AUGEN AUF: Konflikte zwischen Bikern und Fußgängern sind auf geteilten Wegen vorprogrammiert.

Die Regierung will den Anteil der Radler verdoppeln. Nur wie?

Die Regierung will den Radverkehr verdoppeln. Wie das gehen soll, sagt sie jedoch nicht. Verkehrsplaner und Fahrradaktivisten hätten viele Ideen: von Job-Rädern bis zu Bike-Highways.

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Wenn es um ihre Sicherheit geht, werden Fahrradaktivisten pingelig. Unweit des Wiener Karlsplatzes legen Andrzej Felczak und Ulrich Leth bei einem schmalen Radstreifen in der Argentinierstraße das Maßband an. „1,60 Meter“, sagt Felczak: „Die Stelle ist zu schmal.“ Laut Verkehrsrichtlinie müsste der Weg mindestens zwei Meter breit sein. Hunderte Radler rollen hier täglich in beide Richtungen; das Gefälle sorgt zumindest stadteinwärts für hohe Geschwindigkeiten. Zur Demonstration des Unfallrisikos stellen die beiden Pedalfanatiker ihre Bikes auf dem Weg nebeneinander. Zwischen die Lenker passt kaum eine Handbreite. Felczak und Leth erklären, dass Sicherheitsrisiken zu den häufigsten Gründen zählen, warum nicht mehr Menschen auf das Bike umsatteln. Direkt neben dem schmalen Radstreifen machen die beiden Aktivisten der Interessensgruppe „Radlobby“ gleich die nächste Gefahr aus: Autoparkplätze ohne Abstand zum Radstreifen. „Dooring“ nennt sich die Unfallart, bei der Radler ungebremst in hastig geöffnete Autotüren krachen. Die Argentinierstraße ist dafür prädestiniert.

Auch wenn Zweiräder auf den Straßen sichtbar mehr werden – Österreich ist noch lange keine Fahrradnation. Der Radverkehrsanteil liegt gerade einmal bei sieben Prozent. Zum Vergleich: Bei den fahrradbegeisterten Niederländern liegt die Quote bei 27 Prozent. In ihrer Klimastrategie gab die schwarz-blaue Regierung jüngst das Ziel aus, den Anteil der Radler bis 2025 auf 13 Prozent zu steigern. Allein: Konkrete Maßnahmen dafür blieb der Bund bislang schuldig, eine entsprechende Budgeterhöhung ist nicht geplant. Was müsste passieren, um die Zielvorgabe zu erreichen – und den Radverkehr beinahe zu verdoppeln? Verkehrsplaner, Gemeindepolitiker und Radfans hätten viele Ideen.

Vorarlberg zeigt, wie fahrradfreundliche Politik funktionieren kann. Unter allen Bundesländern ist das Ländle mit einem Radverkehrsanteil von 16 Prozent führend. „In Österreich wirkt der Wert vielleicht herausragend, im internationalen Vergleich möchten wir aber noch aufholen“, gibt Anna Schwerzler zu bedenken. Die Vorarlberger Radverkehrskoordinatorin will mehr: In zwei Jahren soll ein Anteil von 20 Prozent erreicht werden.

"Komfort und Sicherheit erhöhen"

Wie das geht? „Es reicht nicht, dass man sich ohne Lebensgefahr mit dem Rad an Autos vorbeischlängeln kann. Es braucht eine Infrastruktur, in der das Rad zuvorkommend behandelt wird und es schnell, sicher und bequem ist. Und es braucht eine Stimmung, bei der man nicht seltsam angeschaut wird, wenn man zum Geschäftstermin mit dem Fahrrad kommt“, sagt Schwerzler. Breite Radstreifen und entgegenkommende Regelungen an Kreuzungen würden Komfort und Sicherheit erhöhen. Die schönsten Wege nutzen allerdings wenig, wenn es an Bahnhöfen, in Wohnhäusern und vor dem Dienstort an sicheren Abstellplätzen mangelt.

Ist das Zweirad wirklich dafür geeignet, das Pkw-Aufkommen zu reduzieren? Das Umweltministerium stellt eine ambitionierte Rechnung an: Rund 50 Prozent aller Autofahrten in Österreich sind kürzer als fünf Kilometer. Und 55 Prozent aller Arbeitswege sind kürzer als zehn Kilometer. Fazit des Ministeriums: „Das Verlagerungspotenzial von Alltagswegen auf das Fahrrad ist in Österreich vorhanden.“

Rückenwind erhoffen sich Fahrrad-Fans durch den E-Bike-Boom – damit sind selbst längere Strecken einfach zu bewältigen. Jedes dritte neu angeschaffte Rad ist inzwischen motorisiert. Lange wurden überregionale Radverbindungen nur zu Tourismuszwecken errichtet. Nun reift das politische Bewusstsein, auch Alltagswege pedaltauglicher zu gestalten. In Radfahrer-Hochburgen wie Kopenhagen bahnen sich Tausende Biker aus dem Umland auf Rad-Highways ihren Weg in die Metropole. In Österreich gibt es noch nicht einmal eine bundeseinheitliche Definition dafür.

