Er werde „die Träger der Alten- und Pflegeheime informieren, in denen wir bei der Präventiven Menschenrechtskontrolle Probleme festgestellt haben“.
Immerhin: Es gibt einen Wunsch, auf den sich sowohl Volksanwalt Achitz als auch die Pflegeheimträger – einschließlich der katholischen – einigen können.
Ausbau von Hospiz
Die alternde Bevölkerung sorgt nicht nur in den Pflegeheimen für Überlastung, auch in den Hospizen gibt es zu wenig Kapazitäten. Achitz fordert deshalb mehr Investitionen in die Palliativversorgung. Damit greift er ein Argument von Caritas und Co. auf: Demnach bedeute ein Sterbewunsch nicht zwingend, dass ein Mensch nicht mehr leben wolle, sondern nur, dass er so nicht mehr leben wolle.
Angelika Feichtner beschäftigt sich für die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) mit den Folgen der legalisierten Sterbehilfe. Sie verwaltet die Daten einer Plattform, in der Angehörige von Menschen, die assistierten Suizid in Anspruch nahmen, ihre Erfahrungen schildern können. Notabene: Diese Plattform wird nicht vom Gesundheitsministerium betrieben.
Feichtner unterstützt die Legalisierung zwar, sie warnt aber dennoch vor ungewollten Folgen: „Das Motiv für einen assistierten Suizid ist überwiegend das erlebte Leid, aber sehr oft auch unzureichend gelinderte körperliche Symptome. Das deutet auf einen eklatanten Mangel an Palliativversorgung in Österreich hin.“ International sei das völlig anders, sagt die Expertin: „Da geben Suizidwillige eher den Verlust der Eigenständigkeit oder die Plegebedürftigkeit als Motive an.“
Und wer sind die Menschen, die von diesem Recht Gebrauch machen und die tödliche Lösung schlucken?
Laut den Daten der OPG sind die Betroffenen zwischen 30 und 97 Jahre alt. Auffällig: Frauen sind deutlich in der Mehrheit. Feichtners Erklärung dafür: Frauen werden älter, hätten oft kein soziales Netz mehr, seien stärker von Altersarmut betroffen und glaubten eher, dass sie der Familie zur Last fallen.
Neben dem Ausbau der Paliativversorgung fielen Feichtner noch weitere Verbesserungsmöglichkeiten ein: Multiprofessionelle Teams aus Ärzten, Psychologen und Krisenbewältigungsexperten, die Betroffene und Angehörige bei der Durchführung des Suizids unterstützen und so den Druck vom Pflegepersonal nehmen.
Und: „Durch die begrenzte Haltbarkeit der Trinklösung kann sich ein zeitlicher Druck zur Umsetzung des assistierten Suizids ergeben, daher wäre eine Verordnung in der wesentlich länger haltbaren Pulverform sinnvoll“, sagt Feichtner.
Denn immer wieder kommt es vor, dass die Betroffenen sich gegen den Notausgang entscheiden: Von den 263 tödlichen Präparaten, die österreichweit abgegeben wurden, haben 34 Sterbewillige die Pillen und Pulversäckchen wieder retourniert.