Stimmen für „Zweier“ könnten lauter werden
Sie könnten das für Österreich neue Dreierexperiment auch einfach abblasen und es klassisch zu zweit versuchen. Doch im Unterschied zu den zahlreichen „Großen Koalitionen“ aus SPÖ und ÖVP in der Vergangenheit hätten die beiden nur noch eine hauchdünne Mehrheit im Parlament von einer Stimme. ÖVP-Chef Karl Nehammer betonte am Donnerstag die Notwendigkeit einer „stabilen Mehrheit“. Das kann als klares Votum für den „Dreier“ und Absage an eine parlamentarische Zitterpartie gewertet werden. Doch es gibt aus den Ländern auch Stimmen, die es zu zweit versuchen wollen – und die könnten angesichts des Schlamassels beim Nachbarn lauter werden.
So mahnten Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) sowie der frühere oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP), darüber nachzudenken, ob eine Dreier-koalition wirklich der Weisheit letzter Schluss wäre. Alternativ wäre es im Parlament möglich, bei den einzelnen Gesetzesinitiativen jeweils unterschiedliche Partner aus der Opposition zu suchen, um die knappe Mehrheit abzusichern.
Was Meinl-Reisinger von Lindner unterscheidet
Die NEOS wollen die Ängste vor einem deutschen Szenario zerstreuen. „Deutschland bedeutet nicht, dass eine Dreierkoalition mit einer liberalen Partei grundsätzlich nicht funktioniert. Es gibt zahlreiche andere Beispiele, etwa in Skandinavien, wo es gut geklappt hat“, sagt Generalsekretär Hoyos. Auch die „Spielanlage“ wäre eine andere. „Die FDP koalierte mit zwei linken Parteien. In Österreich wäre es eine Dreierkoalition der Mitte mit einem NEOS-Partner rechts und einem links der Mitte.“
Ein weiterer Unterschied: Beate Meinl-Reisinger ist vom Typ her pragmatischer als Lindner. Vor allem in Wirtschaftsfragen. Das liegt zum einen daran, dass die FDP 1948 als klassisch wirtschaftsliberale Partei gegründet wurde – mit dem Anspruch, den Einfluss des Staates zurückzudrängen und den freien Markt zu fördern. Das ist auch Leitmotiv der NEOS. Es stand bei der Gründung 2012 aber ideologisch weniger im Zentrum. Der Anspruch der NEOS waren grundlegende Reformen in einem Land, das aus Sicht der NEOS gelähmt war durch rot-schwarze Parteiwirtschaft und Föderalismus. Ein modernes Bildungswesen war für die Pinken noch zentraler als die freie Marktwirtschaft.
Deep Dive ins Budgetloch
Lindner war Unternehmer, trat im Alter von 16 der FDP bei und war von Beginn an ein erklärter Wirtschaftsliberaler. Meinl-Reisingers Aufstieg begann beruflich wie politisch in der Wirtschaftskammer und danach der Wiener ÖVP. Bei den NEOS stand sie von Beginn an stärker für den bürgerlich-liberalen als für den wirtschaftsliberalen Flügel. Ihr Kurs der Mitte war manchen in der Partei immer wieder zu weich. In einer Dreier-koalition könnte sich ihr Pragmatismus bezahlt machen.
Auf die Themen Wirtschaft, Standort und Staatsfinanzen schwenkten die NEOS im Lauf des Wahlkampfs allerdings immer stärker ein. Hintergrund war das wachsende Kopfzerbrechen von Experten und Betrieben über die Wirtschaftskrise und die entgleisenden Staatsfinanzen. Meinl-Reisinger war die Einzige, die das „Budgetloch“ ansprach und ein Sparpaket nach der Wahl forderte, während ÖVP und FPÖ noch mit Milliarden-Wahlzuckerln jonglierten.
Seit vergangenem Dienstag ist dieses „Budgetloch“ amtlich und in vielen Medien Schlagzeile. Die Staatsschulden-Wächter vom Fiskalrat bezifferten es in einer Pressekonferenz mit über vier Milliarden Euro allein im Jahr 2025. Es ergibt sich aus Budgetdefiziten von annäherend vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis 2029, sollte die künftige Regierung nichts ändern. Die Staatsschulden würden bis dahin auf ein Allzeithoch von 86 Prozent des BIP klettern, hat das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) ausgerechnet.
Die „Maastricht“-Obergrenze, die Euro-Länder nicht überschreiten sollten, liegt bei drei Prozent. Wer es doch tut, bekommt ein Strafverfahren aufgebrummt. In Österreich ist nicht mehr die Frage, ob, sondern wann das Verfahren eingeleitet wird.
Die Tabus könnten fallen
Egal wer die künftige Regierung bildet: Um das Budgetloch halbwegs zu schließen, werden alle Parteien über ihren Schatten springen müssen. Die einen, weil sie schmerzhafte Einsparungen, die anderen, weil sie neue oder höhere Steuern zulassen müssen – wie Grundsteuer, Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer oder Erbschaftssteuer.
„Die Lage der Staatsfinanzen ist dramatischer als bisher gedacht“, sagt NEOS-Generalsekretär Hoyos. Deswegen brauche es eine „klare Reformagenda“. Das sagt er auch an die Adresse der eigenen Partei. Denn es gibt Parteikollegen, die es mitten in der Wirtschaftskrise für zu riskant halten, in eine Regierung zu gehen – ausgerechnet mit ÖVP und SPÖ. Hat man die eigene Partei nicht gegründet, um die Macht dieser beiden zu brechen? Soll man sie stattdessen jetzt absichern?
„Unsere Mitglieder müssen einer Dreierkoalition mit den NEOS zustimmen.“ Als Untergrenze wird intern keine knappe, sondern eine „klare Mehrheit“ definiert. Die sei nur „mit einer klaren Reformagenda zu erzielen“, sagt der Generalsekretär.
Tritt Trump Wachstumspflänzchen aus?
Man könnte auch Krisenagenda dazu sagen. Denn entscheidend für die künftigen Staatsfinanzen ist die Konjunktur. Das ohnedies kleine Wachstumspflänzchen – 1,3 Prozent bis 2029 laut WIFO –, könnte von Donald Trump ausgetreten werden. Der wiedergewählte US-Präsident hat vor der Wahl mit Strafzöllen auf europäische Autos und Autoteile gedroht. Das würde vor allem den Autoriesen Deutschland und damit das Zuliefererland Österreich – mit Deutschland als wichtigsten Handelspartner – massiv treffen.
Die Grünen wollen bei all den Planspielen für künftige Koalitionen nicht an der Seitenlinie stehen. Parteichef Werner Kogler, selbst Wirtschaftswissenschafter, präsentierte am Freitag seinen Plan, wie Österreich „sinnvoll sparen“ statt „planlos kürzen“ sollte.
Man muss ihm ja nicht gleich Ambitionen auf den Finanzminister nachsagen.