Reform: Wie die Kurzarbeit neu gestaltet werden soll
19.000 im März, 35.000 im April, Tendenz steigend im Mai. So viele Überstunden häuften sich im Arbeitsmarktservice (AMS) seit dem Ausbruch der Corona-Krise an. Der Grund: Kurzarbeitsanträge. Das AMS ist die Drehscheibe für Abwicklung und Auszahlung. 120.000 Unternehmen stellten Anträge für 1,1 Million Beschäftigte. Das erzeugte im Haus einen "Ausnahmezustand sondergleichen",sagt AMS-Chef Herbert Buchinger. Nun schrumpfen die Antragsstapel wieder. "Ich bin noch immer erstaunt, wie uns das gelungen ist."Wie viele Mitarbeiter sehnt auch er den Tag herbei, an dem die aktuelle Version der Kurzarbeit im Herbst ausläuft. Sie rettete zwar unzählige Jobs. Doch sie ist teuer, ultrakomplex und kann im Detail auch ungerecht sein.
Die Corona-Kurzarbeit verhinderte eine noch massivere Kündigungswelle nach dem Shutdown im März. Betriebe konnten ihre Mitarbeiter halten, selbst wenn die Aufträge gegen null gingen. Doch sie war ein Schnellschuss und mutierte zu einem Bürokratie-Monster, mit dem AMS-Mitarbeiter, Steuerberater und Lohnverrechner seither kämpfen. Ende September läuft das Modell aus. Vergangene Woche hat Bundeskanzler Sebastian Kurz eine Reform angekündigt. Am Montag treffen die Sozialpartner, bestehend aus Gewerkschaft, Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer, zu einer ersten Verhandlungsrunde zusammen.
Buchinger legt im profil schon jetzt sein bevorzugtes Modell vor:
Die Corona-Kurzarbeit ermöglicht eine Reduktion der Arbeitszeit um bis zu 90 Prozent. Damit sollten auch Mitarbeiter ihren Job behalten können, die wegen des Shutdowns praktisch nichts zu tun hatten. Nach der schrittweisen Öffnung des Landes geht es jetzt eher darum, die schwache Auftragslage in Unternehmen abzufedern. Die Arbeitszeit sollte deshalb nur noch um höchstens 50 Prozent reduziert werden dürfen, wünscht sich Buchinger. "Diese Grenze halte ich für absolut sinnvoll. Unternehmen, die bis Herbst keine Auslastung von 50 Prozent erreicht haben, müssen sich fragen, ob Kurzarbeit das Richtige ist." Sie sollten besser "ihre Personalstände anpassen",sprich kündigen.
Das Hochfahren der Wirtschaft zeigt Wirkung. Vergangene Woche hat sich die Zahl der Menschen in Kurzarbeit um 20.000 verringert und die Mittel für Kurzarbeit, die Unternehmen zunächst beim AMS beantragt hatten, werden nur noch zur Hälfte abgerufen. Das heißt: Die Mitarbeiter arbeiteten am Ende doch mehr. "Das bestehende Budget wird nie ausgeschöpft. Mehr als sechs Milliarden Euro werden wir nicht brauchen",sagt Buchinger. Der Finanzminister hat zwölf Milliarden Euro veranschlagt.
Ungerechtes System
Doch Experten warnen vor einer zweiten Corona -Welle im Winter; in China, dem Ursprungsland des Virus, wurde Peking wieder teilweise abgeriegelt. Wenn es auch Österreich wieder erwischt, würde Buchingers Kurzarbeitsmodell kaum greifen. "Ich sehe die Wahrscheinlichkeit eines zweiten Shutdowns in ganz Österreich als sehr gering an. Man ist jetzt viel besser in der Lage, Infektionsherde rasch einzudämmen",sagt der AMS-Chef. Sollte das Virus in einem Ort oder einer Region ausbrechen und sollten "partielle Shutdowns" nötig werden, könnte man statt Kurzarbeit auf das historische Epidemiegesetz zurückgreifen, sagt Buchinger. Es räumt Betrieben und Mitarbeitern die volle Entschädigung für entgangene Umsätze und Löhne ein. Ein Knackpunkt bei den Verhandlungen über die Kurzarbeit ist das Einkommen für die Betroffenen. Derzeit bekommen Beschäftigte in Kurzarbeit 80 bis 90 Prozent des bisherigen Einkommens ersetzt, egal, wie viel oder wenig dafür gearbeitet wird. Auf individueller Basis ist das ein ungerechtes System, weil allen Mitarbeitern am Ende des Monats gleich viel übrig bleibt, egal ob sie 15 oder 75 Prozent der bisherigen Arbeit leisten. Doch nicht nur das: Für Lohnverrechner und Steuerberater war diese sogenannte "Netto-Ersatzrate" bisher der blanke Horror.