Abseits der überregionalen Wege ist Radverkehr vorrangig Gemeindeangelegenheit. „Der Mitarbeiterparkplatz steht diesen Sommer zum ersten Mal halb leer, dafür mussten wir den Radkeller ordentlich ausbauen“, sagt Saskia Amann vom Umweltreferat der Stadt Hohenems. Die Kommune bot ihren Mitarbeitern bei einem Bike-Kauf einen Zuschuss von 300 Euro an, der Bund zahlte über die „klimaaktiv-mobil“-Förderung weitere 100 Euro dazu. Den Restbetrag stottern die Angestellten in Raten vom Gehalt ab. Die Aktion zog: 37 der gut 200 Mitarbeiter legten sich seit vergangenem Jahr ein gefördertes Bike zu. Amann beobachtet seither einen Bewusstseinswandel in der Stadtverwaltung: „Die Leute sind heute viel offener für Fahrradthemen – selbst die, die eigentlich nichts damit zu tun haben.“

Förderprojekte laufen aus

Von 2007 bis inklusive 2017 schüttete das Umweltministerium jährlich knapp 4,2 Millionen Euro an Förderungen für Radverkehrsprojekte in Ländern und Gemeinden aus – die Mittel flossen in Radabstellplätze und regionsübergreifende Radkonzepte. Doch obwohl der Radverkehr verdoppelt werden soll, investiert das Umweltressort nicht mehr Geld. Anfang August erreichte die Radkoordinatoren der Länder eine Mail der „klimaaktiv“-Förderstelle: Das Budget für 2018 sei bereits ausgeschöpft. Gefördert werde nur noch, was aus EU-Töpfen kofinanzierbar sei. Förderprojekte wie „Nachrüstung zum Fahrradparken“ laufen ganz aus.

„Man hätte den Topf auch nachdotieren können und nicht im August abdrehen müssen“, kritisiert die Vorarlberger Radkoordinatorin Schwerzler. Das angestrebte Ziel des Bundes sei zwar gut. Nur: „Ohne entsprechende Investitionen ist es aber nicht erreichbar.“ Bund, Länder und Gemeinden stecken derzeit etwa elf Euro pro Einwohner in den Radausbau – in den Niederlanden sind es 24 Euro. Im Unterschied zu den nördlichen Radfahrer-Staaten bringt es Österreich allerdings auf bessere Öffi-Werte. Und: Anders als Autofahrer, die mit Vignette und Motorsteuer einen Teil des Verkehrsnetzes selbst finanzieren, tragen die Radler finanziell nichts dazu bei.

"Das kann es nicht sein"

Zurück in Wien. Getreidemarkt, Ecke Wienzeile. „Wenn ein politischer Wille da ist, gibt es meist eine planerische Lösung“, sagt Radlobby-Aktivist Felczak und deutet auf die gegenüberliegende Straßenseite. Zwischen Gehsteig und Autofahrbahn wurde ein eigener Fahrradstreifen eingezogen – dafür musste keine einzige der vier Fahrspuren weichen. Die zwei Abbiegebahnen wurden zu einer Mischspur ohne Mittelstreifen zusammengefasst. Sie bietet weiterhin zwei Pkws nebeneinander Platz – aber nur mehr einem Lkw.

Anders als auf dem weiten Land sorgen Radweg-Ausbaupläne im urbanen Gebiet für emotionale Kollisionen mit Autofahrern: Felczak und Leth falten einen Radnetzplan auf und zeigen auf die Wienzeile. „Mit Parkstreifen und Fahrbahnen gibt es hier acht Spuren für Autos und keine einzige für Radfahrer. Das kann es nicht sein“, sagt Leth, der als Uni-Assistent an der TU Wien zu Verkehrspolitik forscht. Über eine Strecke von 500 Metern fehlt hier ein Radweg, der den Westen der Stadt durchgehend mit dem Zentrum verbinden würde. Die Wiener Grünen forcieren einen Radweg. Doch im dicht verbauten Gebiet ist der Platz begrenzt. Und so muss erst den Autofahrern genommen werden, was den Radlern gegeben werden soll. Betroffen wären 77 Pkw-Parkplätze. Bezirksvertreter, Anwohner und Geschäftsleute halten nichts von den Radlerplänen. Befürworter rechnen vor, dass im betroffenen Bezirk (Mariahilf) die Zahl der angemeldeten Autos seit Jahren stark rückläufig ist.

In argumentative Nöte bringt die Radaktivisten die Wetterlage: Sinken die Temperaturen im Winter unter fünf Grad, flacht auch die Formkurve der Radler ab. Sie machen dann nur noch zwei Prozent am Verkehrsaufkommen aus.

Radeln ist eben ein Schönwettersport.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.