AMS-Chef Buchinger will sich deswegen in Zukunft am klassischen Modell der Kurzarbeit orientieren . Das stammt aus der Finanzkrise 2008/2009. In der klassischen Kurzarbeit bekommen Arbeitnehmer den regulären Lohn für die tatsächlich geleistete Arbeit. Für die Zeit, die gekürzt wird, gibt es einen AMS-Zuschuss in Höhe des Arbeitslosengeldes. Dieses beträgt aktuell 55 Prozent des Nettogehalts. Beispiel: Ein Arbeitnehmer reduziert die Arbeitszeit um die Hälfte. Er bekommt seinen regulären Lohn für 50 Prozent der Arbeitszeit, plus einen AMS-Zuschuss in Höhe des Arbeitslosengeldes für die zweiten 50 Prozent, die ausfallen. Um zu verhindern, dass am Ende zu wenig rauskommt, schlägt Buchinger einen "Zuschlag" zur Kurzarbeit vor. Das heißt: Beschäftigte in Kurzarbeit würden für die nicht geleistete Arbeitszeit mehr als die 55 Prozent im klassischen Modell ersetzt bekommen.
"Mindestens 80 Prozent" des Letzteinkommens
Für den Präsidenten des Gewerkschaftsbundes, Wolfgang Katzian und die Präsidentin der Arbeiterkammer, Renate Anderl, ist schon vor den Verhandlungen mit der Wirtschaftskammer klar: Am Ende müssen Beschäftigte in Kurzarbeit "mindestens 80 Prozent" des Letzteinkommens erhalten, erklären sie gegenüber profil. Sollte das alte Modell aus der Finanzkrise herangezogen werden, müsste der AMS-Zuschuss für die nicht geleistete Arbeitszeit steigen, damit sich die 80 Prozent auf jeden Fall ausgehen. Das entspräche Buchingers Ansatz. Für den Finanzminister käme eine 1:1-Rückkehr ins alte System aus der Zeit der Finanzkrise, ohne jegliche Zuschläge, am billigsten. Doch dann legt er sich nicht nur mit der Gewerkschaft, sondern auch mit der Wirtschaft an. Im Unterschied zur Corona-Kurzarbeit müssen die Unternehmen im alten Modell die Sozialversicherungsbeiträge selbst schultern. "Wir wollen nicht zurück zum alten Modell, weil es für die Unternehmen teurer wird",heißt es aus Arbeitgeber-Kreisen. "Für uns ist wichtig, dass möglichst alle Mehrkosten vom AMS ersetzt werden." Sollte das Ziel sein, die Kurzarbeit billiger zu machen, müssten nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch die Arbeitnehmer einen Beitrag leisten. Das Feilschen um jeden Euro liegt in der Natur der Sozialpartner, man wird sich wohl in der Mitte treffen. Bei dem Treffen der Sozialpartner wird die Gewerkschaft einen viel grundsätzlicheren Punkt aufs Tapet bringen: Wenn weiterhin über Jahre kürzer gearbeitet werden darf, warum die Arbeitszeit nicht generell verkürzen? Für die Arbeitnehmer-Vertreter ist eine 35-Stunden-Woche erklärtes Ziel. Auch Buchinger sieht eine Arbeitszeitverkürzung in einigen Jahren am Horizont. Bei den Verhandlungen über die Kurzarbeit solle auch "langfristig gedacht" werden. Die strukturellen Veränderungen in der Arbeitswelt, so Buchinger, würden nach der Krise bleiben. Die Wirtschaftsvertreter werden sich aber kaum auf das heikle Thema einlassen. Denn während in der Kurzarbeit das AMS einen Teil des Einkommens kompensiert, müssten bei einer generellen Arbeitszeitreduktion die Betriebe einen höheren Stundenlohn zahlen.
Katzian spricht sich zunächst einmal dafür aus, die Kurzarbeit um zwei bis drei Jahre zu verlängern. Provokant tauft er sie aber schon jetzt in "AMS-gestützte Reduktion der Arbeitszeit" um.